Die Frühlingsfestgala im chinesischen Staatsfernsehen ist eine Show der Superlative. Neben Unterhaltung mischt sich zunehmend auch plumpe Polit-Propaganda. Über eine Milliarde Menschen schauen zu. Unser Korrespondent ist einer davon.
Wie bei uns das «Dinner for One» gehört zum chinesischen Neujahr die «Frühlingsfestgala» zum tradierten Ritual dazu: Die Familienmitglieder sitzen bei gefüllten Teigtaschen beisammen, während im Hintergrund die Flimmerkiste läuft – oft auch nur, um die sich anbahnende Langeweile zu übertünchen.
Was die 1983 erstmals ausgestrahlte Fernsehsendung so besonders macht, ist allein die Dimension: Mit über 700 Millionen heimischen Zuschauerinnen und Zuschauern ist sie die grösste der Welt. Im letzten Jahr haben gar mit Auslandschinesen eingerechnet fast 1,3 Milliarden Menschen das Spektakel verfolgt. Und auch an diesem Montagabend hat die TV-Gala wie immer vier Stunden vor Mitternacht den Countdown zum neuen Jahr eingeläutet.
Was sich da alljährlich auf dem Bildschirm zeigt, ist eine Mischung aus seichten Show-Einlagen und Sketchen, die das Jahr Revue passieren lassen. Doch die Frühlingsfestgala ist auch ein kontrastreiches Unikat: Während die wenig subtile Politpropaganda und die biedere Ästhetik zuweilen ans nordkoreanische Staatsfernsehen erinnern, sind die spektakulären Bühneneffekte und atemberaubende Kameraführung hochwertige TV-Kunst vom feinsten. Dagegen wirkt «Wetten, dass..?» höchstens wie provinzielles Frühstücksfernsehen im Kleinformat.
In diesem Jahr zogen sich Sketche und Lieder zum Thema Kinderkriegen und Heiraten wie ein roter Faden durch die Sendung. Das ist natürlich kein Zufall: Derzeit versucht die Kommunistische Partei – Jahrzehnte nach ihrer gescheiterten Ein-Kind-Politik – ihre Bevölkerung dazu zu animieren, angesichts der rasant alternden Gesellschaft mehr Nachwuchs zu bekommen. «Das ist echt lästig», kommentiert eine 30-jährige Pekingerin die wenig subtile Botschaft.
Das Lästern und Motzen ist ohnehin die gängige Grundeinstellung, mit der die jungen Chinesen das TV-Event verfolgen. Im letzten Jahr sorgte ein «Blackfacing»-Skandal während der Frühlingsfestgala für einen Shitstorm: Zehn Minuten lang tanzten damals «trommelnde Buschmänner» auf der Bühne des Staatsfernsehens, aus Afrika eingeflogene Tänzer wurden in Zebra und Affenkostümen gesteckt. Dazu sang eine chinesische Schauspielerin, vollkommen in schwarz geschminkt, allen Ernstes:
«Ich liebe China! Ich liebe die Chinesen!».
Was als feierliche Musical-Einlage über die von China gebaute Eisenbahnlinie zwischen Nairobi und Mombasa geplant war, löste unfreiwillig auf der Online-Plattform Weibo einen Aufschrei aus. Die Postings der User, die die Show «rassistisch» und «beschämend» fanden, wurden jedoch umgehend vom Zensurapparat gelöscht. Dass dies heuer nicht mehr vorkommt, dafür hat Weibo bereits im Vorhinein gesorgt - und seine Nutzer gewarnt, die «positive und warme» Ferienstimmung nicht zu vermiesen. Wer die Regeln missachte, müsse mit einer Sperrung seines Accounts rechnen.
Doch im freien Internet des Auslands hagelte es dennoch gehörig an Spott. «Die Neujahrsgala anzusehen erinnert mich daran, warum ich mit Anfang 20 China verlassen wollte», schreibt Yaqiu Wang von der US-Menschenrechtsorganisation «Human Rights Watch» auf Twitter: «Die steife Propaganda ist nicht zu ertragen». Tatsächlich haben die KP-Botschaften in den letzten Jahren während der Show deutlich zugenommen. Wenn etwa die TV-Gastgeber von der «Glückseligkeit aller ethnischen Gruppen unter Führung der Partei» sprechen, während hunderttausende Uiguren in Xinjiang in Umerziehungslagern sitzen, dann wirkt dies mehr als zynisch.
Und dennoch bot die Show am Montagabend auch viele beachtliche Momente - etwa eine atemberaubende Taichi-Performance auf den Dächern der drei grössten Wolkenkratzer in Shanghai, Chongqing und Guangzhou. Und direkt um Mitternacht wünschten die drei chinesischen Astronauten – live zugeschaltet vom Shenzhou-13 Raumschiff rund 400 Kilometer über der Erdoberfläche – allen Chinesen ein glückliches, neues Jahr.
Wenig später kam dann auch noch ein Europäer zu Wort: IOC-Präsident Thomas Bach, zugeschaltet aus dem Olympischen Dorf. Der Deutsche versuchte, seine Neujahrsgrüsse ebenfalls in radebrechendem Chinesisch loszuwerden. Ob seine Worte unter den Zuschauern für unfreiwillige Komik gesorgt haben, ist schwer zu sagen: Auf Weibo zumindest herrschte «positive und warme» Neujahrsstimmung.