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Mit einer Art «Grundgesetz fürs Internet» will die EU die Sozialen Netzwerke und andere Plattform-Betreiber in die Pflicht nehmen und ihre Macht begrenzen. Aber die Tech-Giganten rüsten sich zum Lobby-Krieg.
Am Anfang, im Jahr 1998, war Google noch eine einfache Suchmaschine. Heute, über 20 Jahre später ist aus dem ehemaligen Start Up aus einer kalifornischen Garage ein milliardenschwerer Riese geworden. Zusammen mit anderen Tech-Giganten wie dem Online-Händler Amazon, dem sozialen Netzwerk Facebook und dem iPhone-Hersteller Apple gehört Google zu den wertvollsten Firmen der Welt. Sie sind so stark geworden, dass neben ihnen fast keine Konkurrenz mehr möglich ist.
Das ist ein Problem. Statt einem freien Markt entstehen im Digitalbereich so neue Monopole, was immer öfter die Behörden auf den Plan ruft. In den USA haben kürzlich 48 der insgesamt 50 Bundesstaaten eine Klage gegen Facebook eingereicht, weil es mit dem Kauf des Nachrichtendienstes WhatsApp und der Foto-Plattform Instagram eine Monopolstellung aufgebaut habe. Anfang Woche hat die US-Wettbewerbsbehörde Facebook, Amazon und sieben weitere IT-Firmen gezwungen, Information darüber zu liefern, wie sie die persönlichen Daten ihrer Nutzer sammeln und auswerten.
Und auch Europa nimmt die Tech-Giganten ins Visier. Allen voran die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat sich einen Namen gemacht als «harter Hund», der auch von den mächtigen Tech-Bossen im Silikon Valley nicht zurückschreckt.
Am Dienstag nun setzte Vestager im Verbund mit dem Binnenmarktkommissar Thierry Breton zum grossen Wurf an. Zusammen präsentierten sie zwei neue Gesetze, die man als eine Art «digitales Grundgesetz» beschreiben könnte. Es ist ein Versuch, die Anarchie im Internet, wo bislang das Recht des Stärkeren galt, zu beenden.
Im Grunde geht es um zwei Dinge:
It is one world. So #DigitalServiceAct & #DigitalMarketsAct will create safe & trustworthy services while protecting freedom of expression. Give new do’s & don’t to gatekeepers of the digital part of our world - to ensure fair use of data, interoperability & no self-preferences.
— Margrethe Vestager (@vestager) December 15, 2020
Regulating the digital space *for* and not against anyone or any company.
— Thierry Breton (@ThierryBreton) December 15, 2020
For our 🇪🇺 citizens.
For our democracy.
For a fair market for our SMEs, companies of all sizes and entrepreneurs.https://t.co/tZMOgTZSTm pic.twitter.com/EzVKCWkJQt
Die europäische Offensive ist ambitioniert. Sie bringt die EU in Sachen Regulierung des Internets in eine Vorreiterrolle. Möglich ist das nur, weil die EU mit ihrem Binnenmarkt von 450 Millionen Konsumenten und Konsumentinnen eine wirtschaftliche Supermacht ist: Wollen die Tech-Giganten weiter in Europa Geschäfte machen, müssen sie sich an die Regeln halten. Schon mit ihrem neuen Datenschutzgesetz hat die EU gezeigt, dass sie in der Lage ist, Standards zu setzen, an denen sich die anderen Weltregionen orientieren müssen. Den «Brüssel-Effekt» nennt dies die finnisch-amerikanische Rechtsprofessorin Anu Bradford, den auch die Schweiz als mit der EU eng verbandeltes Land regelmässig zu spüren bekommt. Mit den USA, die sich nur ungern von den Europäern etwas sagen lassen, kann das durchaus für Spannungen sorgen. Noch US-Präsident Donald Trump nennt Margrethe Vestager nur noch «Europas Steuer-Lady.»
Bis das «Digitale Grundgesetz» in Kraft treten kann ist es aber noch ein langer Weg. Erst müssen das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten zustimmen. Google, Amazon und Co. jedenfalls führen bereits seit Wochen eine aggressive Lobby-Schlacht gegen die Regulierung. Allein Google soll für seine Lobby-Arbeit in Brüssel rund sechs Millionen Euro ausgeben. Insgesamt schätzen Experten das Budget der Tech-Lobby in Brüssel auf jährlich 20 Millionen, was doppelt so viel wäre wie die europäische Autoindustrie. Ein 18-seitiges Google-Papier, das vor rund einem Monat durchgesickert ist, zeigt, wie der Tech-Gigant auch vor persönlichen Angriffen auf den zuständigen EU-Kommissar Thierry Breton nicht zurückschreckt. Am meisten Wirkung würden die US-Konzerne aber entfalten, wenn sie den schlagkräftigsten aller Lobbyisten mobilisieren könnten: Die amerikanische Regierung.