EU-MINISTERTREFFEN
Keller-Sutter will besonderen Schutz für ukrainische Kriegsflüchtlinge

Bundesrätin Karin Keller-Sutter wird dem Bundesrat den besonderen Schutzstatus für ukrainische Flüchtlinge beantragen. Falls die EU eine Verteilung von Schutzsuchenden beschliesst, wird die Schweiz auch daran teilnehmen.

Remo Hess, Brüssel
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Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Gespräch mit ihrem griechischen Kollegen Notis Mitarachi.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Gespräch mit ihrem griechischen Kollegen Notis Mitarachi.

Keystone

«Felix Helvetia» (glückliche Schweiz) dachte sich Justizministerin Karin Keller-Sutter nur, als sie am Mittwoch an der Parlamentssession in Bern teilnahm. Angesichts der Tragödie, die sich gerade in der Ukraine abspielt, würden die hiesigen Probleme schon sehr klein erscheinen.

Mehr als eine Millionen Menschen hat der Krieg bereits in die umliegenden Länder Polen, Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Moldawien vertrieben. Bald werden es noch viele mehr werden. Von «mehreren Millionen» geht EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson aus.

Beim Treffen der EU-Innenminister in Brüssel beriet Keller-Sutter am Donnerstag deshalb mit ihren Kollegen die Frage: Was machen? Während die EU eine Notfallregel in Kraft setzt und Ukrainerinnen und Ukrainern eine besondere Protektion zukommen lässt, wird Keller-Sutter dem Bundesrat am Freitag die Aktivierung des Schweizer Pendants, dem sogenannten «Schutzstatus S» vorschlagen.

Bald auch in der Schweiz? Flüchtlinge aus der Ukraine im Zug nach Warschau.

Bald auch in der Schweiz? Flüchtlinge aus der Ukraine im Zug nach Warschau.

Keystone

Schnelle, unbürokratische Unterstützung für alle Ukrainerinnen und Ukrainer

Das heisst, alle Ukrainerinnen und Ukrainer können in die Schweiz kommen und erhalten hier automatischen Schutz, ohne das reguläre Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Dieser Schutzstatus soll vorerst für ein Jahr gelten und garantiert den Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung und nach drei Monaten auch zum Arbeitsmarkt.

Wie viele Vertriebene tatsächlich den Weg in die Schweiz finden werden, kann noch niemand abschätzen. Keller-Sutter:

«Wir haben sehr wenige Menschen, die im Moment in die Schweiz kommen, weil die Diaspora eine sehr grosse Rolle spielt.»

Wenn man sich aber vor Augen führt, dass in der Schweiz rund 11’000 Menschen mit einem ukrainischen Pass leben und annimmt, dass jeder von ihnen ein oder mehrere Familienmitglieder wie Eltern, Schwester oder Cousins zu sich holen könnte, kriegt man schnell eine Ahnung, in welchem Rahmen sich die Zahlen bewegen könnten.

Das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) hat jedenfalls schon einen Asyl-Krisenstab eingesetzt, der mit den Kantonen die Massnahmen koordiniert. Keller-Sutter begrüsst es auch, dass es in der Bevölkerung und von Privaten eine breite Solidarität und Aufnahmebereitschaft gibt. Keller-Sutter: «Wir sind bereit, dass diese Privatunterkunft möglich ist».

Schweiz will sich an Flüchtlinsverteilung beteiligen, sobald sie nötig wird

Die Schweiz ist aber auch bereit, sich an einer europaweiten Verteilung von Kriegsflüchtlingen zu beteiligen. Über diesen Solidaritätsmechanismus würden dann ähnlich wie nach der Flüchtlingskrise 2015 Menschen direkt auf alle Staaten der EU verteilt, sofern diese zur Aufnahme bereit sind.

Bisher heisst es von betroffenen Länder wie Polen oder Ungarn, dass es trotz der hohen Ankunftszahlen dafür noch kein Bedürfnis gebe. Weshalb sie diese Hilfe ablehnen, die ihnen die EU-Partner anbieten, darüber gibt es bloss Spekulationen. Möglich ist, dass man das Instrument der Flüchtlingsverteilung so lange hinauszögern möchte, weil man befürchtet, dann auch bei der laufenden Revision des gemeinsamen Asylsystems einen Verteilschlüssel akzeptieren zu müssen. Das haben Polen und Ungarn bislang kategorisch abgelehnt.

Auf die Frage, ob die Tragödie in der Ukraine auch für das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union Auswirkungen habe, sagt Keller-Sutter: «Ob es etwas auslöst, ist schwierig zu sagen». Sie hoffe aber mindestens, dass man sich nun bewusst werde, dass man nicht noch mit der Frontex-Abstimmung die Teilnahme an Schengen-Dublin gefährde. Wäre man in einer Krise wie jetzt von dieser sicherheits- und migrationspolitischen Zusammenarbeit ausgeschlossen, wäre das für sie ein «Scherbenhaufen», so Keller-Sutter.