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In Las Vegas kam es zum tödlichsten Schiesserei der US-Kriminalgeschichte. Der Amokläufer war ein 64-jähriger Amerikaner, die Polizei fand den Pensionär nach der Stürmung des Hotelzimmers tot vor. Wir halten Sie im Newsblog auf dem Laufenden.
Ein Amokläufer tötet während eines Musikfestivals mindestens 59 Menschen. Nun zerbrechen sich die Ermittler den Kopf über das Motiv des 64-jährigen Pensionärs.
Als am Montagmorgen in Las Vegas (Nevada) die Sonne aufging, sendete ein Fernsehhelikopter die ersten Bilder des «Mandalay Bay Resort and Casino» am legendären «Strip», in unmittelbarer Nähe des internationalen Flughafens der Glücksspieloase. Auf der 32. Etage (gemäss amerikanischer Zählweise) waren zwei Fenster des markanten, goldfarbigen Baus zerstört. Hinter diesen Fenstern hatte sich in der Nacht zuvor der 64-jährige Stephen Paddock verschanzt, um das bislang schlimmste Schusswaffen-Attentat in der an solchen Attentaten reichen Geschichte der USA anzurichten.
Paddock hatte wenige Minuten nach 22 Uhr (Lokalzeit) mit mehreren Schnellfeuerwaffen wahllos auf rund 22'000 Musikfans geschossen, die sich auf einem etwa 300 Meter entfernten Konzertgelände vergnügten, das auf der gegenüberliegenden Seite des «Strip» liegt.
Der Country-Star Jason Aldean war soeben daran, im «Las Vegas Village» – ein Open-Air-Areal, das sich wie das Hotel «Mandalay Bay» im Besitz des börsenkotierten Unterhaltungskonzerns MGM Resorts International befindet – das drei Tage dauernde «Route 91 Harvest Festival» mit seinem Auftritt zu beenden. Er sang «When She Says Baby», dann ertönten, in schneller Abfolge, Schüsse, und das «Las Vegas Village» verwandelte sich in ein Schlachtfeld.
Kaltblütig ermordete der Amokläufer am Sonntag mindestens 58 Menschen; über 500 mussten gemäss Polizeiangaben in Spitäler im Grossraum Las Vegas eingeliefert werden. Erst 70 Minuten nach dem ersten Notruf gelang es der Polizei, sich gewaltsam Zutritt in das Hotelzimmer zu verschaffen. Paddock war zu diesem Zeitpunkt bereits tot, wohl weil er seinem eigenen Leben ein Ende gesetzt hatte.
Zurück bleiben Trauer, Schmerz und viele offene Fragen. So ist der Amokläufer, buchstäblich, ein unbeschriebenes Blatt. Der weisse Mann war weder der Polizei in Las Vegas noch den Ordnungshütern an seinem Wohnort Mesquite (Nevada) – einer Kleinstadt rund 70 Autominuten von Las Vegas entfernt – in der Vergangenheit negativ aufgefallen. Auch in der Hauptstadt Washington hiess es vorerst, dass Paddock weder der Bundespolizei FBI noch dem Sicherheitsministerium ein Begriff sei.
Trotz einer entsprechenden Stellungnahme der Terror-Gruppe IS gebe es derzeit keinen Hinweis darauf, dass Paddock ein Mitläufer des Islamischen Staates gewesen sei, sagte FBI-Agent Spezialagent Rouse in Las Vegas. Auch seine Brüder fielen am Montag aus allen Wolken. «Wir können das nicht verstehen», gab Eric Paddock an einer improvisierten Pressekonferenz in Orlando (Florida) zu Protokoll.
Und: «Etwas muss passiert sein.» Sein Bruder sei ein ganz normaler Kerl gewesen, der sich oft in Las Vegas vergnügt habe. Stephen Paddock sei geschieden, habe zusammen mit seiner Freundin Marilou Danley (62) gewohnt, seinen Ruhestand genossen und sich weder politisch noch religiös betätigt, sagte Eric Paddock.
(Danley gilt als «Person of Interest», befindet sich aber gemäss Polizeiangaben derzeit nicht in den USA.) Ein anderer Bruder, Bruce Paddock, der in Kalifornien lebt und keinen Kontakt mehr mit Stephen hatte, wies darauf hin, dass ihr Vater Benjamin Paddock gewesen sei – der in den Sechziger- und Siebzigerjahren landesweit wegen Bankraubs gesucht worden war.
Auch das Wohnhaus des Täters gab allem Anschein nach keine Aufschlüsse über das Motiv. Ein Polizist aus Mesquite sagte nach einer Hausdurchsuchung in einem Quartier, das sich explizit an Ruheständler richtet, dass die Ordnungshüter «nichts Ungewöhnliches» vorgefunden hätten – ausser einigen Waffen und etwas Munition. Paddock war 2015 nach Mesquite gezogen.
Auch auf der 32. Etage im «Mandalay Bay Resort» fand die Polizei gegen zehn Waffen, darunter mehrere Maschinengewehre. Entgegen dem Klischee ist es für amerikanische Zivilisten – Paddock hatte gemäss seinem Bruder Eric keinen Militärdienst geleistet – fast unmöglich, sich eine neue vollautomatische Waffe zu beschaffen. Allerdings befinden sich gemäss Zahlen aus dem Jahr 2016 rund eine halbe Million solcher Waffen im Umlauf, die bei der Aufsichtsbehörde ATF (Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives) registriert sind.
Ganz offensichtlich entschloss sich Stephen Paddock aber nicht spontan, ein Massaker anzurichten. Gemäss der Polizei in Las Vegas hatte er seinen Raum auf der 32. Etage bereits am vergangenen Donnerstag angemietet – wie es ihm gelang, sein Waffenarsenal vor den neugierigen Blicken des Hotelpersonals zu verstecken, ist Gegenstand von Ermittlungen.
Sheriff Joe Lombardo, zuständig für den Verwaltungsbezirk Clark County, zu dem Las Vegas zählt, versicherte aber am Montag, dass Paddock alleine gehandelt habe. «Las Vegas ist sicher», sagte Steve Sisolak, der Vorsitzende der Regierung des Bezirkes Clark County. Sowohl Lombardo, ein Republikaner, als auch Sisolak, ein Demokrat, sagten, dass die Rettungskräfte eine noch viel schlimmere Tragödie verhindert hätten, in dem sie verletzte Menschen zur Seite gestanden seien.
Derweil verurteilte Präsident Donald Trump in Washington die Tat als «schlicht und einfach teuflisch». Er werde am Mittwoch nach Las Vegas reisen, um mit Hinterbliebenen, Überlebenden und Rettungskräften zu sprechen.
Jason Aldean meldete sich vorerst nur auf Instagram zu Wort. «Ich weiss immer noch nicht so recht, was ich sagen soll», sagte der Country-Sänger. «Mein Herz schmerzt.»
(Renzo Ruf in Washington; Montagabend Schweizer Zeit)