Deutschland
Hat sie das Zeug zur Kanzlerin? Annalena Baerbock will in Merkels Fussstapfen treten

Die Co-Chefin der Grünen stellt ihren parteiinternen Herausforderer in vielerlei Hinsicht in den Schatten. Ihre Erfolgsaussichten sind besser als je zuvor.

Christoph Reichmuth, Berlin
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Traut sich das hohe Amt zu: Annalena Baerbock, 40, Co-Chefin der Grünen.

Traut sich das hohe Amt zu: Annalena Baerbock, 40, Co-Chefin der Grünen.

Clemens Bilan/EPA

Dass Annalena Baerbock hoch hinaus kommen kann, hat sie schon in jungen Jahren bewiesen: Im Trampolinspringen belegte die heutige Co-Chefin der Grünen bei den deutschen Meisterschaften drei Mal den dritten Rang. Ob der Völkerrechtlerin auch der Sprung ins Kanzleramt gelingen wird, bleibt abzuwarten. Ihre Chancen sind jedenfalls intakt. Aktuelle Umfragen sehen den einstigen Bürgerschreck der 1980er-Jahre jedenfalls bei stattlichen 23 Prozent, gerade noch vier Prozent hinter der Union von Kanzlerin Merkel.

Die Ökopartei entscheidet am Montag, ob sie Baerbock oder doch ihren Co-Vorsitzenden Robert Habeck ins Rennen um die Merkel-Nachfolge schicken will. Anders als bei den Streithähnen Armin Laschet und Markus Söder der Union führt die Kandidatenfrage bei den Grünen bislang kaum zu Turbulenzen. «Keinem von uns fällt es schwer zu sagen: Du bist der oder die Richtige», sagte Baerbock kürzlich dem «Spiegel».

Noch vor wenigen Monaten stand Baerbock für die Kanzlerschaft gar nicht ernsthaft zur Debatte. Es schien ausgemacht, dass die Grünen mit Robert Habeck ins Rennen steigen werden. Die Beliebtheitswerte des 51-jährigen Philosophen und Germanisten gingen zeitweise durch die Decke.

Mit zwei Jahren an der ersten Demo

Doch Annalena Baerbock ist längst aus Habecks Schatten herausgetreten. In den letzten Monaten erhielt Baerbocks Popularität landesweit einen Schub. In parteiinternen Umfragen hat sie ihren Co-Chef inzwischen überholt. Die Grünen bestätigten sie auf ihrem Parteitag 2019 mit 97 Prozent der Stimmen an der Parteispitze. Entscheidend für die feministisch geprägten Grünen könnte letztlich auch die Genderfrage sein.

Die Co-Chefs der Grünen: Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Die Co-Chefs der Grünen: Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Kai Nietfeld/AP

Sachfragen pariert die zweifache Mutter deutlich besser als Habeck, der schon öfter Wissenslücken offenbarte. Baerbock ist zwar erst seit 2005 bei den Grünen. Doch «grün» tickt die 40-Jährige seit ihrer Kindheit. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in der Nähe von Hannover, wurde sie von ihren Eltern schon als Zweijährige auf Demos gegen Atomkraft und für Umweltschutz mitgenommen. An der Wand ihres Kinderzimmers hing nicht das Poster eines Popidols, sondern ein Greenpeace-Plakat.

Nach dem Politikstudium zog es Baerbock für ein Praktikum in den Europäischen Rat nach Strassburg, später arbeitete sie als Büroleiterin einer grünen Europaabgeordneten und zog 2013 in den Bundestag ein.

Niemand ist so gebildet wie die Grünen

Ob die politisch noch relativ unerfahrene Annalena Baerbock das Zeug zur Merkel-Nachfolgerin hat, ist offen. «Sicher ist es gut, schon 20 Jahre regiert zu haben», sagte sie auf eine entsprechende Frage, um hinzuzufügen: «Jetzt geht’s darum, die Zukunft zu bauen.» Baerbock traut sich das Amt jedenfalls zu. Falls am Ende doch Robert Habeck ins Rennen geschickt wird, hätte sie daran für einen Moment zu kauen, räumt sie ein:

«Natürlich wäre es am Ende ein kleiner Stich ins Herz.»

Dass eine grüne Kandidatur überhaupt ernsthafte Chancen auf das Kanzleramt hat, ist bemerkenswert. Die Partei hat seit ihren Anfängen in den 1980er-Jahren eine gewaltige Transformation durchlebt. Die Partei ist im politischen Establishment angekommen und wird dominiert von «Realos» der Mitte, zu denen auch Baerbock und Habeck zählen.

Die Ökopartei ist derzeit in 11 von 16 Landesregierungen vertreten, im konservativen Baden-Württemberg stellt sie gar den Regierungschef. «Die Grünen sind heute eine stark akademisierte Partei mit dem durchschnittlich höchsten Bildungsgrad aller Parteien in Deutschland», sagt der Demokratieforscher Wolfgang Merkel. «Ihre Verwurzelung im politisch linken Spektrum ist nur noch lose. Sie sind in der Mitte des Systems angekommen.»