Die Auflösung der politischen Strukturen in Italien ist weit fortgeschritten und die Regierungsbildung sehr schwierig. Ein Blick auf die Rechten.
«Me ne frego!» ruft Lega-Chef Matteo Salvini von der Bühne in Latina. Seine Anhänger auf der Piazza johlen und rufen zurück: «Boia chi molla!». Die beiden Ausdrücke – der erste bedeutet «ich pfeif drauf», der zweite «zum Henker, wer aufgibt» – sind zwei Klassiker aus der Zeit der Mussolini-Diktatur und auch heute noch Bestandteile des neofaschistischen Vokabulars. «ME-NE-FRE-GO!» wiederholt Salvini und erklärt darauf seinem Publikum mit breitem Grinsen, dass die linke Regierung ihn deswegen wohl verhaften werde. Immerhin hatte das Parlament erst vor einem halben Jahr ein Gesetz erlassen, das die Verherrlichung des Faschismus unter Strafe stellt.
Aber Salvini weiss, dass er von der Regierung oder der Justiz nichts zu befürchten hat. Nachdem der Neofaschist und ehemalige Lega-Kandidat Luca Traini Anfang Februar in Macerata aus einem fahrenden Auto wahllos auf dunkelhäutige Passanten geschossen und acht Menschen zum Teil schwer verletzt hatte, verzichtete der sozialdemokratische PD von Regierungschef Paolo Gentiloni und Parteichef Matteo Renzi sogar auf die Teilnahme an der Protestkundgebung. Auch der Auftritt des Führers der neofaschistischen Forza Nuova in der Innenstadt von Bologna am letzten Freitag ist folgenlos geblieben – trotz «Duce, Duce»-Sprechchören, Mussolini-Transparenten und Faschistengruss.
Der Grund für die Zurückhaltung sind nicht nur die Wahlen, sondern auch eine Umfrage, die eine posthume Renaissance des Diktators und seiner faschistischen Ideologie nahelegt. Laut der Erhebung bewerten 19 Prozent der Italiener die Mussolini-Ära, der Italien in eine Allianz mit Adolf Hitler, in den Zweiten Weltkrieg und in eine verheerende militärische Niederlage geführt hatte, inzwischen wieder als positiv. Eine weitere Erkenntnis der Umfrage: Nur 73 Prozent der Befragten verurteilen Trainis Tat ohne Einschränkung. 12 Prozent gaben an, dass das Schiessen auf Menschen zwar ein Verbrechen sei, aber dass es «inzwischen einfach zu viele Schwarze in Italien» gebe. Weitere 11 Prozent fanden, dass Traini «nur gemacht hat, was viele andere auch gerne täten».
In Latina hatte Salvini, der die separatistische Lega Nord in eine rechtsnationale und rassistische Partei nach dem Vorbild des französischen Front National umgeformt und den Zusatz «Nord» gestrichen hat, ein Heim- spiel: Die rund 60 Kilometer südöstlich von Rom liegende 120 000-Einwohner-Stadt war in den Dreissigerjahren von Mussolini gegründet worden.
Die nächste Bühne Salvinis könnte Rom sein – mit dem Lega-Chef als Innenminister einer neuen Rechtsregierung. Die letzten Umfragen prophezeien einen möglichen Durchmarsch des Rechtslagers: Dem Wahlbündnis aus Silvio Berlusconis Forza Italia (in den Umfragen bei 16,3 Prozent), der Lega Salvinis (13,2 Prozent) und den postfaschistischen «Brüdern Italiens» (4,8 Prozent) fehlen für eine absolute Sitzmehrheit im Senat und im Abgeordnetenhaus nur noch eine Handvoll Sitze. Als stimmenstärkste Koalition profitiert das Rechtsbündnis massiv vom neuen Wahlsystem, in welchem ein gutes Drittel der Sitze über Direktmandate in Einerwahlkreisen vergeben werden (die restlichen Sitze werden im Proporzsystem ermittelt).
Die Wahl wird wohl im Süden Italiens entschieden werden, wo sich die meisten «Wackel-Wahlkreise» befinden. Nicht umsonst hat der Mailänder Salvini, der den Süden und seine Bewohner jahrelang als mafiös und arbeitsscheu verunglimpft hatte, seine letzten Wahlkampfauftritte vor Latina im Mezzogiorno absolviert.
In Messina und Reggio Calabria war Salvini letzte Woche noch mit den Pfiffen von Gegendemonstranten begrüsst worden. Dies musste er in Latina nicht befürchten. Salvini sei der einzige Kandidat, der im Falle eines Wahlsiegs dafür sorgen würde, «dass die Neger wieder dorthin gebracht werden, wo sie hergekommen sind», betonte ein Anhänger. Eine alleinerziehende Mutter sagte, dass Salvini eine Garantie dafür wäre, dass man bei der Abwehr eines Einbrechers den Eindringling auch töten dürfe. Der mögliche künftige Innenminister formulierte seine Ansichten dazu so: «Wenn einer mein Haus betritt und es auf einer Totenbahre wieder verlässt, dann ist das sein Problem, nicht meines. Vielleicht sucht er sich in seinem nächsten Leben eine andere Arbeit.» Die Piazza dankte es mit Jubel und lange anhaltendem Applaus.