Die zivilen Mitglieder der Regierung wurden festgesetzt, der Premierminister verschleppt. Die Hintergründe zum versuchten Putsch.
Der Flughafen ist umstellt, das Militär blockiert alle strategischen Verkehrsadern. Aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum gab es am Montag kein Entkommen. Wer das Fernsehen einschaltete, hörte nur patriotische Lieder - über den Verbleib des entführten Premierministers schwieg der Staatsfunk zunächst.
Später trat Sudans Armeeführer, General Abdel Fattah Burhan, vor die Kameras und erklärte die Übergangsregierung für aufgelöst. Landesweit gelte der Ausnahmezustand. Zwei Jahre nach der «Revolution» gegen Ex-Diktator Omar al-Baschir ist es der Armee offenbar erneut gelungen, die Macht an sich zu reissen.
Augenzeugen berichteten von «schwer bewaffneten Truppen», die am Montagmorgen durch die Strassen von Khartum patrouillierten. Kurz vor Sonnenaufgang hätten Soldaten die Residenz von Ministerpräsident Abdalla Hamdok umstellt und den Regierungschef gezwungen, eine Machtübergabe zu verkünden. Da er sich weigerte, sei er verschleppt worden.
«Zivile Mitglieder und etliche Minister der Übergangsregierung wurden von Militärkräften festgenommen und an einen unbekannten Ort geschafft», teilte das Informationsministerium vor dem Online-Blackout mit. Kurz darauf seien Soldaten auch über die Nil-Brücke gedrungen, welche die Hauptstadt von der Nachbarstadt Omdurman trennt, und hätten dort die Zentrale des staatlichen Rundfunks gestürmt.
In Sozialen Medien kursierten Bilder von brennenden Autoreifen und Strassenbarrikaden: Wütende Männer vor Rauchschwaden, an ihrer Seite Frauen und selbst Kinder. «Regierungsstürze gründen oft in sozialer und politischer Unzufriedenheit», sagt Mohamed Gaas, Forscher am Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Addis Abeba. Der Sudan stecke inmitten einer schwierigen Übergangsphase. Und weiter:
«Angesichts seiner Vorgeschichte von Coups überrascht mich dieser hier auch nicht.»
Vor zweieinhalb Jahren war es in Khartum und anderen Städten zu Massenprotesten gekommen. Frauen und Demokratieaktivisten spielten eine zentrale Rolle bei dem Aufstand, der damals nach 30 Jahren die Gewaltherrschaft von Omar al-Baschir beendete. Nach al-Baschirs Entmachtung durch die Armee kam es zu vielen gesellschaftlichen Lockerungen. Frauenbeschneidungen wurden verboten, die unterdrückte christliche Minderheit durfte wieder frei ihren Glauben ausüben und der Bürgerkrieg in der Unruheregion Darfur wurde durch ein Friedensabkommen beendet.
Jedoch brodelte es in der Übergangsregierung schon länger. Militärische und zivile Mitglieder des «Souveränen Rates» beschuldigten einander, die «Revolution» von 2019 zu betrügen. Bereits vorigen Monat unternahmen Uniformierte deshalb einen Putschversuch. Einige Experten machten Schergen von Ex-Diktator al-Baschir verantwortlich.
Doch General Mohamed Hamdan Dagolo, Vizepräsident des Souveränen Rates, beschuldigte niemand anderen als die zivilen Übergangspolitiker:
«Sie haben die Türen für einen Coup geöffnet, da sie die Bürger und deren Lebensgrundlagen vernachlässigen.»
Letzte Woche gingen die Sudanesen wieder zu Zehntausenden auf die Strasse. Sie forderten die vollständige Machtübergabe an eine Zivilregierung. Aber auch die Unterstützer der Armee demonstrierten. «Beide Lager geniessen gesellschaftlichen Rückhalt, was die ganze Situation auf lange Sicht noch gefährlicher macht», sagt Politikexperte Gaas. Die Armee stiess am Montag auf Widerstand, als Tausende Demonstranten gegen die Machtübernahme protestierten.
Für den wirtschaftlich schwer angeschlagenen Sudan ist der erzwungene Umbruch ein weiterer Rückschlag. Der US-Sondergesandte für Ostafrika, Jeffrey Feltman, der am Wochenende noch mit Sudans Machthabern sprach, zeigte sich am Montag «tief alarmiert» über die Entwicklung. Ein erneuter Putsch sei inakzeptabel und würde zu einer Aussetzung der US-Hilfe führen. Auch die EU äusserte Sorge, während Human Rights Watch von einem «schweren Schlag» gegen Sudans zivilen Übergangsprozess sprach.