Die Insel steht Kopf: Das Vereinigte Königreich feiert das 70. Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. Das Herzstück der viertägigen Party bildete die pompöse Militärparade «Trooping the Colour» am Donnerstag. Am Freitag wird weniger ausgelassen gefeiert – und das hat einen ganz speziellen Grund.
Als die grossen Militärflieger über den Buckingham Palast donnern, wird es dem Kleinsten zu viel. Prinz Louis, mit vier Jahren der jüngste Urenkel der Queen, hält sich die Ohren zu und schneidet Grimassen. Was Vierjährige eben so machen, wenn sie sich schon seit Stunden benehmen müssen.
Der Überflug der Royal Air Force ist der Höhepunkt der grossen Parade zu Ehren des 70. Thronjubiläums von Königin Elizabeth II. Aber nicht nur die Bilder der Kampfjets, die im Formationsflug eine «70» bilden, dürften in Erinnerung bleiben. Sondern vor allem auch der kleine Prinz, der dem vielleicht letzten richtig grossen Auftritt der Queen auf dem Buckingham-Balkon etwas durch und durch Menschliches verleiht.
Die Queen, so scheint es, ist im 70. Jahr ihrer Regentschaft auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit angekommen. Zu Hunderttausenden walzten sich die Menschenmassen schon früh morgens durch die Londoner Innenstadt, um einen Blick auf den Palast erhaschen zu können. Oder zumindest auf die «Mall», die Prachtstrasse Londons, auf der am Donnerstagvormittag 1200 Soldaten mit über 200 Pferden paradierten. Der heimliche Star der Veranstaltung: Seamus, der grosse graue Wolfshund ist das offizielle Maskottchen der Irish Guards - und wurde in den sozialen Medien direkt zum Star.
Seamus the Irish wolfhound ‘stealing the show’ at Trooping the Colour https://t.co/odi5Ynqjck
— The Independent (@Independent) June 2, 2022
Dass nur ein Bruchteil der Menschen tatsächlich einen eigenen Blick auf die Parade werfen konnte, tat der Stimmung in London keinen Abbruch. Eingehüllt in Flaggen mit dem Union Jack, Papierkrone auf dem Kopf und häufig auch in den britischen Landesfarben gekleidet feierten die Menschen ihre Königin.
Kein Wunder: Acht von zehn Britinnen und Briten haben einer aktuellen Umfrage zu Folge ein positives Bild von Elizabeth II. Sie ist mit Abstand das beliebteste Mitglied der britischen Royals. Es folgen Prinz William und seine Frau Kate. Thronfolger Charles und Camilla können da bei weitem nicht mithalten. Und Prinz Harry und seine Frau Meghan sind bei den meisten Briten ohnehin unten durch. Dass die beiden gestern auch zu den Feierlichkeiten erschienen, war durchaus eine Überraschung – und gilt für Beobachter als Zeichen einer möglichen Versöhnung zwischen dem in die USA ausgewanderten Paar mit dem Königshaus.
Für Dramen war ohnehin kein Platz an diesem Donnerstag. Es wurde ausgelassen gefeiert – und gratuliert. US-Präsident Joe Biden schickte seine Glückwünsche, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wartete mit einem besonderen Geschenk für die Pferdeliebhaberin Elizabeth auf: einem Hengst der Republikanergarde, samt Zaumzeug und Zügel. Und auch der kleine Louis hatte seine Gesichtszüge bald wieder im Griff, als ihm die entspannte Urgrossmutter ein paar (hoffentlich) nette Worte ins Ohr flüsterte.
Nach den Feierlichkeiten am Donnerstag kommt an diesem Freitag indes der Moment des Innehaltens für Elizabeth Mary Alexandra Windsor. Von diesem Moment hatte sie in ihrer Dankbotschaft zum «Platinjubiläum» gesprochen: «Hoffentlich werden wir Gelegenheit haben, das in 70 Jahren Erreichte zu bedenken, während wir zuversichtlich und enthusiastisch der Zukunft entgegensehen.» Es ist der Moment, in dem die Monarchin ihren Ehrenplatz einnimmt beim Dankgottesdienst in der Londoner Pauls-Kathedrale.
Elizabeth II ist in vielerlei Hinsicht aus der Zeit gefallen, das bringt ihr gesegnetes Alter von 96 Jahren automatisch mit sich. Auch hat sie ihrer Funktion entsprechend «ein so ausserordentlich privilegiertes und so ausserordentlich eingeschränktes Leben» gelebt, wie ihr verstorbener Biograph Ben Pimlott einst schrieb, dass sie mit normalen Menschen wenig gemeinsam zu haben scheint. Das ausgeglichene Temperament der Monarchin sei ja kein Wunder, scherzt Pimlotts US-Kollegin Sally Bedell Smith: «In ihrem ganzen Leben musste sie noch nie einen Parkplatz suchen.»
Wie im Profanen, so unterscheidet sich das Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland sowie weiterer 14 Territorien von Kanada bis zum Südseezwerg Tuvalu auch im Spirituellen von den meisten ihrer Untertanen. Im durch und durch säkularen Grossbritannien jedenfalls fällt die Queen durch ihre tiefe Religiosität aus dem Rahmen. Es ist eine unspektakuläre, weltoffene Frömmigkeit, die man keinesfalls mit Frömmelei verwechseln sollte.
In einer gerade erst ausgestrahlten BBC-Dokumentation, für die das royale Familienarchiv brillante Farbfilme aus den 1930er Jahren zur Verfügung stellte, spricht die Jubilarin nüchtern über die menschliche Sterblichkeit, auch ihre eigene: «Wir sind alle nur Durchreisende, Besucher unserer Zeit, unserer Welt.» Ihr selbst habe der Glaube Halt gegeben auch in schwierigen Zeiten, ihr dabei geholfen, auf lange Sicht zu denken. Das sei vielleicht generell keine schlechte Idee, «ob wir nun an Gott glauben oder nicht».
In ihren Weihnachtsansprachen, die mit zunehmendem Alter religiöser ausgefallen sind, spricht sie ganz schlicht von Jesus und seiner Botschaft der Nächstenliebe. «Das mag vielen klischeehaft erscheinen, aber sie glaubt daran», weiss der Autor Andrew Gimson.
Dieser tiefverwurzelte Glaube speist sich aus den Kindheitsritualen und biblischen Geschichten, die Elizabeth von ihrer Mutter gelernt hat. Dazu gehörte lange Zeit auch das Abendgebet, am Bett knieend – diese Gewohnheit dürfte für die mittlerweile stark Gehbehinderte ebenso der Vergangenheit angehören, wie sie inzwischen das tägliche Gassi-Gehen mit den Corgis sowie ihre Ausritte aufgeben musste.
Aus der Zeit als frischgebackene Kronprinzessin der späten 1930er Jahre stammt eine wunderbare Anekdote, die Gimson in seinem vergnüglichen Buch über die englischen Königinnen und Könige wiedergibt. Da habe der damalige Erzbischof von Canterbury, höchster Geistlicher der anglikanischen Staatskirche, deren weltliches Oberhaupt die Prinzessin einmal werden würde, das Mädchen gefragt, ob sie einen Spaziergang mit ihm machen wolle.»Sehr gern», erwiderte Elizabeth artig und fügte hinzu: Aber ich will nicht über Gott reden, über den weiss ich schon alles.»
Ein Nachfolger des derart Zurechtgewiesenen hat bezeugt, die Monarchin kenne das anglikanische Gebetsbuch von 1662 «in- und auswendig». So dürfte der Queen vieles bekannt vorkommen, was an diesem Freitag in der Paulskathedrale gesungen wird – wenn auch nicht unter Leitung des derzeitigen Erzbischofs von Canterbury. Justin Welby fesselt eine Covid-Erkrankung ans Bett, weshalb der Erzbischof von York die Dankmesse zelebriert.
Am Samstag wird es dann wieder ganz weltlich: das wichtigste Pferderennen des Jahres, das Epsom Derby, steht an. Abends dann soll es ein hochkarätig besetztes Konzert geben. Am Sonntag folgt der «Street Pageant» in London, eine Art Strassenkarneval. Und um die von den Nachwehen des Brexit und der Pandemie ein wenig mitgenommenen Briten endgültig wieder zusammenzuschweissen, stossen Millionen von ihnen auf privaten Strassenfesten an - auf ihre Königin Elizabeth II.