Startseite
Blaulicht
Die drei Angeklagten im Dreifachmord von Grenchen sollen lebenslängliche Freiheitsstrafen kassieren. Dies forderte Staatsanwalt Jan Gutzwiller gestern in seinem über vier Stunden dauernden Plädoyer. Von einer Verwahrung will er absehen.
Es handle sich um eines der schlimmsten Verbrechen in der Kriminalgeschichte der Schweiz, so Gutzwiller. Das Verbrechen vom 5.Juni 2009 habe die Schweiz erschüttert.
Die beiden Angeklagten, Güggeli-Griller Guido S. (27) und der ehemalige Hammerwerfer Patric. S (35), nahmen die Strafanträge regungslos hin. Die 51-jährige Ruth S., die als Drahtzieherin der Schenkkreismorde gilt, schüttelte mehrmals den Kopf. Aus Sicherheitsgründen liessen die Polizisten den Männern die Fussfesseln auch im Gerichtssaal an.
Guido S. und Patric S. hätten besonders grausam und verwerflich gehandelt, als sie die dreiköpfige Familie auslöschten. Die 55-jährige Frau und die 35-jährige Tochter wurden mit Plastiksäcken erstickt. Der 60-jährige Ehemann wurde vor den Augen seiner noch lebenden Tochter mit einem Schuss in den Hinterkopf niedergestreckt. Die Männer hatten die Morde im Prozess gestanden.
Das Ehepaar wurde vom ehemaligen Spitzensportler Patric S. getötet, die Tochter von Poulet-Griller Guido S. erstickt. Ruth S. bestritt im Prozess, den Dreifachmord im Zusammenhang mit dem Raub in Auftrag gegeben zu haben.
Weil die Männer die Tötung der Familie gestanden hätten, hätten sie ihren Kopf unmöglich durch Falschaussagen aus der Schlinge ziehen können, führte Gutzwiller aus. Er machte zudem die enge Beziehung der Angeklagten zur Frau geltend. Für den 27-Jährigen sei die 51-Jährige wie eine Ersatzmutter gewesen, für den 35-Jährigen wie eine Schwester. Man liefere die «Mutter» oder die «Schwester» nicht wider besseres Wissen ans Messer, hielt Staatsanwalt Gutzwiller fest. Die Rolle der mutmasslichen Drahtzieherin bezeichnete Gutzwiller als Schlüsselfrage. Das dreiköpfige Amtsgericht müsse sich auf Indizien stützen.
Bei der Strafzumessung warf der Staatsanwalt auch die Frage einer Verwahrung für die beiden Männer auf. Er gab jedoch zu bedenken, dass es sich um Ersttäter handle. Schliesslich sah Gutzwiller davon ab, eine Verwahrung zu fordern. Die Rückfallgefahr für ein Gewaltdelikt sei zwar hoch, aber nicht hoch genug. Der Prozess wird voraussichtlich am Montag fortgesetzt. Das Urteil ist für den 11. Mai vorgesehen.
Die az verfolgte die Gerichtsverhandlung vor Ort:
19:35
Staatsanwalt Jan Gutzwiller ist mit seinem Plädoyer am Ende. Zu seinen Anträgen: Für alle Angeklagten fordert er lebenslängliche Haftstrafen. In Anbetracht der Schwere dürften die Angeklagten nicht vor zehn Jahren entlassen werden. Ruth S. sei zudem in Sicherheitshaft zu nehmen, um ihren Strafvollzug zu sichern. Auf eine Verwahrung sei in allen Fällen zu verzichten.
19:25
«Ich kann die Schwere der Taten kaum in Worte fassen», sagt Gutzwiller als es um die Anträge um die Höhe des Strafmasses geht. Es sei aber klar: Es handle sich um Mord. Die Schwere der Taten sei bei allen drei Angeklagten etwa gleich. Unter 10 Jahren Freiheitsentzug dürfe das Strafmass nicht liegen. Bei Patric S. und Guido S. stelle sich zudem die Frage nach einer stationären Massnahme, also einer Verwahrung.
19:17
«Es ist unglaublich: Die Beschuldigten haben drei Menschen auf dem Gewissen und nur drei Tage später treffen sie sich wieder, um erneut eine schwere kriminelle Tat zu planen», sagt Gutzwiller. Er lässt an den Angeklagten kein gutes Haar. Denn moralische Bedenken hätten diese nach dem Dreifachmord gänzlich vermissen lassen. Von Schuldgefühlen keine Spur. Obwohl Guido S. und Patric S. sich während des Strafverfahrenst immer wieder entschuldigten und Reue zeigten - Gutzwiller nimmt es ihnen nicht ab. Denn die Männer hätten mit ihren Taten sogar noch geprahlt.
19:00
Der Staatsanwalt kommt zu den Strafanträgen: Für keinen der Beteiligten ist für ihn eine Strafe unter 10 Jahren denkbar. Es fehlten Strafmilderungsgründe. Laut psychiatrischem Gutachten seien alle Täter straffähig. Er appelliert an die Richter, sich in die Haut der Opfer zu versetzen und sich vorzustellen, mit welcher Brutalität die Täter diese ermordeten. Insbesondere die Tötung an Dania Dubey zeuge von einer beispiellosen «Geringschätzung von Leben» und «Gleichgültigkeit». Dabei sei nicht nur der Dreifachmord von äusserster Zielstrebigkeit geprägt gewesen, sondern auch andere Taten, die scheitern sollten. Gutzwiller kann nicht erkennen, dass die Beschuldigten ihre Taten nur einen Moment hinterfragt hätten.
18:36
Nun konzentriert sich Staatsanwalt Gutzwiller wieder ganz auf die Rolle von Ruth S. Besonders auffallend sei, dass diese im Strafverfahren eine Salamitaktik anwandte und nur immer so viel zugegeben hätte, wie gerade nötig. Nachdem der Staatsanwalt dies anhand eines «Nebenschauplatzes» - dem geplanten Pferdeklau. So habe sie Guido S. und Patric S. zu diesem angestiftet. Und man glaube es kaum: auch nach dem Raubmord in Grenchen habe sie die Idee noch einmal aufgegriffen, weil in Grenchen zu wenig Geld erbeutet wurde.
17:52
Schliesslich noch zur Tötung Dania Dubeys, der 35-jährigen Tochter der Familie: Es gebe keinen Grund, an der Version von Guido S. zu zweifeln. Patric S. und Guido S. hätten Dania auf besonders grausame Art und Weise getötet, wobei Guido S. die Tat begangen habe, während Patric S schlussendlich die Abfallsäcke aus der Küche holte, mit deren Hilfe die Beiden Dania ersticken liessen. Auch dabei handle es sich um Mord.
17:44
Schaue man sich die Ermordung Pierre-André Dubeys an, dann zeichne sich ein gleiches Bild. Obwohl Patric S. Margrit Dubeys Gatten ermordete, machte sich auch Guido S. indem er seinem Freund die Tatwaffe übergab mitschuldig und somit zum Mittäter. Auch Ruth S. sei Mittäterin, weil sie vorher angeordnet hätte, alle Zeugen zu eliminieren.
17:37
Stelle sich die Frage, welche Rolle Ruth S. dabei gespielt habe. So habe diese nicht nur als Drahtzieherin des Mordes an Margrit Dubey fungiert, sondern auch bei der Vorbereitung tatkräftig mitgeholfen, etwa bei Tipps zur Anwendung von Chloroform und zur Spurenbeseitigung. Nach seinen Ausführungen fasst der Staatsanwalt zusammen: «Im Mordfall Margrit Dubey ist Ruth S. Mittäterin». Wer Kraft seiner Beziehungen zu den Tätern einen Mord veranlasse, gelte aus rechtlicher Sicht als Mittäter - auch ohne physisch beim Mord an Margrit Dubey anwesend gewesen zu sein.
17:19
Nun wendet sich der Staatsanwalt den einzelnen Straftaten zu. Er beginnt mit der Tötung von Margrit Dubey. Dabei habe es sich erwiesen, dass Guido S. als Mittäter von Patric S. handelte. Die Beiden hätten Margrit Dubey wissentlich und vorsätzlich getötet. Das sei Mord, weil die Täter besonders skrupellos gehandelt und aus verwerflichen Beweggründen gehandelt hätten. So hätten sie das Opfer in einen Hinterhalt gelockt, sie gefesselt, physisch und psychisch grausam behandelt und schliesslich auf besonders brutale Art und Weise ersticken lassen. Zusammenfassend lasse sich sagen dass Patric S. und Guido S. aus niederen Beweggründen wie Habgier gehandelt hätten.
16:51
Für Staatsanwalt Gutzwiller ist es Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. In ihrer dominanten, kompromisslosen Art habe Ruth S. die beiden anderen Angeklagten dahingehend bedrängt, ihre Schulden bei ihr zu tilgen. Zur Tat sei es gekommen, weil alle drei Angeklagten zum einen unter «enormem finanziellen Druck» gestanden seien. Eine verheerende Gruppendynamik sei entstanden, vor allem auch nachdem sämtliche Raubversuche vor dem Raubmord kläglich scheiterten. Es habe sich aber schliesslich überraschenderweise mit Margrit Dubeys Zusage für das Treffen die Gelegenheit ergeben, an die Zielpersonen zu kommen und die Tat zu begehen.
16:32
Ruth S. hört nichts Nettes diesen Nachmittag, als es um ihre Charakterzüge geht: Der Staatsanwalt beruft sich auf Beschreibungen der Mitangeklagten und anderer Bekannter. Dabei fallen Attribute wie dominant, ungeduldig, aggressiv, unsympathisch, aufbrausend und bestimmend. Sogar im Strafvollzug sei das herrische Auftreten von Ruth S. aufgefallen.
16:17
Ruth S. sei zudem in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt, so Staatsanwalt Gutzwiller. Ihrem Frust über die verfehlten Raubversuche ihrer Freunde habe sie freien Lauf gelassen. Der Staatsanwalt attestiert Ruth S. ein «ureigenes Interesse» an einem Raub-Projekt, «nicht zuletzt, weil sie gestern eine Beteiligung ja eingeräumt hat». Gutzwiller erkennt also auch bei Ruth S. ein klares Tatmotiv. Sie sei bereit dazu gewesen, «ihre Interessen ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen».
15:50
Nun geht es um die Beziehung, welche das Trio pflegte. Der Staatsanwalt spricht von einer Mutter-Sohn-Beziehung zwischen Ruth S. und Guido S. Das sei auch nachvollziehbar, habe doch Guido S. zu seiner leiblichen Mutter fast gar keine Beziehung. Aber auch umgekehrt habe diese Beziehung bestanden. «Ruth S. sah in Guido S. einen Sohn», sagt Gutzwiller. Das habe sie selber, aber auch weitere Befragte zu Protokoll gegeben. Doch sei auch die Beziehung zwischen Ruth S. und Patric S. sei sehr eng. So habe Patric S. zu Protokoll gegeben, Ruth S. hundert prozentig vertraut zu haben. Ruth S. sei sich zudem gewohnt, eine Opferrolle einzunehmen.
15:34
Weil die beiden Männer seit einem - in den Worten des Staatsanwalts - «frühen Ermittlungsstadium» zu ihren Straftaten standen, konzentriert sich der Staatsanwalt in der Folge vor allem auf Ruth S. Er glaubt den Schilderungen von Guido S. und Patric S. weitgehend. Es handle sich um eine Vielzahl einzelner Anschuldigungen an die Adresse von Ruth S. Sie seien im Grossen und Ganzen glaubhaft. Ruth S. Aussagen seien demgegenüber weniger glaubwürdig. Für den Staatsanwalt deutet auch jener Umstand auf die Wahrheit der Aussagen Guido S.' und Patric S.' hin, dass es einfacher sei, die Wahrheit zu sagen, als sich etwas auszudenken.
15:13
Punkt für Punkt spielt der Staatsanwalt den Tathergang nach, indem er chronologisch die Tathergänge aller Raubversuche nacherzählt. Die Angeklagten hören es sich an, ohne Emotionen zu zeigen. Immer wieder kommt der Staatsanwalt auf die Rolle von Ruth S. zu sprechen. Gemäss seiner Version soll sie eine zentrale Rolle als Drahtzieherin der Straftaten gespielt haben.
14:58
«Aeris alieni comes miseria.» Mit diesen Worten beginnt der Staatsanwalt Jan Gutzwiller sein Plädoyer. «Elend ist der Begleiter von Schulden», so seine freie übersetzung des berühmten Zitates aus römischer Zeit. Kaum ein anderes Sprichwort treffe das «Desaster von Grenchen» besser, das in der skrupellosen Auslöschung der Familie Dubey mündete. Geldschulden seien es gewesen, welche die drei Angeklagten schliesslich zu dieser Tat bewogen hätten. Gutzwiller kündet an, sich im Verlauf des Nachmittags auch zu Strafmass und weiteren Massnahmen - Stichwort Verwahrung - äussern.
14:51
Doch hat sich die Szene bereits wieder beruhigt: Steiner und Gutzwiller sitzen beisammen und plaudern in lockerer Athmosphäre. Interessiert hört auch Guido S. den Beiden zu. Es ist eine Schicksalsgemeinschaft, so gross die Gegensätze auch zwischen Anklägern, Verteidigern, gar Angeklagten sind.
14:26
Im Solothurner Gerichtssaal kommt es zum Zerwürfnis zwischen Strafverteidigern und Staatsanwaltschaft. Statt eines ganzen freien Verhandlungstags kündet der Gerichtspräsident die nächste Sitzung auf morgen Nachmittag an. Doch zuerst geht es weiter im Prozesskrimi in Solothurn. Der Umgangston zwischen den Parteien wird lauter. Der Staatsanwalt hat keine kopierten Plädoyers für die Strafverteidiger, worauf diese rebellieren. Bruno Steiner sieht die Strafverteidigung torpediert. François Scheidegger unterbricht die Verhandlung bis 14.45, damit Kopien angefertigt werden können.
14.18
Die Verteidiger von Guido S. und Ruth S. fordern für Donnerstag einen verhandlungsfreien Tag statt nur eines halben. Sie bräuchten beide mehr Zeit zur Vorbereitung. Staatsanwalt Gutzwiller will davon nichts wissen. Er gehe davon aus, dass alle Parteien vorbereitet zum Prozess kämen. Es gehe einzig noch um Anpassungen des Plädoyers. Rechtsanwalt Steiner pocht energisch darauf, mehr Zeit zu bekommen und wirft der Staatsanwaltschaft vor, zu wenig Erfahrung mit Strafprozessen gesammelt zu haben und die Tragweite nicht zu erkennen.
14:09
Staatsanwalt Gutzwiller wird nun sein Plädoyer halten. Er kündet einen über vierstündigen Marathon an.
14:04
Gestärkt sind Richter, Angeklagte und ihre Anwälte wieder im Gerichtssaal im Solothurner Amtshaus versammelt. Laut Gerichtspräsident Scheidegger sieht sich das Gericht zum jetzigen Moment nicht dazu veranlasst, ein weiteres Gutachten verfassen zu lassen. Es gebe keinen Grund, das Gutachten des Psychiaters Lutz-Peter Hiersemenzel anzuzweifeln. Entgegen der Meinung von Anwalt Bruno Steiner - Guido S.' Verteidiger - sei der Gutachter nicht befangen.
11:53
Staatsanwalt Jan Gutzwiller sieht keinen Anlass, das Gutachten des Gerichtspsychiaters in Frage zu stellen. Gerichtspräsident Scheidegger unterbricht die Verhandlung für eine Mittagspause. Einmal mehr verlassen die beiden angeklagten Männer den Gerichtssaal in Fussfesseln.
11:40
Es folgen die Beweisanträge: Der Verteidiger von Guido S., Bruno Steiner, zweifelt insbesondere das Gutachten von Lutz-Peter Hiersemenzel an. Dieser deute den Tathergang, insbesondere was die Beteiligung seines Klienten betreffe, in ungenügender Art und Weise. Er verlangt, besseren Einblick in die Arbeitsweise des Gutachters zu erhalten.
10:51
Der Amtsgerichtspräsident verliest nun noch das Protokoll.
10:39
Nun hat auch Ruth S. Verteidiger Daniel Walder Fragen: Ob der Gerichtspsychiater seine Klientin jemals über weibliche Bezugspersonen befragt habe. Das bejaht Hiersemenzel. Er habe zudem eine Mappe mit persönlichem Briefverkehr erhalten. Ob er sich erkundigt habe, von welchen Personen Ruth S. im Gefängnis besucht worden sei, will der Anwalt wissen. Auch das bejaht Hiersemenzel. Ob er das Gefühl hatte, mit Ruth S. sämtliche relevante Themen tiefgreifend diskutieren zu können und ob seiner Meinung nach ein Gutachten mit einer Frau zum selben Resultat geführt hätte. Frau S. sei nicht nur von ihm, sondern auch von einer Frau untersucht worden. Sie beide seien zu den selben Ergebnissen gekommen. Ruth S. sei als Person schwierig zu fassen. Weshalb er trotz aller Schwierigkeiten auf die Einholung einer Drittmeinung verzichtet habe, will Walder wissen. Schwierig bedeute in diesem Fall nicht, dass sie nicht hätte umfassend untersucht werden können, sondern dass Ruth S. «unterschiedliche Facetten zeigt, dass sie sich dagegen wehrt, manche Bereiche vertieft» preis zu geben, antwortet der Psychiater. Es habe Befragungen in Ruth S. Umfeld durch die Untersuchungsbehörden gegeben. Diese seien Hiersemenzel in den Akten zur Verfügung gestellt worden. Laienauskünfte würden bei einer solchen Situation meist aber nur wenig weiter helfen.
10:20
Jetzt geht es um das psychiatrische Gutachten von Ruth S. Auch ihre gestrigen Ausführungen veranlassten Hiersemenzel nicht, beim Gutachten irgendwelche Ergänzungen anzubringen. Sie habe sich vor Gericht gezeigt, wie sie sich auch bei der psychiatrischen Untersuchung gezeigt hätte: angespannt und mit Schwierigkeiten, über Persönliches zu berichten.
09:59
Kurze Pause. Die Beteiligten können kurz Durchatmen.
09:52
«Stellen Sie konzise Fragen», fährt Gerichtspräsident François Scheidegger Pius Buchmann dazwischen, als dieser einmal mehr für eine Frage zum Subsanzen-Konsum sehr weit ausholt. Verliert der Gerichtspräsident allmählich die Geduld?
09:35
Buchmann will vom Forensiker weiter wissen, wann genau die körperliche Untersuchung seines Klienten stattgefunden habe. Der Zeitpunkt sei dem vorliegenden Gutachten nicht zu entnehmen. Hiersemenzel räumt ein, das nicht erwähnt zu haben und kann sich nicht an den genauen Untersuchungszeitpunkt erinnern. Er vermutet aber, dass es sich um den 10.12.2009 handelte. Er habe Patric S. zum ersten Mal im September 2009 gesehen, erklärt Hiersemenzel. Dabei habe er sich einen ersten Eindruck über S.' Körper machen können. Was den Anabolika-Konsum angehe, stütze er seine Ergebnisse vor allem auf Laboruntersuchungen ab. Schon bei seinem ersten Besuch sei Patric S. als nicht besonders aggressiv oder reizbar erschienen.
09:21
Nun will Buchmann von Hiersemenzel mehr zu Testosteron und Aggressivitätspotenzial wissen. Wissenschaftlich sei es eben nicht so, dass mehr Testosteron auch automatisch zu einer höheren Aggressivität führe, betont der Gerichtspsychiater. «Wenn man aggressiver ist oder wird, dann steigt der Testosteronspiegel und nicht umgekehrt», sagt er.
09:08
Nun geht der Verteidiger von Patric S., Pius Buchmann, auf Konfrontationskurs. Er will vom Gerichtspsychiater wissen, ob er in Bezug auf solche Substanzen und andere Drogen über eine bestimmte Erfahrung oder spezielle Ausbildung verfüge. Hiersemenzel bejaht sofern, als dass Drogenkonsum zum Kern einer forensisch-psychiatrischen Ausbildung gehörten. Diese Substanzen würden in der forensischen Psychiatrie behandelt. Er, als forensischer Psychiater, wisse wahrscheinlich sogar sehr viel mehr als ein normaler Psychiater, betont Hiersemenzel.
09:00
Patric S. dürfte laut Gutachter aus diesen Gründen bei der Tat gewusst haben, was er machte.
08:58
Auf eine Persönlichkeitsveränderung, die sich von einer blossen Aggressivitätssteigerung unterscheide, hat der Gerichtspsychiater keine Hinweise. Auch auf eine höhere Aggressivität oder Reizbarkeit fand Hiersemenzel keine Hinweise. Patric S. hört dem Gutachter interessiert zu. Auf Nachfrage des Amtsrichters Hofer, wonach das hysterische Schreien der Opfer zu einem Blackout oder einem Filmriss bei Patric S. geführt habe, sagt Hiersemenzel: Ein Filmriss oder Blackout verstehe er als Gedächtnislücke, die sich normalerweise in Verbindung mit Alkoholkonsum zeige. Bei Patric S. gebe es aber keine Hinweise auf eine solche Gedächtnislücke.
08:49
Nun geht es um Patric S.: Dieser habe einmal angegeben, Anabolika gespritzt zu haben, dann wieder nicht mehr. Nun sage er, viele Substanzen eingenommen zu haben. Hiersemenzel falle auf, dass Patric S. zum heutigen Zeitpunkt deutlich muskulöser sei als zum Untersuchungszeitpunkt. Der Gerichtspräsident François Scheidegger hakt nach, ob die eingenommenen Substanzen körperliche oder psychische Folgen hatten und so seine Taten beeinflussten. Zusammenfassend sagt Hiersemenzel, dass solche Substanzen eingenommen werden, weil sie nachweislich einen muskelaufbauenden Effekt haben. Der Effekt trete unabhängig davon ein, ob man trainiere oder nicht. Daneben hätten sie aber viele Nebenwirkungen wie etwa Haarausfall, Vergrösserung der Brust oder einer Verkleinerung der Hoden. Zu den Wirkungen auf die Psyche gebe es keine eindeutige Ergebnisse. Wissenschaftliche Untersuchungen zeichneten kein klares Bild. So würden Menschen mit einer Krankheit, die zu wenig Testosteron hätten, ausgeglichener wirken, wenn sie Anabolika spritzten. Bei gesunden Männern zeige sich selbst bei hohen Dosen keine systematische Erhöhung der Aggressivität. Trotzdem gebe es Einzelfalldarstellungen, die vermuten liessen, dass es bei manchen Menschen bei der Einnahme solcher Substanzen zu erhöhter Aggressivität kommen könne. Es falle jedoch auf, dass Leute, z.B. Bodybuilder, die Anabolika einnehmen andersweitig auffallen: Manche würde andere Substanzen wie Kokain einnehmen, sich an gewisse Gesetze nicht halten, z.B. beim Autofahren.
08:27
Zu Beginn geht es um Guido S.: Laut psychiatrischem Gutachten war der Täter, der die 35-jährige Tochter der Familie Dubey umbrachte, in der Situation nicht überfordert. Der Gerichtspsychiater Lutz-Peter Hiersemenzel spricht ruhig und bedächtig. Vielmehr hätte Gruppendynamik eine Rolle bei der Tat gespielt. Die Angeklagten hören ihm ruhig zu. Der Anwalt von Guido S. verzichtet auf Fragen, weil er den Gutachter für befangen hält (siehe unten).
08:15
Es geht los. Die Angeklagten Patric S., Guido S. und Ruth S. haben ihre Plätze eingenommen. Nun hat der leitende Arzt Fachbereich Forensik der Solothurner Spitäler AG Lutz-Peter Hiersemenzel seinen grossen Auftritt.
Allmächtiger Inquisitor?
Nachdem gestern Ruth S. vor Gericht aussagte, ist heute die Reihe am psychiatrischen Gutachter Lutz-Peter Hiersemenzel. Dieser schrieb die Gutachten für alle drei Angeklagten, was insbesondere beim Verteidiger von Guido S., Bruno Steiner, für einen roten Kopf sorgte. Am Montag verlangte dieser, dass die Gutachten nicht berücksichtigt würden.
Weil Hiersemenzel alle drei Angeklagte beurteilt habe, sei dessen Unabhängigkeit nicht gewährleistet. So halte er alleine das Schicksal der Angeklagten in seinen Händen, als wäre er ein «allmächtiger Inquisitor», sagte Steiner. Dabei störte er sich insbesondere daran, dass Hiersemenzel die Aussagen eines nicht als Zeuge zugelassenen Gefängnisinsassen in die Gutachten einfliessen liess. Das Gericht wies den Antrag Steiners zurück. Der Umstand, dass ein und derselbe Gutachter alle drei Angeklagten beurteilt, ist allerdings nicht alltäglich.
War Ruth S. die Drahtzieherin?
Im Prozess um den Dreifachmord einer Grenchner Familie von 2009 haben am Montag die beiden Angeklagten, der ehemalige Spitzensportler Patric S. sowie Poulet-Griller Guido S., bereits gestanden, Mutter, Vater und Tocher umgebracht zu haben. Sie beschuldigten jedoch die dritte Angeklagte, Ruth S. schwer. Sie stecke hinter den Morden, habe die beiden Männer dazu angestiftet.
Gestern wies Ruth S. die Anschuldigungen vehement zurück. Sie habe zwar beim Raub mitgeholfen, «von Mord war aber nie die Rede», sagte sie unter Tränen aus.