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Zur Salzförderung im Raum Basel gibt es viele unbeantwortete Fragen, sagt Peter Huggenberger. Der Geologieprofessor verlangt besseren Schutz unserer Grundwässer und warnt vor Bodenabsenkungen mit langfristigen Folgen.
Die hohe Holztür ebnet den Weg in die dunkle Eingangshalle. Nichts rührt sich im Bernoullianum – das Semester ist vorbei. Die Studenten büffeln für die Prüfungen, die Tür zum grossen Hörsaal bleibt verschlossen. In den Gängen gehen die sensorgesteuerten Lichter an, erleuchten die mit Gesteinen gefüllten Glaskästen entlang den Wänden.
Im zweiten Stock des denkmalgeschützten Gebäudes mit hohen Decken, Zimmer 226, befindet sich Peter Huggenbergers Büro. Der Geologieprofessor stand zuletzt 2009 im medialen Interesse. Damals sagte Huggenberger im Geothermie-Prozess aus. Er hatte im Vorfeld der Bohrungen 2006 vor möglichen Erdbeben gewarnt. Drei Monate nach Beginn der Bohrungen schlugen die Seismografen im Raum Basel aus. Die Folgen waren juristische Nachbeben und nationale Schlagzeilen. «Entweder ich spreche, bevor etwas geschieht, und werde dafür kritisiert, oder ich äussere mich nachher und werde mit den Konsequenzen konfrontiert», sagt Huggenberger. Es ist das Dilemma eines Geologen. Also spricht Huggenberger jetzt.
Wieder geht es um Bohrungen, diesmal jedoch um die Salzförderung durch die Schweizer Salinen. Huggenberger verfolgte die Debatte zur geplanten Salzgewinnung unter der Muttenzer Rütihard aus der Ferne mit. Dabei stellte er fest, dass sich die Diskussion bislang fast ausschliesslich um den Wert des Naherholungsgebietes und den Landschaftsschutz drehte. Geologische Aspekte blieben nahezu unberührt. Huggenberger wirkt seit 1997 an der Uni Basel und beschäftigt sich seither mit geologischen Prozessen in städtischen Gebieten.
Unter anderem forschte seine Abteilung anhand mehrerer Nationalfondsprojekte zu den durch Salzlösung verursachten Bodensenkungen im Gebiet Muttenz und Pratteln. Die brisanten Erkenntnisse drangen nicht an die Öffentlichkeit. Nun berät Huggenberger den Kanton Baselland in fachlichen Fragen, die bei Konzessionsvergabe an die Schweizer Salinen eine Rolle spielen. Das Nutzungsrecht der Salinen läuft im Baselbiet 2025 aus. Die Baselbieter Regierung beantwortet mit dem Konzessionsentscheid indirekt auch die grosse Frage, ob sich die Schweiz in Zukunft mit eigenem Salz versorgen kann und soll.
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Herr Huggenberger, der Raum Basel ist ein geologisch komplexer Raum. Macht es denn überhaupt Sinn, in diesem Gebiet Bohrungen vorzunehmen und Salz abzubauen?
Peter Huggenberger: Es ist eine berechtigte Frage, die nicht ich beantworten muss, sondern jene, die es nutzen wollen. Die Frage nach Alternativen für den Schweizer Salzbedarf ist berechtigt. Man müsste sich also überlegen, was es längerfristig für andere Möglichkeiten gibt. Hierbei müsste vielleicht auch über die Grenzen hinausgeschaut werden.
Sie sind Experte, was geologische Veränderungen in städtischem Gebiet anbelangt und publizierten das Buch «Urban Geology». Was war Ihre wichtigste Erkenntnis?
Wir bemerkten in all den Jahren, dass Geologie und Wasser bei einer Vielzahl von Prozessen interagieren. Eingriffe in städtischem Gebiet können bestehende oder zukünftige infrastrukturelle Nutzungen beeinflussen. So können beispielsweise Saline-Aktivitäten das Grundwasser beeinflussen oder Absenkungen verursachen. Wir haben gemerkt, dass wir vermutlich in Zukunft in urbanen Gebieten ganz andere Ansätze verwenden müssen. Denn an der Oberfläche wollen wir das alltägliche Leben und bestehende Nutzungen nicht tangieren.
Wir wollen intakte Transportsysteme, ohne dass sich ein Tunnel absenkt und grosse Mehrkosten verursacht, wie es beim Adlertunnel der Fall ist. Und irgendwann wollen wir vielleicht Gebiete, wo früher Salz gelaugt wurde, anderweitig nutzen.
Welche anderen Ansätze?
Es gibt die rechtlichen Aspekte: Momentan klärt der Kanton ab, ob es eine Verlängerung oder eine Neuvergabe der Konzession gibt. In diesem Prozess berücksichtigt er die aktuelle Gesetzgebung. Dazu gehören Gewässerschutz- und Umweltschutzgesetz aber auch geologische Risiken. Es geht darum, Mensch, Tier und Ökosysteme vor negativen Auswirkungen zu schützen.
Was die Geologie anbelangt, gibt es eine ganze Reihe offener Fragen. Sie müssten gelöst werden, wenn der Kanton wieder eine Konzession vergeben möchte, die bis 2050 oder sogar über 100 Jahre hinaus Gültigkeit hat. Meines Erachtens ist dieser Zeithorizont ohnehin zu weitsichtig. Wenn Sie die Veränderungen im Salzabbau-Gebiet während der letzten 100 Jahre anschauen und dies extrapolieren, kann nicht das einzelne Interesse einer Firma bestimmen, welches die Rahmenbedingungen für den Salzabbau der Zukunft sind.
Wie lauten die offenen Fragen, die Sie als Geologe stellen?
Es gibt Ereignisse, die wir nicht verstehen. Zur Salzwasserfontäne, die vor einem Jahr im Gebiet Sulz ausbrach, liegt noch kein Bericht vor. Im Bereich Zinggibrunn haben wir bei einem Bohrloch, das zur Kontrolle dient, einen zu hohen Chloritwert festgestellt. Das heisst, irgendwo im Untergrund hat es Wasser, das unkontrolliert Salz löst. Die Beurteilung ist unklar. Auch müssen wir die Geometrie der Hohlräume kennen. Sie bleiben nach der Salzgewinnung zurück.
Es stellt sich die Frage: Wie stabil sind die Laugungskavernen langfristig? Die meisten Stabilitätsberechnungen sind für eine horizontale Salzlagerung und ein Gebiet ohne geologische Störungen gemacht worden. In Muttenz und Pratteln haben wir viele Horst- und Grabenstrukturen. Wenn Salzschichten, wie im Gebiet Sulz geschehen, nicht horizontal liegen, ist es möglich, dass Kavernen zusammenwachsen. Dabei wären die Bohrlöcher der Salinen so angelegt, dass die Schichten zwischen den Kavernen stützend wirken, wie Kirchenpfeiler.
Zudem bergen diese Vorkommnisse in geologischer Hinsicht Risiken.
Es sind Vorgänge, die das Grundwasser und die Boden-Absenkungen beeinflussen. Wenn Grundwasser mit salzführenden Schichten in Kontakt kommt, ist dies problematisch. An der Oberfläche sehen wir nur die Absenkungen. In grösseren Tiefen spürt die Basler Industrie teilweise erhöhte Salzkonzentrationen im Grundwasser, die auf die Lösung von Steinsalz hinweisen. Auch der Salzwasser-Geysir stellt ein Risiko für die Umwelt dar.
Die Salinen haben das Ereignis ein bisschen beschönigt. Ökologisch ist es eine Katastrophe für die gesamte Fauna dieses Baches. Wenn jemand anderes einen solchen Unfall verursacht hätte, ich weiss nicht wie die einzelnen Behörden reagiert hätten. Unser Hauptanliegen ist, dass eine Konzession die aktuellen gesetzlichen Anforderungen im Bereich Umwelt vollumfänglich erfüllt.
Schrieben frühere Konzessionen die Überwachung der Vorgänge zu wenig detailliert vor?
In einer Konzession steht nur, es brauche ein Monitoring. Wie dieses aussieht, wohin die erfassten Daten kommen und wer diese beurteilt, steht nirgendwo. Es ist oft Zufall, ob die Daten überhaupt brauchbar sind. Bisher haben die Salinen hier und dort ein bisschen gemessen, Regale mit Daten gefüllt und wenn es die kantonalen Fachstellen verlangten, Berichte abgeliefert.
Was sollten denn die Daten zeigen?
Um als Beispiel einen Aspekt der Überwachung zu nennen: Welche Bereiche in Muttenz bewegen sich nicht, wo bewegt sich der Untergrund? Wir wissen zwar punktuell, wo sich die Böden absenken. Aber die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Absenkungsgebieten kennen wir nicht. Deshalb schlugen wir vor, die Absenkungen mit Radarmessungen aus dem Weltraum ganzheitlicher zu erfassen. Im Margelacker Muttenz, nördlich der Rütihard, sind uns Absenkungen von 5 bis 10 Millimetern pro Jahr bekannt. Im Gebiet Sulz haben wir gar Absenkungen von 11 bis 15 Millimetern registriert. Wir wissen nicht: Ist es eine elastische Reaktion auf unkontrollierte, natürliche oder durch den Menschen verursachte Salzlösung. Oder verursachen die gelaugten und anschliessend wieder mit Schlamm aus der Salzproduktion verfüllten Salz-Kavernen die Deformation?
Das heisst ...
... das heisst, es wäre sehr wichtig, die Grundwasserzirkulation im Gebiet Margelacker zu kennen. Sie ist relativ komplex. Wie hängen die Absenkungen im Dorf mit den Wasserflüssen zusammen, die vom Abhang der Rütihard her kommen? Wasser fliesst bekanntlich von oben nach unten, von höherem zu tieferem Druck oder verursacht durch Dichte- oder Konzentrationsunterschiede von Wasserinhaltsstoffen. Daraus ergeben sich viele offene Fragen: Wohin fliesst das Wasser, wenn es auf der Rütihard mal über längere Zeit ausserordentlich stark regnet?
Woher, wie viel, und welches Wasser kommt von der Birs oder aus dem Birstal? Durch die Abklärungen zum geplanten Autobahntunnel Hagnau wissen wir ausserdem, dass es in diesem Gebiet grossräumige hydraulische Verbindungen im Grundwasser existieren. Wenn die Birs viel Wasser führt, spüren wir dies grossräumig bis nach Muttenz.
Ist eine Kaverne erschöpft, lässt die Saline in der Kaverne gesättigtes Salzwasser und Schlämme aus der Salzproduktion zurück und dichtet das Bohrloch mit Zement ab. Ist dies nicht unverantwortlich?
Sie können sich diese Frage selbst stellen. Wie können Sie in dieser Tiefe kontrollieren, ob ein Bohrloch vollständig abgedichtet ist? Wie tun Sie dies praktisch?
Beton-Füllungen sind also problematisch ...
Sobald Wasserzirkulation unkontrolliert stattfindet, kann man dies nicht erkennen. Auch über die Schlammverpressung (Auffüllung der Kavernen mit salzgesättigtem Schlamm aus der Salzproduktion, Anm. d. Red.) ist wenig bekannt. Was geschieht langfristig mit der Sole? Wie lange muss ich dieses Gebiet überwachen, um Veränderungen wahrzunehmen?
Wer muss diese Fragen beantworten?
Der Kanton könnte diese Fragen, wenn er die neue Konzessionsvergabe prüft, den Salinen stellen. Sie wurden bisher nie gestellt.
Hätte die Saline AG nach heutigen Massstäben damals überhaupt eine Konzession erhalten dürfen?
Ich würde es nicht so anschauen. Historisch spielte die Saline im Baselland aufgrund der Finanzen eine wichtige Rolle. Heute ist diese nicht mehr tragend. Durch die Saline siedelte sich zudem die Chemie an. Aber gesellschaftliche Entwicklungen, die einmal ein Erfolg waren, müssen dies nicht zwingend langfristig sein. Sie können in einen Bereich umschwenken, in dem man Risiken eingeht, welche die Gesellschaft später teuer zu stehen kommen. Um dies zu verhindern, sollten wir verstehen, was sich verändert. Wir müssen analysieren, wie die lokalen Absenkungen im regionalen Kontext mit der Geometrie des Untergrunds und unseren Ressourcennutzungen zusammenhängen.
Diese Bedingungen kennen wir momentan nicht. Eine Konzessionsvergabe ohne Kenntnisse der Risiken, die wir bezüglich unserer Ressourcen eingehen, ist in meinen Augen problematisch. Unser Grundwasser gilt es zu schützen. Die Regierung sollte nicht nur aufgrund der historischen Bedeutung der Salinen entscheiden, sondern aufgrund dessen, was wir in Zukunft erwarten müssen, wenn wir in der Nordwestschweiz weiterhin Salz fördern.
Hängt es womöglich mit dem Monopol der Schweizer Salinen zusammen, dass sich die Öffentlichkeit kaum um ihre Aktivitäten kümmerte und ihnen praktisch freie Hand liess?
Die Diskussion zeigt: Nur Wenige wissen, welche Risiken der Salzabbau langfristig birgt. Am Rhein werden mittlerweile Areale überbaut, die früher bloss brach lagen. In 10 bis 20 Jahren werden deshalb womöglich heutige Salzförderungsgebiete eine ganz andere Nutzung erfahren. Daher ist Vorsicht bei Prozessen in urbanem Gebiet geboten.