Der Baukonzern Losinger Marazzi entwirft auf eigene Initiative ein neues Quartier für Birsfelden.
Ein «Kraftort am Rhein». Unter diesem Slogan hat der Baukonzern Losinger Marazzi im vergangenen Jahr ein Entwicklungskonzept erarbeitet. Der Ort hat vor allem Sprengkraft: Der Grünstreifen von 40'000 Quadratmetern beim Kraftwerk Birsfelden ist seit zwei Jahrzehnten politisch umstritten. Sprengkraft hat auch die Vorgehensweise: Weder die Kraftwerksbetreiberin, der das Grundstück gehört, noch die Gemeinde sind bisher involviert.
Auf eigene Rechnung und eigenes Risiko treibt Losinger Marazzi die Planung voran. Das vorliegende 32-seitige Konzept zeigt, wie weit diese vorangeschritten ist. Das Ziel ist eine Wohnüberbauung direkt am Schleusenkanal. Damit soll einerseits die Nachfrage nach «Hafenatmosphäre» befriedigt, andererseits eine parkähnliche Landschaft geschaffen werden, die das neue Viertel mit dem dahinterliegenden Birsfelder Ortsteil Sternenfeld verbindet.
Drei Varianten haben die Planer entworfen. Massiv wirkt die Variante «Das Quartier» mit einer Reihe grosser, verschachtelter Wohnblöcke. Spektakulär ist die Variante «Die Brücke», die das Areal weitgehend frei lässt, dafür aber ein grossvolumiges Bauwerk als liegenden Wolkenkratzer über die beiden Schleusenkanäle spannt. Am meisten Akzeptanz verspricht die Variante «Der Mäander», in der ein optisch abwechslungsreicher Monoblock eine Rheinfront bildet und sich dahinter ein grosszügiger Park erstreckt.
Alle drei Varianten sehen einen zusätzlichen Wohnturm vor, der leicht abgesetzt in Richtung Birskopf die Baselbieter Gemeinde von der Stadt aus sichtbarer machen würde. Die Idee, in diesem Perimeter ein Hochhaus zu errichten, ist nicht neu – und zeigt, dass sich die Promotoren der politischen Verstrickungen bewusst sind, in die sie sich mit den Visionen begeben.
Pläne für ein 18-stöckiges Wohnhaus, nur einige Dutzend Meter davon entfernt, bewegten Birsfelden vor zwanzig Jahren. Alle grossen Parteien hatten das Projekt begrüsst, das von der Kraftwerk AG lanciert worden war. Nach einer Leserbriefschlacht im kommunalen Anzeiger kam es zu turbulenten Gemeindeversammlungen, die notwendige Umzonung wurde abgelehnt. Der Streit loderte juristisch weiter. Nach Beschwerden musste die Abstimmung zwei Jahre darauf wiederholt werden, am Entscheid änderte sich nichts: Birsfelden wollte dort keine Überbauung.
Das Areal, das als Parzelle 1550 bekannt ist, war bis Anfang der 1980er Jahre ein Maisfeld. Nach dem Bau der zweiten Schleuse 1979 blieb es Landreserve mit einer öffentlichen Nutzung: Ein Teil wurde zu Schrebergärten, ein anderer zu Tennisplätzen und ein grösserer Fleck zum künstlich angelegten Biotop mit angrenzenden Magerwiesen. 2001 kündete das Kraftwerk die Verträge und trieb ihre Baupläne voran. Doch die Birsfelder klammerten sich an das in Fronarbeit errichtete Biotop. Es ist ihr Widerstandsnest geworden. Denn in der Eigenwahrnehmung der Bevölkerung wird die Gemeinde schon heute etwa durch den Hafen als Infrastruktur- und Energiedepot der Region missbraucht.
Das Kraftwerk ist durch einen Staatsvertrag begründet und steht im Besitz der beiden Basel, beziehungsweise seiner industriellen Werke. 2005 lancierte es noch eine Testplanung für eine Überbauung. Immerhin durften dann in einem unbenutzten Bürogebäude Wohnungen eingebaut werden. Spätestens seit 2010 hat es sich auf einen längerfristigen Stillstand eingerichtet und mit den Anrainern für zwanzig Jahre gültige Nutzungsverträge unterzeichnet. Seit 2013 steht auch die Pflege des Biotops auf einer vertraglichen Grundlage: Die Gemeinde zahlt dem örtlichen Naturschutzverein jährlich 3500 Franken und erhält vom Kraftwerk selbst 5700 Franken für die Gesamtpflege des Areals.
Losinger Marazzi beruft sich in seinem Entwicklungskonzept darauf, die Kraftwerk Birsfelden AG interessiere sich «für die Entwicklung der Parzelle». Kraftwerksdirektor Sascha Jäger nimmt zu den Plänen nicht Stellung, sagt aber, das Kraftwerk biete Hand für die Bedürfnisse der Gemeinde. Gemeindepräsident Christof Hiltmann wiederum sagt, er sei «in Kenntnis gesetzt», mehr nicht. Im Stadtentwicklungskonzept Birsfeldens heisst es immerhin, es sei eine für das Areal an «der exponierten Lage angemessene städtebauliche Struktur zu erarbeiten.»
Mit eigenen Plänen vorzupreschen, hat beim Baukonzern Losinger Marazzi, der zur französischen Bouygues-Gruppe gehört, System: Vor gut zehn Jahren entwickelte er neben dem St. Jakob-Park ein 500-Millionen-Projekt mit neuem Hallenstadion für 15'000 Besucher und einem 140-Meter-Turm. Auch dort: Weder waren der private Grundeigentümer in die Pläne eingeweiht, noch die Standortgemeinde Muttenz oder die Kantone Basel-Stadt und Baselland, die je 65 Millionen Franken hätten beitragen sollen.
In Birsfelden spannt Losinger Marazzi mit den Basler SSA Architekten zusammen. Mit diesem Team baute Losinger Marazzi in der Erlenmatt und baut derzeit die Birsmatt in Aesch. Gemäss Gesamtprozess strebt der Baukonzern für die nächsten Realisierungsschritte eine «Exklusivitätsvereinbarung» an. Wenn er danach eine «Projektentwicklungsvereinbarung» erhält, wird er weiter die Kosten vorfinanzieren. Dies ist allerdings Zukunftsmusik. Denn ausstehend ist, was als Ziel für «Phase 1» im Entwicklungskonzept steht: «Die wichtigsten Stakeholder einbeziehen».
Einige hundert Meter rheinaufwärts von Birsfelden, beim deutschen Flusskraftwerk Wyhlen, wird seit einigen Monaten erfolgreich betrieben, was auch beim Kraftwerk Birsfelden geplant ist: ein Wasserstoffkraftwerk. Das haben die Industriellen Werke Basel (IWB vor rund drei Wochen mitgeteilt. Die Schweizer Anlage sollte etwas grösser werden als das deutsche Schwesterwerk und Investitionen von rund fünf Millionen Franken bedingen. Dem Basler Energieversorger gehört in Vertretung des Kantons Basel-Stadt nicht nur die Hälfte des Kraftwerks Birsfelden, er hat vertraglich auch Anrecht auf die Hälfte der von den Wasserturbinen produzierten Energie.
Vorläufige IWB-Partner sind jedoch nicht die Baselbieter Energieanbieter EBL und Primeo (ex-EBM), denen gemeinsam mit dem Kanton Baselland die zweite Hälfte der Kraftwerks-Aktien gehören. Vielmehr soll Mineralöl-Händler Fritz Meyer mit ins Wasserstoff-Geschäft einsteigen.
Es sind nicht die ersten Energiepläne, die von den städtischen IWB zusätzlich zur Wasserkraft im ausserkantonalen Birsfelden gewälzt werden. 2006 wurde für den gleichen Ort ein Projekt für ein Kohlekraftwerk vorangetrieben. Es hätte dank neuer Technologie CO2-frei funktionieren sollen; die schädlichen Treibhausgase wären gefiltert und das verbliebene Kohlendioxid wieder in Erdhohlräume verpresst worden.
Zumindest zonenrechtlich wäre die Ausgangslage ideal. Die unbebaute Parzelle 1550 entlang der Schleuse ist einer Spezialzone zugeordnet, die für die Schifffahrt und als Reserve für die Energiewirtschaft vorgesehen ist. Dieser Status ist zumindest bis zum Jahr 2033 garantiert. So lange läuft die 1950 auf 83 Jahre abgeschlossene Konzession für den Betrieb des Wasserkraftwerks.
Die Kohle-Pläne sind nicht über den Status der Ankündigung gediehen und mittlerweile nicht mehr opportun. Nun haben die IWB mit dem Wasserstoff eine neue Technologie entdeckt, um sich als Innovationstreiber zu positionieren. (cm)