Startseite
Basel
Basel Stadt
Die Auseinandersetzung rund um den 80-Millionen-Handel zwischen Basel-Stadt und Baselland ist ein gutes Beispiel dafür, wie Parlamentarier das Volk als Drohung ins Spiel bringen, um ihre eigenen Anliegen durchzusetzen.
Demokratie heisst «Volksherrschaft». Doch so einfach, wie es die Übersetzung glauben macht, ist es nicht. Zum einen gibt es das «Volk» so nicht, sondern bloss die Stimmberechtigten. Das waren schon im alten Griechenland nie alle Menschen. In der ältesten Demokratie der Geschichte, der attischen Demokratie, bestand dieses «Volk», das bestimmte, aus den männlichen Vollbürgern der Stadt Athen ab dem 30. Lebensjahr.
Frauen, Zugezogene, unter 30-Jährige und Zehntausende von Sklaven blieben ausgeschlossen. So waren in Athen nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung stimmberechtigt. In der Schweiz war das bis zur Einführung des Frauenstimmrechts 1971 ganz ähnlich, nur dass hier die Altersgrenze bei 18 Jahren lag (und man die stimmrechtslosen Arbeiter nicht Sklaven nannte, sondern Gastarbeiter). Aber darum geht es mir eigentlich gar nicht.
Das Wort «Volksherrschaft» beinhaltet nicht nur das Wort «Volk», sondern auch, was es tut: herrschen, nämlich. Bei Lichte besehen besteht diese Herrschaft des Volkes in unserer Demokratie allerdings nicht darin, dass das Volk regiert. Das wäre gar nicht möglich. Die Herrschaft des Volkes besteht darin, dass Parlamentarier das Volk als Drohung ins Spiel bringen, um eigene Anliegen durchzusetzen. Das Volk wird auf diese Weise in der Schweiz immer mehr zur Keule, mit der zu drohen oft schon reicht.
Aktuelles Beispiel in Basel ist die Auseinandersetzung rund um den 80-Millionen-Handel zwischen Basel-Stadt und Baselland. Noch sind die Positionen zum Geschäft in Basel nicht in allen Fraktionen bezogen, es zeichnet sich aber eine Mehrheit dafür ab. Diese Mehrheit dürfte dem Kredit zustimmen, mit dem der Kanton Basel-Stadt den Uni-Vertrag und die Kulturpauschale rettet. Sie dürfte dabei laut murren, aber sie dürfte zustimmen. Wenn an diesem Wochenende darüber abgestimmt würde, dann würde der Kredit wohl auch von der Basler Stimmbevölkerung angenommen. Darauf deuten die ersten Strassenumfragen jedenfalls hin. Das Problem ist nur: So rasch lässt sich eine Volksabstimmung nicht realisieren. Eine Volksbefragung kostet viel Zeit und Zeit hat die Regierung keine.
Eine Volksabstimmung über das Partnerschaftsgeschäft liesse sich erzwingen, wenn jemand das Referendum gegen den Kredit ergreift. Dafür sind lediglich 2000 Unterschriften nötig. Kommt ein Referendum zustande, ist es gar nicht mehr relevant, was das Volk entscheidet, weil der Entscheid zu spät kommen würde. Die Regierung des Kantons Baselland müsste vor Ende des Jahres handeln und Uni-Vertrag und Kulturvertrag künden. Das «Volk» wird damit zu einer Waffe in der politischen Auseinandersetzung, die grosse Wirkung entfalten kann, ohne dass sie je eingesetzt wird. Auf der nationalen Bühne kennen wir ähnliche Vorgehensweisen schon lange. Die Durchsetzungsinitiative der SVP zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer und die eben eingereichte Rasa-Initiative, welche die Masseneinwanderungsinitiative rückgängig machen will, sind eine Art Volksknüppel, mit denen die Politiker in Bern auch in der nächsten Session Drohdruck aufbauen werden.
Natürlich kann man argumentieren, das sei legitim, so funktioniere das politische System nun einmal, jedes Instrument lasse sich missbrauchen, auch das Volk. Doch wird dabei das politische System als seelenlose Mechanik betrachtet, die funktioniert wie eine Murmelbahn. Und wenn unterwegs die Murmel auf eine Initiative oder ein Referendum trifft, dann ist das halt Teil des Systems. Wer so mechanistisch denkt, lässt einen wesentlichen Aspekt weg: die Verantwortung. Wer etwa in Basel zum Referendum greift, um die 80-Millionen-Zahlung ans Baselland einer Volksabstimmung zu unterbreiten, lädt sich eine ungeheure Verantwortung auf, weil er die Zahlung schon damit nutzlos macht. Das Problem ist nur: In einer Demokratie, die wir sind, wird die Verantwortung immer dem Volk zugeschoben. Die Folge davon: In der Schweiz übernimmt kaum je ein Mandatsträger die Verantwortung bei einem Fehler und tritt zurück. Die letzte Verantwortung liegt ja beim Volk.
Bloss: Das stimmt nicht. Verantwortlich kann nur sein, wer frei ist in seinem Handeln. Das Stimmvolk kann also höchstens die Verantwortung für das «Ja» oder das «Nein» übernehmen. Die Verantwortung dafür, dem Volk die Frage gestellt zu haben, liegt alleine bei den entsprechenden Politikern oder Initianten. In unserem Land ist viel von Freiheit die Rede, in letzter Zeit ganz besonders. Es ist Zeit, dass wir die Freiheit mit Verantwortung verknüpfen. Freiheit ohne Verantwortung haben nur Narren.