Das AKW Fessenheim hat erhebliche Defizite gegenüber dem derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik. Das Sicherheitskonzept ist so veraltet, dass es eigentlich nicht mehr genehmigungsfähig wäre.
«Das Atomkraftwerk Fessenheim ging 1977/78 in Betrieb. Grundlagen für seine Sicherheit waren die technischen Anforderungen vom Ende der 60er-Jahre», urteilte der deutsche Sachverständige für Atomsicherheit Manfred Mertins zu Beginn seines Vortrags zum Thema «Wie unsicher ist Fessenheim – und wo verletzt die Anlage europäische Sicherheitsnormen?».
Mertins, der 40 Jahre Berufserfahrung hat und den deutschen Katalog für Mindestanforderungen für AKW mit erarbeitet hat, äusserte sich am Mittwoch im Basler Rathaus bei der Mitgliederversammlung des Trinationalen Atomschutzverbands Tras. Der Verband engagiert sich für die Schliessung von Fessenheim und Beznau. Mertins betonte, dass die AKW-Unfälle mit gravierenden Folgen Three Mile Island 1979, Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 Auswirkungen auf die Verbesserung der Störfallbeherrschung gehabt hätten.
Dazu gehöre, dass die Sicherheitseinrichtungen dreimal redundant sein müssten – will heissen, selbst, wenn zwei Systeme ausfallen, müsste noch ein drittes greifen. Mertins räumte aber ein, dass dies nicht nur von Fessenheim, sondern von vielen Atomkraftwerken nicht erfüllt werde.
Er fuhr fort: «Die Betreiber müssen das Versagen des Reaktordruckbehälters bei hohem Druck ausschliessen und zeigen, dass eine Umsiedlung der Umgebung nicht notwendig ist. Das ist eine extrem hohe Anforderung, die nicht einfach zu erfüllen ist.»
In Bezug auf Fessenheim verwies er darauf, dass das AKW nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Sein kritisches Fazit lautete: «Das Sicherheitskonzept von Fessenheim ist total veraltet und wäre nach aktuellen Massstäben nicht mehr genehmigungsfähig.» Dafür zählte er die Defizite des AKW auf.
So gebe es statt der notwendigen drei nur zwei Systeme für Notkühlung, die Vorratsbehälter für Wasser seien nicht erdbebenfest und generell werde das Erdbebenrisiko unterschätzt. Die elektrische Energieversorgung funktioniere nicht wie nötig zwei, sondern nur eine Stunde. Generell sei die Störfallsicherheit nicht gewährleistet. Allerdings weise Beznau ähnliche Grunddefizite wie Fessenheim auf.
In Bezug auf Fessenheim kritisierte er weiter: «Das Sicherheitsrisiko wurde nicht neu beurteilt, es besteht Überflutungsgefahr und selbst die Sicherheitsbestimmungen, die in Frankreich für den neuen Europäischen Druckwasserreaktor von Flamanville gelten, werden nicht eingehalten. Zu einem möglichen Flugzeugabsturz wird fast nichts gesagt.» Ausserdem entspreche die Dichte der Fundamentplatte unter dem Reaktordruckgefäss mit 1,50 Metern nicht den erforderlichen sechs Metern. Den Zwischenfall vom 9. April 2014, als durch eine Überschwemmung mehrere Sicherheitsebenen ausgeschaltet worden waren und der in Deutschland und in der Schweiz als Beinahe-GAU beurteilt worden war, bewertete er hingegen «als nicht gravierendes Ereignis. Wir standen nicht kurz vor der Kernschmelze», sagte er. Seine Kritik setzte an einem anderen Punkt an: «Das Sicherheitsmanagement und die Qualitätskontrolle waren eine Schlamperei.»
Der Ökonom Kaspar Müller ging in seinem Vortrag «Selbstverschuldete finanzielle Schieflage der Atomkraftwerke – wie wirkt sich diese auf die Sicherheit aus und wer soll das bezahlen» auf die wirtschaftlichen Fragen rund um die Atomenergie ein. Müller kritisierte, dass Gösgen und Leibstadt wackelig finanziert seien. «Die Rechnungsvorschriften wurden nicht eingehalten.»
10 bis 20 Jahre hätten die Betreiber keinerlei Rücklagen für die Entsorgung gebildet. «Sie haben damit erst 2001 begonnen.» Mit dem Versuch, die Laufzeit auf 60 Jahre zu verlängern, wolle man die Entsorgungskosten reduzieren, gehe aber nicht darauf ein, dass bei den alten AKW auch Reparaturkosten anfallen würden. Wenn die Konzerne die Entsorgungskosten, die Müller auf 20 bis 25 Milliarden Franken schätzte, nicht zahlen könnten, käme dies auf den Bund zu. «Kernenergie funktioniert wie Planwirtschaft», sagte er.
Wie Regierungsrat Hans-Peter Wessels in seiner Begrüssung mitteilte, hat der Kanton Basel-Stadt beschlossen, die Mitgliedschaft bei Tras um vier Jahre von 2017 bis 2020 zu verlängern.