Seelsorge
Die katholische Kirche wagt sich in Basel ins Rotlicht-Milieu

Kirche und Prostitution – das passt auf den ersten Blick nicht zusammen: Dennoch wagt sich die katholische Kirche in Basel ins Rotlichtmilieu: Sie eröffnet im Januar eine Anlaufstelle für die 3000 Sexarbeiterinnen der Stadt.

Matthias Zehnder
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Die Theologin Anne Burgmer wurde 1977 in Mönchengladbach (D) geboren und wohnt und arbeitet seit 2005 in der Schweiz. Neben ihrer neuen Arbeit als Seelsorgerin schreibt sie weiterhin für das Aargauer Pfarrblatt Horizonte. Nicole Nars-Zimmer

Die Theologin Anne Burgmer wurde 1977 in Mönchengladbach (D) geboren und wohnt und arbeitet seit 2005 in der Schweiz. Neben ihrer neuen Arbeit als Seelsorgerin schreibt sie weiterhin für das Aargauer Pfarrblatt Horizonte. Nicole Nars-Zimmer

Nicole Nars-Zimmer niz

Die Synoden der römisch-katholischen Kirchen Basel-Baselland haben im Sommer mit überwältigender Zustimmung eine neue Stelle «Seelsorge im Tabubereich», kurz Sita, beschlossen.

Ab dem 1. Januar 2016 bietet die Theologin Anne Burgmer Prostituierten seelsorgerische und spirituelle Begleitung an – nicht in der Kirche, sondern vor Ort im Rotlichtmilieu.

Anne Burgmer, warum heisst die Stelle «Seelsorge im Tabubereich»? Ist Seelsorge im Rotlichtmilieu ein Tabu?

Anne Burgmer: Ich persönlich finde nein. Ich verstehe auch den Begriff «Tabubereich» eher als ein Zeichen, dass die Kirche wahrnimmt, dass der ganze Bereich Sexgewerbe gesellschaftlich ein Tabubereich ist. Und es ist nicht üblich, dass Kirchen sich gezielt im Rotlichtmilieu engagieren. Das hat es, so weit ich weiss, so noch nicht gegeben. Früher gab es das Aids-Pfarramt, da hatte die Arbeit auch einen gewissen «Rotlichtanteil».

Was interessiert Sie am Rotlichtmilieu?

Die Grundlage ist für mich das Franziskus-Zitat: «Besser eine Kirche mit Beulen, die auf der Strasse unterwegs ist, als eine Kirche, die krank ist, weil sie sich eingeschlossen hat.» Ich habe während des Studiums lange Zeit Randständigenarbeit gemacht. Dabei hat mich fasziniert, dass es einen Punkt gibt, wo nur noch der Mensch an sich zählt. Im Alltag be- und verurteilen wir Menschen ständig, zum Beispiel aufgrund ihrer Funktionen oder ihrer Kleidung. Es gibt aber Momente, in denen nur noch der Mensch ohne jede Funktion und gesellschaftliche Stellung zählt. Das Rotlichtmilieu ist ein Beulenbereich im Sinne des Franziskus-Zitates; ein Tabubereich, das sieht man schon an den Reaktionen der Anwohner an vielen Orten. Oder daran, dass viele der Sexarbeiterinnen nicht über ihre Arbeit sprechen können.

Wie gehen Sie denn da konkret vor? Gehen Sie auf Prostituierte zu und sagen: «Hallo, ich bin Anne, willst Du mal beichten»?

Ich werde sicher nicht missionierend durchs Quartier gehen. Ich habe mein Büro, das ist ein Glücksfall, gleich bei Aliena, der Basler Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe, die den sozialarbeiterischen Teil abdeckt und sehr gute Arbeit macht. Zunächst wird es darum gehen, dass ich die Frauen kennenlerne. Wenn ich den Kontakt zu den Frauen habe, sehe ich weiter, was denn ihre Bedürfnisse sind.

Sie haben ein Büro – heisst das, Sie bieten einen Raum an?

Ja. Wenn sich dieser Raum dann manchmal auch auf der Strasse befindet, dann ist das in Ordnung. Doch vor allem geht es um den geschützten Raum und der ist das Büro.

Sie bieten in Ihrem Raum eine Art geistliche Entlastung an?

Es ist ein Raum, der bewertungsfrei sein soll, wo die Sexarbeiterinnen als Mensch sein dürfen. Ihre Sorgen und Nöte erzählen können. Wenn es zudem Sexarbeiterinnen gibt, die Christinnen sind und wenn sie in Konflikt zwischen Glauben und Beruf geraten, dann biete ich den Raum, diesen Konflikt anzuschauen.

Machen Sie sich auf diese Weise nicht zu einem Teil des Rotlichtmilieus, der zum Funktionieren des Gewerbes beiträgt?

Die Frage habe ich mir so noch nicht gestellt. Das kann man so sehen, ja, auf der anderen Seite frage ich mich, ob das negativ bewertet sein muss. Zunächst sollte man wahrnehmen lernen, warum eine Frau diesen Beruf ausübt. Wenn eine Frau aus freien Stücken im Sexgewerbe arbeitet, dann ist es nicht an mir, das zu beurteilen. Ich würde den Beruf nicht ausüben, aber das heisst nicht, dass ich nicht anderen das Recht dazu zugestehen müsste. Wenn aber eine Sexarbeiterin ihre Arbeit vielleicht aus finanziellen Gründen machen muss und gleichzeitig seelisch darunter leidet, soll sie bei mir die Möglichkeit haben, dieses Leid zu thematisieren. Wenn sie anschliessend befreiter aus dem Gespräch geht, ist das gut. Es geht nicht um Pauschalisierung, es geht nicht um DAS Rotlichtmilieu, es geht um einzelne Menschen im Milieu.

Die Sexarbeiterinnen sind das eine, es gibt aber noch die Freier. Das ist vielleicht noch heikler, weil ein Freier oft einen familiären Kontext hintergeht. Wie gehen Sie damit um?

Ja, das ist ein heikler Bereich, der zu wenig beachtet wird. Auch da möchte ich nicht pauschalisieren. Es mag Ehen geben, die das vertragen, wo also Offenheit darüber herrscht. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass Wünsche so heimlich und verstohlen sind, dass die Männer eben heimlich zu Sexarbeiterinnen gehen. Weil sie das Gefühl haben, sie können ihre Wünsche in der Ehe nicht äussern. Und ich denke, es gibt viele Männer, denen ihr eigenes Handeln nicht ganz recht ist. Das Thema Freier ist ein Tabu im Tabu. Und da sind wir noch nicht einmal bei der Frage angelangt, wie es mit Frauen ist, die Dienste von Sexarbeitern in Anspruch nehmen, auch wenn das nicht der Regelfall ist. Auf lange Sicht ist der Aspekt der Freier sicher einer, den man bei einer Seelsorgestelle im Tabubereich mit ins Auge fassen muss.

Zusammengefasst: Das wird nicht ganz einfach.

Vermutlich nicht. Aber: Ich bin froh, dass die Kirche diese Stelle geschaffen hat und dass Bischof Felix diese Stelle unterstützt. Als ich das erste Mal davon hörte, war ich irritiert, weil ich dachte, dass es eine solche Stelle schon lange gibt. Ich freue mich deshalb auf die Arbeit.