Zoo Basel
Der Affe, der Mensch sein musste: Basler Zolli nimmt Abschied von Gorilladame Goma

Goma ist der erste in einem europäischen Zoo geborene Gorilla. Am 7. Juni ist die Gorilladame im Basler Zoo altershalber gestorben. Ihr Lebensweg steht für den Strukturwandel des Zollis.

Benjamin Rosch
Drucken
Der Affe, der Mensch sein musste: Gorilla-Dame Goma ist im Basler Zoo gestorben
11 Bilder
Sie wurde 58 Jahre alt: Gorilla-Dame Goma ist gestorben
Goma wurde als erster Gorilla in einem europäischen Zoo geboren.
Sie kam im Jahr 1959 zur Welt.
Goma wuchs danach in der Familie des ehemaligen Zolli-Direktors Ernst Lang auf
Goma grüsst einen Teddy.
Goma kümmerte sich als «Grossmutter» um die Jungtiere. hier mit Makala.
Die war sehr gut integriert in der Zollifamilie.
Sie starb am 7. Juni an Altersschwäche.

Der Affe, der Mensch sein musste: Gorilla-Dame Goma ist im Basler Zoo gestorben

Keystone

Erwartungen begleiteten Goma seit ihrer Geburt.

Als sie 1959 das Licht der Welt erblickt, ist das eine globale Sensation. Goma ist erst das zweite Gorillamädchen, das in einem Zoo auf die Welt kommt. Internationale Medien berichten darüber, wie Achilla und Steffi, die einzigen Zoogorillas jener Zeit in ganz Europa, Eltern werden. Viel Zeit mit ihrem Nachwuchs bleibt ihnen nicht. Weil Achilla nicht weiss, wie sie Goma säugen soll, und weil der Druck auf den Zolli steigt, erklärt Direktor Ernst Lang die Aufzucht von Goma nach weniger als zwei Tagen zur Chefsache. Lang nimmt das Tier zu sich und zieht sie an der Seite seiner beiden Söhne auf.

Das soll Goma für den Rest ihres Lebens prägen. Denn wie bei kaum einem anderen Geschöpf verwischen bei ihr die Grenzen zwischen Mensch und Tier. Das zeigt sich in ihren ersten Tagen, aber es zeigt sich auch in ihrem Tod.

Windeln und Tessin-Ferien

Goma wächst in einem Haus auf und trägt deshalb Windeln. «Bis sie sauber war», wie Lang später einmal sagen wird. Bei einem Kind würde man «trocken» sagen. Bei einem Tier «stubenrein». Mit Lang macht der Menschenaffe die ersten Schritte, sitzt am Tisch, reist sogar in die Ferien ins Tessin. Bilder zeigen den ehemaligen Zolli-Direktor, wie er Goma den Schoppen gibt, wie er sie Huckepack trägt, wie sie mit seinen Söhnen spielt. Statt in einem Käfig wohnt sie in einem Laufgitter, das sie schon bald mühelos überwindet. Anderthalb Jahre lang lernt sie das Menschsein. Bald isst sie mit einem Löffel, hält beim Gehen die Hand ihres Ziehvaters. Sie blickt den Menschen in die Augen.

Die Vermenschlichung der Tiere war in der Auffassung der damaligen Zeit nicht unerwünscht. Im Gegenteil: Es half, den Zolli zu vermarkten. «Man liess die Affen an einem Tisch Milchsuppe löffeln», erzählt der heutige Kurator der Affenanlage, Adrian Baumeyer. Eltern hielten ihren Kindern die Affen vor: «Lueg, sogar dr Aff ka das.»

Eine besondere Beziehung

Goma ist noch mehr Mensch als ihre Artgenossen. Weil sie zeichnen und einen Fotoapparat bedienen kann. Aber vor allem, weil sie den Blickkontakt auch mit ihrer eigentlichen Familie sucht, nicht nur mit jener, die sie aufgezogen hatte. Das ist ein Problem, denn Affen vermeiden es im Allgemeinen, sich in die Augen zu sehen. Achilla hat inzwischen ein Männchen geboren, Jambo. Ihm ist sie ganz Mutter. Beide wissen aber nicht genau, wie sie mit Goma umgehen sollen. Die Rückkehrerin bleibt aussen vor.

Sie fühlt sich jenen zugehörig, die auf der anderen Seite der Glasscheibe stehen. Auch die Pfleger sind wichtige Bezugspersonen für Goma. Mit Ernst Lang verbindet sie etwas, was manche als Freundschaft beschrieben haben – denn es fällt leicht, Goma menschliche Gefühle zuzuschreiben. Bis ins hohe Alter begrüsst sie Lang bei seinen wöchentlichen Besuchen anders als andere Menschen. Tritt er an die Scheibe, erhebt sie sich und schaut ihm in die Augen. Bis zu seinem Tod schien sich Lang auch nicht ganz sicher, wie er Goma bezeichnen soll. In einer Filmaufnahme nennt er Goma für die Zeit bei ihm zu Hause einen «Gast».

Die Hoffnung, dass Goma selbst bald Mutter werden könnte, wird schnell enttäuscht. Pepe, ihr männlicher Begleiter, ist bestenfalls Kumpane. Zwar knüpft er durch seine lebhafte Art Bande zwischen Goma und dem Rest der äusserst sozialen Tiere. Mit ihr paaren tut sich Pepe jedoch nie. Der Grund liegt in ihrer menschlichen Erziehung. Vor dem Akt starren Gorilladamen den Silberrücken in die Augen.

Für Goma ist das aber von Haus auf Alltag. Nur einmal sucht sie sich einen Sexualpartner aus: Es ist ein Mensch, den sie mit ihrem Blick fixiert. In dieser kurzen Zeit nutzt Jambo die Chance; er nimmt Goma und sie lässt sich von ihm decken. Es ist ihr einziges Mal, und doch reicht es, um trächtig zu werden. Sie bringt einen Jungen zur Welt, Tamtam. Als Mutter bewährt sich Goma. Die Pfleger führen das auf ihre ausserordentliche Lernfähigkeit zurück. Nach dem Menschsein hat sie sich das AffeSein von ihrem Umfeld abgeschaut.

Gefährlich für den Menschen

Dennoch kennt sie die Grenzen zu den Menschen kaum. Das ist auch gefährlich: Wiederholt beisst Goma zu, etwa als ein Fotograf sie ablichten will. «Wenn es zu Unfällen kommt, ist es fast ausschliesslich mit Tieren, die von Menschen aufgezogen wurden», sagt Baumeyer. Heute würde man das Experiment von 1959 nicht mehr wagen.

Gomas Geschichte ist eng mit jener des Zollis verwoben. Vom Haus wechselte sie hinter Gitterstäbe, diese wurden durch Scheiben ersetzt und schliesslich vor wenigen Jahren durch den möglichst der Natur nachempfundenen Aussenbereich ergänzt. Affendame Goma, bereits hochbetagt, ist die erste, die 2012 den Schritt in die neue Affenanlage wagt und so ihren Artgenossen den Weg bereitet.

Goma wird nicht ausgestopft

Den Gorillas lässt der Zoo heute das Recht, Gorillas zu sein. Gestern starb Goma im Alter von 59 Jahren. Die Wärter liessen ihren Artgenossen Zeit, sich von ihr zu verabschieden. «Man darf auch nicht werten, wenn ein Gorilla vielleicht sogar den Kadaver noch beisst, was vorkommen kann», sagt Baumayer. Bei Goma nicht: Nach und nach nahm die Gruppe Abschied, bis sie sich nicht mehr für den leblosen Körper interessierte. Der befindet sich nun in der Tierpathologie in Bern, wo er auf Krankheiten untersucht wird. Ausgestopft wird Goma nicht. Es habe durchaus Interesse gegeben, sagt Baumeyer.

Das Naturhistorische Museum wollte den Körper von Goma präparieren. Verständlich, wenn man sich etwa das nach wie vor grosse Publikumsinteresse an ihren Geburtstagen vor Augen führt. «Aber wenn man einen Gorilla präpariert, dann als Gorilla, und nicht als Goma», erklärt er die Absage des Zollis an das Museum. Denn Goma hätte über eine Persönlichkeit verfügt, das sagt auch Baumeyer, der streng zwischen Mensch und Tier zu trennen versucht. Etwas. das ihm im Fall von Goma nicht immer gelang.

So wird Goma verbrannt. Zumindest in ihrem Tod muss sie keinen Erwartungen mehr gerecht werden.