Er will mehr E-Autos verkaufen, doch seine Kunden wollen starke Verbrennungsmotoren. Deshalb musste der Hersteller vergangenes Jahr 11 Millionen Franken Strafe zahlen. Wie man die Kunden umerziehen will, erklärt Mercedes-Benz-Schweiz-CEO Marc Langenbrinck.
Das CO2-Gesetz in der Schweiz wurde abgelehnt; was waren aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?
Marc Langenbrinck: Ich glaube, das CO2-Gesetz wurde abgelehnt, weil es sehr komplex war. Grundsätzlich bedaure ich es, dass die umweltorientierte Vorlage abgelehnt wurde. Wir wissen alle, dass wir unseren CO2-Ausstoss senken müssen.
Wie hätte sich das Gesetz auf den Schweizer Automarkt ausgewirkt?
Bei einer Annahme des Gesetzes wäre der Kraftstoffpreis gestiegen. Damit wären Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge ebenfalls bestraft worden, was aus meiner Sicht falsch ist. Und es wären deutlich strengere CO2-Grenzwerte ab 2023 eingeführt worden. Das CO2-Gesetz fand auch keine Mehrheit, weil nicht klar war, wofür die in Aussicht gestellten Gelder verwendet werden sollten. Eines der grössten Hindernisse für die E-Mobilität ist ja die Infrastruktur, die weiter ausgebaut werden muss. Dass Einnahmen dafür verwendet worden wären, war in der Vorlage nicht festgelegt.
Trotzdem: Die 95-Gramm-Flottenlimite bleibt – ist das der richtige Weg?
Hier geht die Schweiz im Vergleich zu den meisten anderen Ländern einen komplett anderen Weg. Die Strafzahlungen für die Überschreitung der Limite laufen am Kunden vorbei und haben so keinerlei Lenkungswirkung. Der Kunde sollte doch sehen, was die Opportunitätskosten eines leistungsstarken, hochzylindrigen Fahrzeugs für die Umwelt sind. Momentan sieht er das nicht, weil wir als Hersteller die CO2-Strafe bezahlen und aufgrund des starken Wettbewerbs kein Hersteller die Strafzahlungen auf den Preis seiner Autos schlagen kann. In Frankreich zum Beispiel bezahlt der Kunde je nach gekauftem Fahrzeug bis zu 15'000 Euro CO2-Gebühr zusätzlich – und entscheidet somit direkt, ob er beim Verbrenner bleibt oder einen relativ günstigeren alternativen Antrieb wählt.
Wie viel mussten Sie für das vergangene Jahr bezahlen?
Unser Ziel ist es selbstverständlich, CO2-neutral zu werden. Für 2020 haben wir die Vorgabe nicht ganz erreicht und mussten elf Millionen Franken Strafe bezahlen. Das lag vor allem daran, dass wir 2020 eine überdurchschnittliche Nachfrage nach Autos mit grossen und starken Motoren hatten. Unser mittelfristiges Ziel aber bleibt: Wir werden CO2-frei sein – von der Forschung und Beschaffung über die Produktion bis zum Vertrieb.
Ein durchaus ambitionierter Plan. Wie wollen Sie das schaffen?
Bis 2022 wird Mercedes-Benz in allen unseren Segmenten batterieelektrische Fahrzeuge anbieten. Wir bereiten uns darauf vor, noch vor Ende des Jahrzehnts vollelektrisch zu werden. Bei all diesen Plänen ist aber zentral: Unsere Kunden entscheiden, welche Autos sie kaufen. Wir müssen sie auf die Reise mitnehmen und begeistern.
Alternative Antriebe sind zwar ein grosses Gesprächsthema, doch gerade die stark motorisierten Modelle mit höherem Benzinverbrauch verkaufen sich sehr gut. Wie wollen Sie das ändern?
Es ist doch so: Wir reagieren alle dann am schnellsten, wenn wir es im Geldbeutel merken. Als Gesellschaft haben wir die Wahl: Entweder kostet uns alle die Umwelt demnächst volkswirtschaftlich richtig viel oder sie kostet den einzelnen Autokäufer kurzfristig etwas. Wenn ich einen grossvolumigen Benziner mit 500 PS fahren möchte, dann muss ich mir bewusst sein, dass das einen Einfluss auf meinen CO2-Fussabdruck hat – und für den bin ich persönlich verantwortlich.
«Wir reagieren alle dann am schnellsten, wenn wir es im Geldbeutel merken.»
Der Kunde ist vermutlich bei Mercedes deutlich weniger preissensitiv als bei anderen Marken, oder?
Nein, auch unsere Kunden kalkulieren scharf. Aber aufgrund der Batterietechnologie sind E-Fahrzeuge heute noch teurer als vergleichbare Benziner. In den ersten vier Betriebsjahren holt der Elektrische diesen Nachteil zwar auf, das ist aber eine sehr komplexe Rechnung. Zielführender wäre es, wenn das E-Auto schon von Anfang an günstiger wäre. Das könnte man durch eine Umweltabgabe lösen. Die existierende fahrzeugbezogene CO2-Abgabe könnte direkt dem Kunden belastet werden, der diese Kosten in seinen individuellen Kaufentscheid einbezieht.
Trotzdem gibt es auch viele Fans, welche gerade die leistungsstarken Modelle Ihrer Sportabteilung AMG weiterhin kaufen wollen. Warum?
Viele Kunden geniessen nicht nur die Qualität und die Leistung unserer AMG-Fahrzeuge, sondern auch das Prestige, das so ein Auto mit sich bringt. Das Auto ist in der Schweiz ein Statussymbol. Gerade in der Pandemie sehen wir, dass sich viele Kunden etwas Schönes gönnen. Aktuell liegt der AMG-Anteil hierzulande erstmals bei über 20 Prozent.
Und wie sieht die Zukunft solcher Modelle aus?
AMG ist ein stolzer Teil unserer DNA, und natürlich wollen wir auch hier unsere loyalen Kunden in die Nachhaltigkeit begleiten. Das fängt mit einem 48-Volt-Mildhybrid-System an, das wir bereits anbieten. Der Mildhybrid dient nicht nur der Verbrauchsreduzierung, sondern auch dem Fahrgefühl. Denn durch das gute Ansprechverhalten können elektrische Komponenten Beschleunigung und Fahrspass verbessern. Die nächste Stufe sind dann vollelektrische AMG der neuen Generation, beispielsweise der AMG EQS 53, der noch dieses Jahr zu unseren Händlern kommt.
Also stirbt der Verbrennungsmotor in absehbarer Zeit aus?
Momentan sind wir in der Schweiz über alle Marken hinweg bei einem Elektro-Anteil von 10 bis 15 Prozent. Wir wollen schnell wachsen. Uns muss aber klar sein: Thermische Antriebe werden noch lange einen grossen Teil des aktiven Fuhrparks ausmachen, in der Schweiz sprechen wir von knapp fünf Millionen eingelösten Autos. Wir bei Mercedes-Benz haben die Weichen für eine vollelektrische Zukunft gestellt und werden bis Ende des Jahrzehnts bereit sein, vollelektrisch zu werden. Ich betone aber nochmals: Der Markt muss diesen Wandel wollen. Wir sind in erster Linie unseren Kunden verpflichtet.
Müsste man Benzin- und Dieselmotoren ganz verbieten, wenn man komplett auf E-Mobilität umstellen möchte?
Ich glaube, dass der individuelle Wunsch in der Schweiz stark respektiert wird. Persönlich bin ich kein Freund von Verboten. Viel eher sollten Marktmechanismen den Umstieg zur Elektromobilität vorantreiben. Da sind wir wieder beim Thema CO2-Lenkungsabgabe: Wenn wir etwas steuern wollen, dann muss das Lenkrad mit den Rädern – oder eben der CO2-Ausstoss mit der Brieftasche – verbunden sein.
Wie erleben Sie die Akzeptanz von alternativen Antrieben bei den Kunden? Bleibt es beim Interesse, oder werden die Autos auch gekauft?
Die Probefahrten fallen meist sehr positiv aus – elektrisches Fahren macht Spass. Sobald es ums Laden geht, wird es schwieriger. Hier sind viele Unsicherheiten erkennbar.
Was verunsichert die Kaufinteressenten?
Viele Schweizer wohnen in Mietwohnungen oder sind Stockwerkeigentümer, da ist die Installation einer Lademöglichkeit schwierig. Wenn man am Wohnort aber nicht laden kann, hat man vielleicht bei der Arbeit Lademöglichkeiten. Aber auch da ist eine komplette Abdeckung für alle Mitarbeiter aufgrund mangelnder Grundversorgung durch den Stromanbieter oder eine Infrastruktur im Gebäude oft kaum möglich.
Also braucht es mehr öffentliche Lademöglichkeiten in Städten?
In der Stadt geht die Problematik weiter: Es fehlt an Anreizen und guten Lademöglichkeiten für E-Auto-Fahrer. Warum sollte ich momentan mit einem elektrischen Auto in die Stadt fahren, wenn ich kaum Parkplätze habe, sie nicht reservieren kann und zusätzlich zum vollen Parktarif noch teilweise überhöhte Stromgebühren zahlen muss? Gefordert sind also alle Beteiligten. Es braucht zum Beispiel eine Diskussion über ein gesetzliches Recht zur Errichtung von Lademöglichkeiten oder eine allgemeine finanzielle Unterstützung für private Ladestationen. Ein flächendeckendes Ladenetzwerk in der Schweiz müsste um ein Vielfaches grösser sein als das heutige. Denn ohne Infrastruktur wird es sehr schwer, die Menschen für das elektrische Fahren zu begeistern.