Zurzach
Ein Ohr voll «Safranhimmel»: Sybil Schreiber liest aus ihrem neusten Werk

Mit skurrilem Witz und lebendiger Sprache: Die Bad Zurzacher Kolumnistin gibt im Zürcher Millers Theater eine erste Kostprobe aus ihrem bald erscheinenden Erzählband «Safranhimmel».

Susanne Holthuizen
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Passend zu Sybil Schreibers Buch «Safranhimmel»: Die Abendsonne färbt den Himmel und damit auch die Bühne goldgelb.

Passend zu Sybil Schreibers Buch «Safranhimmel»: Die Abendsonne färbt den Himmel und damit auch die Bühne goldgelb.

Matthias Moser

«Ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt», sagt Agathe Meier und setzt sich flux auf den Stuhl, den sie sich in den vorderen Reihen der kleinen Bühne noch hat schnappen können. Der wache Blick der rüstigen Rentnerin wandert über das Publikum, das langsam an diesem lauen Sommerabend im Millers in der Mühle Tiefenbrunnen in Zürich eintrudelt und sich ein lauschiges Plätzchen im gemütlichen Freilufttheater sucht.

Frau Meier wollte die Bad Zurzacherin Sybil Schreiber schon immer einmal live erleben, nun ist es endlich so weit: Die Kolumnistin liest an den «Hundstagen in der Mühle» aus ihrem neuesten Erzählband vor, der im September erscheint. Für ihre Arbeit an «Safranhimmel» zeichnete sie das Aargauer Kuratorium mit dem Werkbeitrag Literatur aus.

«Ich bin ein grosser Fan, ich sammle ihre Kolumnen», gesteht Agathe Meier freimütig mit hoffnungsvollen Augen. Sie ist ganz kribbelig. Sie wohne schon seit vielen Jahren in der Stadt und sei als junge Frau vom Land ins Zürcherische Seefeld gezogen: «Mit Stöggeli in der Hand bin ich morgens auf den ersten Zug gehetzt, bis es mir zu bunt wurde und ich einfach geblieben bin.»

Sybil Schreiber greift gesellschaftliche Tabus auf

Fast könnte man meinen, dass die aus Würenlingen stammende Rentnerin aus Sybil Schreibers neuestem Erzählband «Safranhimmel» herausgefallen und eine lebendig gewordene Figur ihrer Kurzgeschichten ist. Denn auch ihre Protagonistinnen sind fein ziselierte Wesen, die sich ihren ganz eigenen Weg durch den Lebensdschungel bahnen und mit Menschen anbandeln, die so anders sind als sie selbst.

«Heute Nachmittag habe ich eine Frau am Bahnhof Stadelhofen beobachtet, die am Boden sass. Um sie herum Tauben. Sie: reglos», erklärt Sybil Schreiber dem Publikum ihr feines Situationsgespür. «Ob sie noch lebt? Jedenfalls hat sie mein Interesse geweckt, sicher werde ich sie einmal irgendwo einweben.» So entstehen ihre Geschichten. Scheinbar zufällig aus dem alltäglichen Dunst finden sie den Weg aufs Papier.

Sätze wie «die Vergangenheit abtauen, die Zukunft einfrieren» sind nicht bloss Handlungsbeschreibungen rund um einen Kühlschrank in Sybil Schreibers Kurzgeschichten, sondern synchron skizzierte Gemütslagen ihrer Protagonistinnen. «Ein Kuss, wie ein Termin in der Agenda» lässt kaum Raum für Interpretationen. Die Liebesarmut dieser Schicksalsträgerin benetzt, macht betroffen.

Mit «ich bin keine Mutter, ich habe bloss Kinder» greift sie ein weiteres gesellschaftliches Tabu auf. Sybil Schreiber interessiert sich für die Umkehrung des Stereotyps. Was geht in der Frau tatsächlich vor, die scheinbar aufgeht in einem wunderbaren Leben ohne Makel? Schonungslos und doch voller Poesie führt Schreiber das Innenleben dieser jungen Mutter vor, die sich in ihrem getakteten und fremdbestimmten Dasein nur noch danach sehnt, als Löwenzahnblüte auf einem Sonnenstrahl davon zu segeln.

Komödiantisches Talent macht Lesung zum Genuss

«Eigentlich sollte mein zweites Buch ein Roman werden», gibt Sybil Schreiber offenherzig zu. «Aber Kurzgeschichten sind nun mal das, was ich kann.» Das verbindende Element ihrer Erzählungen ist der Ort. Eine Treppenhaussiedlung in einer Stadt am Wasser, die Zürich oder auch München sein könnte. Dorther kommen ihre Protagonistinnen und deren Lebensumstände, die Sybil Schreiber in kurzen präzisen Sätzen und mit skurrilem Witz leichtfüssig dem Publikum vorsetzt.

Die letzten Sonnenstrahlen färben den Himmel über dem Theater goldgelb, als ob dies eine Regieanweisung wäre, nun noch Safranfäden regnen zu lassen. Agathe Meier ist vollends begeistert von der lebendigen Lesung, die durch den Sprachrhythmus und des Schreibers komödiantisches Talent an dem Abend nicht nur als Hörgenuss nachklingt.

Buchvernissage «Safranhimmel»: Freitag, 23. September, 20 Uhr; Kulturhaus Kosmos, Lagerstrasse 104, Zürich; Eintritt frei.