Unteres Aaretal
Verheerende Schäden in den Rebbergen: «Die Hälfte der Ernte ist weg»

Wegen Spätfrosts sind im unteren Aaretal und in Villigen in vielen Rebparzellen alle Jungtriebe dürr und kaputt. Andreas Meier: «Illusionen mache ich mir nicht, die Hälfte der Ernte ist weg.»

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Trostloses Bild im Klingnauer Rebberg: Alle Jungtriebe sind erfroren, braun und dürr.

Trostloses Bild im Klingnauer Rebberg: Alle Jungtriebe sind erfroren, braun und dürr.

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Das wunderbare Maiwetter ist endlich da und beschert den Menschen herrliche Tage und frühlingshafte Temperaturen. Die letzte Woche durch den Spätfrost angerichteten Schäden in vielen Rebbergen kann die Natur damit leider nicht aus der Welt schaffen.

Die Bilder sind teils verheerend, im Ostaargau hat es vor allem Villigen und das untere Aaretal massiv getroffen. Im Klingnauer Rebberg sind auf den meisten Parzellen alle Jungtriebe braun und dürr.

Jetzt zeigt sich, dass «örtlich mit bis zu 100 Prozent Ausfall gerechnet werden muss». Das schreibt die Aargauer Zentralstelle für Weinbau auf der Liebegg. Die vielerorts ein bis drei Grad minus über Stunden hinweg haben die Jungtriebe und oft auch gleich die Ersatztriebe daneben zerstört. Dies ganz am Anfang der Saison, bevor an den erst ein bis vier Zentimeter langen Trieben die Trauben überhaupt richtig sichtbar sind.

Steile Hänge weniger betroffen

Auffallend an den Schäden in den meisten Rebbergen: Steillagen sind weniger stark betroffen, weil dort die Kaltluft offenbar besser abfliessen konnte. Typisch zeigt sich das in Klingnau, wo im östlichen Teil ein Drittel bis die Hälfte der Jungtriebe noch grün und gesund ist. Keine Schäden hat es im bekannten Rebberg Kloster Sion, der so steil abfällt, dass man sich fast anseilen muss. «Hier hatten wir auch in anderen Frostjahren keine Ausfälle», sagt Andreas Meier.

Für den Würenlinger Weinbau-Unternehmer ist das ein schwacher Trost, denn er bewirtschaftet in Würenlingen, Klingnau und Döttingen 13 Hektaren eigene Rebberge und 2 Hektaren für andere Besitzer. «Illusionen mache ich mir nicht, die Hälfte der Ernte ist weg», lautet seine Schätzung. Ein harter Schlag nach den Ausfällen durch das Spritzmittel Moon Privilege im letzten Jahr und die Kirschessigfliege im vorletzten Jahr. «Aber was will man, Natur ist Natur», sinniert Meier.

Stärkster Frost seit 1978

«Einen derartigen Frost hatten wir seit 38 Jahren nicht mehr», betont Christian Voser aus Neuenhof, der in der Region viele Rebparzellen betreut. In Villigen seien die Schäden sehr gross, in Wettingen und Birmenstorf stark unterschiedlich, «im unteren Teil 60 bis 70 Prozent Ausfälle, im oberen Teil nur 5 bis 10 Prozent», erklärt der erfahrene Fachmann. Christian Voser betreut auch den Rebberg beim Bickgut von AZ-Verleger Peter Wanner in Würenlos, im unteren Teil habe es dort Frostschäden bis zu 50 Prozent.

Vom hervorragenden Weinjahr 2015 gibt es keinen roten Bicker, weil massiver Hagel alles kurz und klein geschlagen hat, vom Riesling-Sylvaner blieb nur eine Kleinernte. «Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen», meinte Meinrad Steimer, Kellermeister der Weinbau-Genossenschaft Wettingen. Bei gewissen Parzellen gebe es zwar 40 Prozent erfrorene Triebe. Das kann meistens durch mehr Trauben an den übrigen Ruten kompensiert werden. Darauf hofft auch Michael Wetzel von der Ennetbadener Goldwand, der über alles gerechnet von zirka 30 Prozent Schäden spricht. Stärker wirkte der Frost im unteren Teil, gegen die Häuser hin. Erfroren sind bei Wetzel, wie überall, die Jungreben, weil sie näher am Boden sind.

Auf schlafende Augen hoffen

Positiv ist immerhin, dass die Rebstöcke den Frost überleben werden, was nach den harten Winterfrösten 1985 und 1987 nicht immer der Fall war. Die Natur hat die Rebe mit schlafenden Augen ausgerüstet, welche verspätet austreiben werden. Weil sie wenig oder keine Trauben tragen, können sie den Jahrgang 2016 aber nicht retten. Bei derart unterschiedlichen Bildern ist es höchst schwierig, die Schäden abzuschätzen. «Wenn man durch die betroffenen Parzellen geht, denkt man aber an einen Millionenschaden», schreibt Rebbaukommissär Peter Rey.

Im Gegensatz zum Hagel gibt es keine Versicherung. Jeder Rebbauer muss selber damit fertig werden. Und das Weinjahr 2016 hat ja eben erst begonnen, leider unter einem denkbar schlechten Stern.

Frosttriebe wieder aktuell?

Die Väter der heutigen Rebbauern liessen früher einen Frosttrieb stehen, der bis oben zur Drahtanlage reichte und erst nach den Eisheiligen von Mitte Mai entfernt wurde. Im Ernstfall blieben durch diese Frostreserve neue Triebe für die Ernte. Weil Jahrzehnte nichts passierte, verzichteten immer mehr Winzer auf die Frosttriebe. Gemäss Rebbaukommissär Peter Rey könnten sie jetzt wieder aktuell werden. Der Frosttrieb treibt einige Tage später aus, im Idealfall kommen die neuen Augen erst nach den kalten Nächten zum Vorschein. Bei einigen Winzern war es diesmal so, bei anderen nützte die Frostreserve wenig. (Lü.)