Lengnau
Silja (16) wollte ein spezielles Austauschjahr – bald gibt es den Unterricht auf hoher See

Silja Uhland besucht eigentlich die Fachmittelschule in Wettingen. Dass sie ein Austauschjahr macht, ist an und für sich nichts Spezielles. Wie und wo die 16-Jährige es absolviert, hingegen schon.

Barbara Stotz Würgler
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Die 16-Jährige wohnt in Vogelsang bei Lengnau.
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Portrait Silja Uhland
Die «Pelican of London» wird für Silja Uhland zugleich Zuhause und Schulraum sein.

Die 16-Jährige wohnt in Vogelsang bei Lengnau.

Sandra Ardizzone

Wie viele Jugendliche träumte auch Silja Uhland von einem Auslandaufenthalt. Ein herkömmliches Austauschjahr reizte sie jedoch wenig. «Ich wollte unbedingt raus aus dem Trott und suchte etwas, das eine ganz andere Struktur hat», erklärt die 16-jährige Schülerin. Deshalb stach ihr die Anzeige des «Ocean College» auf Instagram sofort ins Auge.

Es befindet sich auf einem 45 Meter langen Segelschiff namens «Pelican of London». «Wir unterrichten im Kontext zu dem Ort, an dem wir gerade sind», erklärt Projektkoordinatorin Franziska Müller, «dadurch erreichen wir eine intrinsische Motivation». Ziel ist, dass die Schüler nach der sechsmonatigen Schiffsreise in ihre Klassen zurückkehren können.

Nebst dem täglichen Unterricht sind die Jugendlichen in die Schiffsführung mit eingebunden. Während sie bei der ersten Atlantiküberquerung noch von der professionellen Segelcrew unterstützt werden, steuern die Schüler die «Pelican of London» während der zweiten Überfahrt eigenverantwortlich. Silja Uhland ist froh, dass sie sich bereits einige nautische Kenntnisse aneignen konnt: Ihr Vater kaufte vor zwei Jahren ein Segelboot.

Kaffee ernten und Regenwald aufforsten

Ausgangspunkt der Reise ist Bordeaux. Zu Beginn steuert das Schiff durch die Biskaya. Danach nimmt es Kurs auf Teneriffa. Von dort geht es weiter Richtung Kapverden. Mit dem Passatwind wird der Atlantik überquert.

In der Karibik läuft das Schiff verschiedene Inselgruppen an, bevor die Crew zum neuen Jahr in Panama eintrifft. In Costa Rica gibt es einen längeren Landaufenthalt, während dem die Jugendlichen mithelfen, den Regenwald aufzuforsten und Kaffee zu ernten.

Danach fährt das Schiff nach Kuba. Im Anschluss macht die Truppe einen Halt auf Bermuda, wo sie die «Pelican of London» seefest machen für die zweite Atlantiküberquerung. Das Ziel: Europa.

Silja Uhland hat nach der Bezirksschule ein Jahr lang die Fachmittelschule (FMS) in Wettingen besucht. Nachdem sie ein Motivationsschreiben ans «Ocean College» eingereicht hatte, erhielt sie die Zusage.

Die Organisation «Ocean College» ist vom früheren Leistungsruderer Johan Kegler gegründet worden und hat ihren Sitz in Berlin. «Mit ‹Ocean College› habe ich meine Überzeugung verwirklicht, dass Lernen individuell und praktisch orientiert passieren muss und immer auch eine Persönlichkeitsentwicklung sein sollte», erklärt er.

Am 13. Oktober sticht darum die «Pelican of London» zum dritten Mal in See. Von den 32 Teilnehmenden – 21 Mädchen und elf Jungen - ist Silja Uhland die einzige Schweizerin, ein Mädchen kommt aus Österreich, die übrigen Teilnehmenden sind aus Deutschland.

Die Schulleitung der FMS hat ihr Gesuch, die Schule für ein Jahr unterbrechen zu können, genehmigt. Zurzeit absolviert Uhland im Arbeits- und Wohnzentrum in Kleindöttigen ein Sozialpraktikum.

Nach Abschluss des «Ocean College» wird sie dieses dort beenden, bevor sie das zweite Schuljahr an der FMS in Angriff nehmen wird.

Ein halbes Jahr ohne Handy – nur ein Fotoalbum darf mit

Silja Uhlands Eltern waren vom Konzept des Colleges ebenfalls sofort überzeugt – weniger begeistert waren sie von den Kosten der halbjährigen Segelexpedition. Der Preis: 25 000 Euro. Dennoch wollten sie ihrer Tochter diese einmalige Erfahrung ermöglichen, auch wenn die Finanzierung eine echte Herausforderung ist für die Familie.

Sie vereinbarten mit ihrer Tochter zudem, dass sie sich mit zehn Prozent an den Kosten beteiligt. Mutter Patrizia Oswald ist gespannt, wie ihre Tochter Mitte April zurückkehren wird: «Ich gehe davon aus, dass sie eine grosse Entwicklung durchmachen wird.»

Zunächst heisst es für Silja Uhland, die Koffer zu packen und Abschied zu nehmen von Familie und Freunden. Ihre Mobiltelefone müssen die Jugendlichen vor Antritt der Reise abgeben. Einzig Fotoalben mit Bildern von ihnen lieben Menschen dürfen sie mitnehmen.

Für Uhland ist es das erste Mal, dass sie für längere Zeit weg von zu Hause sein wird. Die 16-Jährige ist überzeugt: «Das Heimweh kommt sicher.».