Startseite
Aargau
Zurzibiet
Laut einem juristischen Gutachten erhält die Gemeinde Klingnau die Goldbarren, wenn sich bis zum 28. Juni 2017 der Eigentümer nicht meldet. Doch eine az-Recherche zeigt: Juristen sprechen von einer offenen Rechtslage – oder gar davon, dass die Goldbarren den Findern zukommen müssen.
Vor fünf Jahren versuchte jemand, in Klingnau 2,6 Kilogramm Goldbarren zu vergraben. Davon zeugt noch heute eine kleine Kuhle. Sie befindet sich hinter einem hohen Strauch, neben einem Kandelaber an einem schmalen Fussweg, der zwischen der Bahnlinie und der viel befahrenen Umfahrungsstrasse liegt, 4,5 Kilometer vom Grenzübergang Koblenz-Waldshut entfernt. Über die Kuhle ist noch kaum Gras gewachsen.
Am 28. Juni 2012, nach der Znünipause, mähen Bauamtsleiter Jean-Marc Wenger und sein Lehrling Timo Metzger hier das hohe Gras. Hinter dem Strauch stossen sie auf einen schweren weissen Plastiksack. Und darin auf Päckchen in weissem Seidenpapier mit vielen Klebstreifen drum herum. «Das sah aus wie ein Drogenpäckchen», erzählte Wenger später.
Als der Lehrling mit seinem Taschenmesser das erste Päckchen aufschlitzt, kommt ein 50-Gramm-Goldbarren zum Vorschein. Andere hätten das Gold als Schicksalsbonus eingesteckt und abends im Puff mit Champagner angestossen. Wenger und Metzger dagegen schreckt der Anblick auf wie der einer Giftschlange. Sie rufen die Polizei an und kommen so ihrer Pflicht als Finder nach. Später erfahren sie, dass ganz unten im Sack zwei 1-Kilo-Barren lagen, der Fund insgesamt 2,6 Kilogramm schwer und 120'000 Franken wert ist.
Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, musste aber zwei Verfahren einstellen. Das erste gegen unbekannt, das zweite gegen eine Person, von der die Ermittler einen Fingerabdruck auf dem Plastiksack nachweisen konnten, in dem die Barren lagen. Der Mann sass in Haft. Das Gold gehöre ihm, behauptete er bei der Befragung. Beweisen konnte er dies allerdings nicht, obwohl die Staatsanwaltschaft seinen Aussagen nachging.
Neue Recherchen der az zeigen nun: Bei dieser Person handelt es sich um einen heute 59-jährigen Mann aus Bosnien-Herzegowina, der keinen Wohnsitz in der Schweiz hatte, wie Fiona Strebel, Mediensprecherin der Staatsanwaltschaft, sagt. In Haft sass er nicht etwa wegen eines Vermögensdelikts wie Einbruch oder Diebstahl. «Er war wegen Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz inhaftiert», sagt Strebel. Seine Strafe hat der Bosnier mittlerweile verbüsst.
In einem solchen Fall weist das kantonale Amt für Migration und Integration (Mika) Ausländer aus Drittstaaten aus der Schweiz weg und beantragt beim Staatssekretariat für Migration ein Einreiseverbot. «In der Regel wird der Ausländer auf das Strafende hin aus der Schweiz ausgeschafft», hält Mika-Leiter Markus Rudin fest.
Was den Goldfund noch mysteriöser macht: Der Bosnier sass schon im Gefängnis, als die Gemeindemitarbeiter die Barren entdeckten. Er kann sie also selbst nicht am Fundort deponiert haben.
Die Ermittler konnten weder weitere Fingerabdrücke noch DNA an Goldbarren oder Plastiksack feststellen. Internationale Abklärungen der Staatsanwaltschaft ergaben keine Hinweise. Für alle Goldbarren, 50 Gramm bis 1 Kilo schwer, liess sich zwar das Herstelldatum eruieren, «für die kleineren sogar das Erstverkaufsdatum», sagt Strebel.
Die Spur verlief trotzdem im Sand, weil eine Bank die Barren erwarb, sie weiterverkaufte und die neuen Eigentümer nicht registriert wurden. «Es liess sich nicht nachweisen, dass es sich bei den Goldbarren um Deliktsgut handelt», hält Strebel fest.
Als der Goldfund im Juli 2012 publik wurde, meldeten sich zahlreiche Personen in der Hoffnung, die Goldbarren zu erhalten – das passiert auch heute noch. «Niemand konnte jedoch darlegen, dass er als Geschädigter in einem Strafverfahren Anspruch auf diese Goldbarren hätte», sagt Strebel.
Wer erhält das Gold, falls der Eigentümer sich innert fünf Jahren nicht meldet? Diese Frage liess die Gemeinde Klingnau vom Büro Studer Anwälte und Notare aus Laufenburg juristisch abklären. Das Gutachten kommt zum Schluss: Das Gold geht am Mittwoch, 28. Juni 2017, in das Eigentum der Gemeinde über. Die zentrale Argumentation lautet, wie Gemeindeschreiber Rolf Walker der az mitteilt, dass die Finder in dienstlicher Funktion als Gemeindeangestellte auf das Gold stiessen. «Das Obligationenrecht (Artikel 321b) regelt, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber alles sofort herauszugeben hat, was er in Ausübung seiner vertraglichen Tätigkeit findet.»
Jean-Marc Wenger und Timo Metzger, der nicht mehr in Klingnau angestellt ist, sollen einen angemessenen Finderlohn von 10 Prozent respektive 5000 Franken erhalten – der Wert des Goldes ist mittlerweile auf zirka 100'000 Franken gesunken. Die letzte Gemeindeversammlung sprach sich dagegen mit Applaus, aber ohne Abstimmung für den Vorschlag eines Bürgers aus, den Finderlohn zu verdoppeln. Der Gemeinderat will sich im Sommer mit dem Vorschlag sowie mit der Frage befassen, was mit dem Erlös geschieht.
Die Juristen sind sich allerdings nicht einig. «Nur schon, weil ein klärendes Präjudiz fehlt, muss von einer offenen Rechtslage gesprochen», sagt Roger Rudolph, Arbeitsrechts-Experte und Lehrbeauftragter der Universität Zürich. Der Standpunkt der Gemeinde werde zwar durch den Basler Kommentar, eine Gesetzeserläuterung, gestützt. Obwohl Rudolph dort selbst als Co-Autor mitwirkte, verweist er auch auf den älteren Zürcher Kommentar, laut dem die Goldbarren den Gemeindemitarbeitern zustehen.
Rudolph sieht eine weitere Unwägbarkeit: «Das Obligationenrecht findet bei öffentlich-rechtlichen Anstellungen durch eine Gemeinde grundsätzlich gar keine Anwendung. Bei den Gemeinden kommen in der Regel eigene, kommunale Personalrechte zur Anwendung.» Ein solcher Fall ist allerdings weder im Klingnauer Personalreglement noch im Arbeitsvertrag der Gemeindemitarbeiter explizit geregelt.
Art. 321b
III. Rechenschafts- und Herausgabepflicht
1 Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber über alles, was er bei seiner vertraglichen Tätigkeit für diesen von Dritten erhält, wie namentlich Geldbeträge, Rechenschaft abzulegen und ihm alles sofort herauszugeben.
2 Er hat dem Arbeitgeber auch alles sofort herauszugeben, was er in Ausübung seiner vertraglichen Tätigkeit hervorbringt.
Beim Obligationenrecht hakt auch Roland Müller, Professor für Arbeitsrecht an den Universitäten Bern und St. Gallen, ein. Im Artikel 321b heisst es, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber alles, was er bei seiner vertraglichen Tätigkeit für diesen von Dritten erhält, sofort herauszugeben habe. «Die Arbeitnehmer haben aber nichts von einem Dritten erhalten – und schon gar nicht für die Gemeinde als Arbeitgeberin», hält Müller fest. «Auch Trinkgelder hätten sie behalten dürfen», erläutert der Rechtsprofessor.
Müller zieht eine Analogie zur rechtlichen Handhabung von Erfindungen: Wären die Mitarbeiter mit Metalldetektoren ausgerüstet auf die Suche geschickt worden, ginge der Fund, analog zur Auftragserfindung, an die Gemeinde. Müller würde hier aber von einem Gelegenheitsfund im Dienst sprechen, analog zur Gelegenheitserfindung. Entscheidend sei, ob die Gemeinde mit den Arbeitnehmern eine schriftliche Abrede in Arbeitsvertrag oder Personalreglement gemacht habe, «wonach sich die Arbeitgeberin den Erwerb von Erfindungen und Designs oder einem Fund ausbedingt, die vom Arbeitnehmer bei Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit, aber nicht in Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten gemacht werden». Weil das nicht der Fall ist, legt sich Müller fest: «Die Gemeindemitarbeiter werden nach fünf Jahren Eigentümer der Goldbarren.»