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Unwetter und Allergien: Die Bürgis aus Lengnau blicken auf 40 Jahre zurück. Was die neuen Besitzer der Bäckerei nun ändern, was bleibt.
Der Duft nach gebackenem Brot liegt in der Luft. Die Öfen ruhen seit einigen Stunden, doch die Sonne heizt die Backstube von Ruth und Peter Bürgi im obersten Stock des Gebäudes im Lengnauer Industriegebiet am Vormittag bereits wieder auf.
Seit Jahrzehnten backen die Bürgis hier Brot, zaubern Desserts und kreieren neue Rezepte. Fast jedes Lengnauer Kind war schon in der Backstube, formte sein eigenes Zopftierli und erzählt heute den eigenen Kindern davon. Vor 40 Jahren übernahm das Ehepaar die Bäckerei im Dorf, nun übergeben sie ihr Lebenswerk an die Niederweninger Blum-Hauser Gastronomie von Samuel Hauser, Markus Witt und Reto Hoffmann. Wie das Ehepaar vor 40 Jahren starten auch ihre Nachfolger: auf Neuland und mit dem Willen, die Erfolgsgeschichte weiterzuführen.
Als Ruth und Peter Bürgi im März 1980 die Bäckerei übernahmen, hatte weder der gelernte Konditor-Confiseur noch die ausgebildete Textilverkäuferin je ein Brot ausserhalb der eigenen Küche gebacken. Peter Bürgi hatte zuvor fünf Jahre bei der Bäckerei Frei in Nussbaumen gearbeitet, als er 1979 per Handschlag in der Lengnauer Konditorei angestellt wurde, damals noch weiter oben im Rank der Zürcherstrasse.
Nach dem Gespräch rief ihm sein neuer Arbeitgeber hinterher: «Im März höre ich auf − dann kannst du das Geschäft übernehmen.» Bürgi holte sich Hilfe beim Gründer und Bäckermeister Emil Huber und Franz Suter von der Mühle, bis im Mai ein gelernter Bäcker anfing. Zwei Jahre später holte Bürgi die Bäckerprüfung nach.
Womit die Grossverteiler heute werben, macht Peter Bürgi seit 40 Jahren: «Trotz maschineller Unterstützung ist noch vieles Handarbeit, der Brotteig ruht mindestens vier Stunden. Das reduziert auch das Risiko für eine Glutenallergie», sagt er. Für die Produktion der vielen Brote war die Backstube im «Rank» aber bald zu klein. 1993 zog die Produktion in das Industriegebiet.
Eines der prägendsten Jahre war 1994, als die Surb über die Ufer trat. «Ich erinnere mich noch genau an das Datum: Ich organisierte am 19. Mai eine Infoveranstaltung, wie Angestellte sich bei Überfällen verhalten sollten.» Denn vier Monate zuvor hatte der sogenannte Uzi-Killer die Leiterin der Volg-Filiale in Schneisingen getötet. Dabei schoss der Heroinsüchtige 22 Mal auf die Tür eines Kühlraums, in den die Frau geflüchtet war. Die brutale Tat hat Bürgi bis heute nicht vergessen. «Ich stellte wie immer die Brotbestellung vor die Tür − sie war da bereits tot.» Mitarbeiter fanden die Volg-Leiterin später.
Die Überschwemmung überschattete den Infoanlass vom Abend. «Die ganze Nacht zuvor regnete es. Als ich gegen 2 Uhr in die Backstube im Industriegebiet fuhr, war die Surb beim Gartencenter bereits über die Ufer getreten.» Um 4 Uhr kam Othmar Suter von der Mühle, der damaligen Vermieterin, vorbei und riet, die Autos weiter oben bei der Hauptstrasse zu parkieren. Er warnte: «Die Surb kommt bald!»
Zwei Stunden später musste Bürgi bereits durch brusthohes Wasser über den Vorplatz zum Auto waten, um das Brot auszuliefern. Beim Unwetter kam die Bäckerei glimpflich davon. Am Scheideweg stand sie aber etwas später. Der Laden im Dorf war so klein, dass Ruth Bürgi in der Auslage kaum Platz fand für die Torten und Patisserie. Ein Umbau wäre mit grossem finanziellem Aufwand verbunden gewesen. «Auf diesem engen Platz wollte ich aber nicht weitermachen», erinnert sie sich. Die Bäckerei konnte schliesslich 2003 in die Gemeindeliegenschaft «Krone» ziehen. Dass Jungwacht und Blauring raus mussten, löste eine Unterschriftensammlung aus. Die Jubla fand aber beim Werkhof eine neue, grössere Bleibe.
Seit 2014 suchen die Bürgis einen Nachfolger, mit Blum-Hauser wurden sie nun fündig. Vordergründig ändert sich mit den neuen Besitzern nichts − abgesehen vom Namen «Blum-Hauser Bäckerei-Konditorei Bürgi». «Wir bauen aber das Traiteur- und Catering-Angebot aus», sagt Samuel Hauser, einer der neuen Besitzer. «Im Hintergrund optimieren und digitalisieren wir die Prozesse, beispielsweise im Bestellwesen.» Wie ihre Vorgänger sind auch die neuen Besitzer keine gelernten Bäckermeister. Die Leitung der handgefertigten Produktion übernimmt Yvonne Merkofer, seit 18 Jahren die Stellvertreterin von Bürgi. An kulinarischem Know-how mangelt es den neuen Besitzern nicht: Nebst dem Catering-Service führen sie die Restaurants zur Schmitte in Schöflisdorf und Frieden in Niederhasli. «Mit der Bäckerei, der Konditorei und der Catering-Küche können wir Synergien nutzen, beispielsweise im Dessert-Bereich», sagt Hauser.
Die Bürgis verabschieden sich noch nicht ganz: Ruth Bürgi wird bis ins nächste Frühjahr die Kunden im Laden begrüssen, Peter Bürgi steht als Berater zur Seite. «Ich habe bereits Jassnachmittage und Morgenspaziergänge aufgegleist», sagt er schmunzelnd. Und Ruth Bürgi ergänzt: «Ich freue mich auf Velotouren und spontane Tagesausflüge.»