Lengnau
Kühe stehen unter Strom: Nebst der Milch wird da auch der Bauer sauer

Seit Jahren befindet sich Patrick Müller mit Energiegesellschaften im Clinch. Die Kühe des Lengnauer Bauers stehen unter Stress und die Milchqualität sinkt. Sein Talacherhof liegt weniger als hundert Meter entfernt von zwei Hochspannungsleitungen.

Samuel Buchmann
Drucken
Patrick Müllers Hof liegt oberhalb des südlichen Ortseingangs von Lengnau. Gleich daneben verlaufen zwei Hochspannungsleitungen. Samuel Buchmann

Patrick Müllers Hof liegt oberhalb des südlichen Ortseingangs von Lengnau. Gleich daneben verlaufen zwei Hochspannungsleitungen. Samuel Buchmann

Samuel Buchmann

Die Kühe des Lengnauer Bauers Patrick Müller stehen unter Stress: Seit rund sechs Jahren sind sie unruhig, wenn es ans Melken geht. Schlagen aus. Hören während des Melkens auf, Milch zu geben, und bekommen entzündete Euter. Die Folge: Die Milchqualität sinkt, die Kühe müssen immer öfter mit Antibiotika behandelt werden. Der finanzielle Schaden geht in die Hunderttausende.

Doch warum fing Müllers Fleckvieh plötzlich an, sich so zu verhalten? Es begann mit einem neuen Stall und einer neuen Melkanlage, die sich der Bauer kurz zuvor angeschafft hatte. Müller machte sich also auf Spurensuche. «Wir schlossen einen Grund nach dem andern aus.» Am Schluss blieb nur noch eine mögliche Ursache: Strom.

Sind es Magnetfelder?

Sein Betrieb, . Nach einigen Nachforschungen und Erdungen wurde klar: Es fliesst zwar nicht direkt Strom von den Leitungen in den Talacherhof. Aber durch die hohen Spannungen entstehen starke Magnetfelder, die mittels Induktion schliesslich dafür sorgen könnten, dass Müllers Stall unter Spannung steht – wenn auch unter geringer.

Wie es der Zufall wollte, lief fast gleichzeitig mit dieser Entdeckung auch das Überleitungsrecht für die zwei Leitungen der damaligen Betreibergesellschaft Nordostschweizerische Kraftwerke (NOK) ab. Patrick Müller weigerte sich, einen neuen Vertrag zu unterschreiben, bis die Probleme seiner Kühe gelöst waren. Denn er sieht die Energiekonzerne – seit 2013 gehören die Leitungen der Swissgrid – in der Pflicht.

Es folgten zahlreiche Gutachten, mal von Müller selbst, mal von den NOK in Auftrag gegeben. Sechs Berichte zählt Müllers öffentliches Online-Archiv bereits. Die Gutachten widersprechen sich teilweise. Zwar werden in allen sogenannte Kriechströme gemessen – ein Stromfluss im Fundament des Stalls. Ein direkter Zusammenhang mit dem Verhalten der Kühe kann aber nicht ohne Zweifel hergestellt werden.

Der erste Bericht der NOK aus dem Jahr 2009 kommt etwa zum Schluss: «Es sind keine wahrnehmbaren AC-Berührungsspannungen vorhanden.» Noch weiter geht eine Studie der Fachkommission für Hochspannungsfragen der Schweizerischen Gesellschaft für Korrosionsschutz. Sie schreibt: «Das auffällige Verhalten der Kühe ist aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse nicht mit Körperströmen und auftretenden Gleich- oder Wechselspannungen zu erklären.» Die Spannungen würden im unkritischen Bereich liegen.

Das stellt die Fachstelle für nichtionisierende Strahlung hingegen in ihrem von Müller in Auftrag gegebenen Gutachten infrage: «Was heisst kritisch? Es ist unklar, ob die Tiere nicht bereits im minimal gemessenen Wechselstrom-Magnetfeld reagieren.»

Kein Ende in Sicht

Ein Haufen Gutachten, aber keine klare Antwort also auf die entscheidende Frage: Sind es tatsächlich die Hochspannungsmasten, die Müllers Kühe belasten? Während der Bauer selbst davon überzeugt ist, will Swissgrid weitere Untersuchungen machen. Mediensprecher Andreas Schwander: «Alle Messungen wurden bisher bei eingeschalteter Leitung gemacht.

Die Frage, ob die Ursache bei den Leitungen von Swissgrid liegt, lässt sich nur definitiv beantworten, wenn Messungen der Kriechströme zu einem Zeitpunkt durchgeführt werden, wenn die Freileitung ausgeschaltet ist.» Man habe deshalb im Mai einen Ortstermin angesetzt, bei dem sowohl von Müller betraute Gutachter als auch Spezialisten der Swissgrid anwesend sein werden. Und, so Schwander: «Im November wird die Leitung für längere Zeit für Unterhaltsarbeiten ausgeschaltet. Dies bietet eine gute Möglichkeit für eine ausgedehnte Messkampagne auf dem Hof.»

Die Swissgrid nehme Müllers Probleme ernst, sagt Schwander. «Kriechströme sind ein bekanntes Problem in der Landwirtschaft.» Die Induktion durch die Freileitung sei zwar eine mögliche Ursache, daneben gebe es aber eine Vielzahl von anderen möglichen Gründen: das komplexe Erdungssystem des Talacherhofs, die elektrische Hausinstallation oder der Hofanschluss.

Parallel zu den Abklärungen hat Swissgrid bereits das Verfahren zur Enteignung der Durchleitungsrechte eingeleitet: Wenn Müller nicht freiwillig das Recht abtritt, wird es erzwungen. Die Entschädigung erhält er so oder so. Dieses Verfahren sei nichts Aussergewöhnliches, sagt Swissgrid-Sprecher Andreas Schwander. «Es liegt im öffentlichen Interesse, dass diese Möglichkeit besteht.» Die Swissgrid habe über 50 000 Dienstbarkeitsverträge. Wenn auch nur ein Prozent davon das Durchleitungsrecht verweigert und man deshalb die Leitungen verlegen müsste, wäre es unmöglich, das Schweizer Stromnetz aufrechtzuerhalten.

Das alles nützt Patrick Müller wenig. Seine Kühe werden nach wie vor unruhig, wenn es ans Melken geht. «Manchmal ist es schlimmer, manchmal besser», sagt er. Die Probleme seien insgesamt so gross, dass Müller um seine Existenz fürchtet. «Wenn die Milch ein paar Mal hintereinander schlecht ist, kauft sie mir nie wieder jemand ab.»