Das Festival der Stille lud bei kühlen Temperaturen zu heissen Rhythmen.
Freitag, 27. August: Das Festival der Stille 2021 lädt zu seinem vierten Konzert und zum zweiten Mal Open Air. Kalendarisch dauert der Sommer zwar noch gut drei Wochen, aber von lauem Sommerabend keine Spur. 90 Leute pfeifen drauf.
Viele tragen leichte Winterjacken, andere Sommer-Outfit – den Temperaturen zum Trotz und dem Programm zu Ehren: Ein Abend mit lateinamerikanischen Rhythmen steht auf dem Programm und was, bitteschön, soll musikalisch gekonnter einheizen, wenn nicht solche?
Der chilenische Sänger Rubén Olivares hatte die Zuhörer bereits am Festival 2019 – damals ennet dem Rhein, im «Engelhof» Hohentengen – bezaubert. Mit dem Trompeter Amik Guerra (Kuba), dem Bassisten Pablo Beltrán (Kolumbien) sowie die ecuadorianischen Brüder Anichi (Gitarre) und Pablo (Schlagzeug) Perez ist der Name des neuen Quintetts son con ron – sie sind mit Rum – Programm. Entsprechend war das Angebot an der Bar bei der Patio neben der Kaiserstuhler Mehrzweckhalle.
Die Stimmung ist bereits eine Stunde vor Beginn aufgekratzt: Hände werden geschüttelt, es wird intensiv umarmt und gelacht, als ob es das «Ding» nicht gäbe (ich habe mir geschworen, seinen Namen für einmal aussen vor zu lassen). Mit Genuss wird den Drinks – Daiquiri, Piňa Colada oder Mojito – ebenso zugesprochen, wie Spanferkel mit Ananassalat und kubanischem Reis. Nebenbei schnappt man sich ein lindengrünes Kissen und nimmt Platz auf den Steinquadern.
Das Erscheinen der ru(h)mreichen Fünf wird begeistert applaudiert und kaum hebt der im klassischen Fach ausgebildete Tenor Olivares zu den ersten Tönen an, erklingen die ersten Akkorde von Bass und Gitarre, schon bewegen sich Dutzende von Köpfen rhythmisch und kaum einer der zu einem grossen Teil Ü50-Jährigen auf den steinernen Rängen kann sich zurückhalten.
Als Gitarrist Anichi Perez das Publikum umgehend auffordert – ihm ja geradezu befiehlt – vor die Bühne zu kommen, bevölkert sich die dortige Fläche in Windeseile. Steif stehen Männlein und Weiblein einen Moment da, bis zur Anichi in Wort und Tat loslegt mit seinen Instruktionen. Obwohl er, wie zwischendurch kurz zu hören ist, perfekt Deutsch spricht, erteilt der Tanzlehrer seinen Unterricht auf Spanisch.
Wortwörtlich versteht’s wohl keiner, aber die Schülerinnen und Schüler folgen mit vollem Einsatz mit Händen, Arme, Füssen und – ganz besonders leidenschaftlich – mit den Hüften: Die Älteren erinnern sich dabei gewiss an längst vergangene Hula-Hoop-Trainings, den Jüngeren sind die Gelenke bedeutend weniger eingerostet.
Nach der höchst erfolgreichen Tanzstunde hält das Quintett die blendende Stimmung mit temperament- und sehnsuchtsvollen, bisweilen auch etwas sentimentalen Liedern mit Titeln wie (frei übersetzt) «Romanze», «Ich bleibe bei Dir» oder «Zwei Gardenien». Während vor dem Konzert ein Jet im Anflug auf Kloten laut dröhnend über den Patio hinwegdonnerte, scheint eine knappe Stunde später eine weitere Maschine lautlos über die gut verstärkte Musik hinweg zu gleiten.
Die heissen Rhythmen vertreiben die kühlen Temperaturen ganz besonders bei all jenen, die sich nicht auf den lindengrünen Sitzkissen halten können: Die Tanzfläche ist ständig bestens besucht. Zwar hatte Anichis Tanzstunde konkret wenig Spuren hinterlassen, doch immerhin sind die individuell interpretierten mitteleuropäischen Standardtänze auffallend oft durch selbstvergessen-laszive Hüftschwünge, begleitet von strahlenden Gesichtern, ergänzt.