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Ausgerechnet ein Mann mit einer pädophilen Vorgeschichte, der vor Jahren auch in Döttingen tätig war, sollte Pfarrer in Riehen werden. Dabei war doch die katholische Kirche vorgeprescht mit der Nulltoleranz-Strategie. Sie hatte in den vergangenen Jahren eine Anzeigenpflicht eingeführt.
Leichtfertiges Handeln kann man ihm nicht vorwerfen. Der Bischof des Bistums Basel, Felix Gmür, liess sich nahezu ein Jahr Zeit für seinen Entscheid. Ausgerechnet ein Mann mit einer pädophilen Vorgeschichte sollte Pfarrer in Riehen werden.
Dabei war doch die katholische Kirche vorgeprescht mit der Nulltoleranz-Strategie. Sie hatte in den vergangenen Jahren eine Anzeigenpflicht eingeführt. Kirchenmitglieder müssen heute Anzeige erstatten, wenn sie von einem Zwischenfall mit Pädophilie Kenntnis haben. Die Kirche hatte einen Genugtuungsfonds eingerichtet. Eine halbe Million Franken steht Opfern von Übergriffen zur Verfügung. Und die Anlaufstellen für Opfer sexueller Übergriffe wurden ausgebaut.
Gmür kannte gemäss Recherchen der bz die Details, die erst am vergangenen Donnerstag dorthin gelangten, wo sie eigentlich nicht hingehörten: an die Öffentlichkeit. Stefan Küng, der von der Pfarrwahlkommission als Riehener Pfarrer vorgeschlagen wurde, hatte eine weit dunklere Vergangenheit, als die Mitglieder der Kirche wussten.
Bisher war bekannt gewesen, dass Küng in seiner damaligen Funktion als Pfarrer im Kanton Thurgau einem 16-Jährigen die Füsse massiert hatte. Der Strafbefehl zeigte, dass er dem Jugendlichen auch noch unters T-Shirt gegangen war und ihn auf den Nacken geküsst hatte.
Gmür, das ist belegt, hatte ein mulmiges Gefühl, als er sich hinter Küng stellte. Sein Sprecher Hansruedi Huber sagt, er habe ihn darauf hingewiesen, dass dies «imagemässig» ein No-Go sei; wohlgemerkt, bevor Huber über das ganze Ausmass von Küngs Verfehlungen im Bild war. Gmür habe sich auf den «christlichen» Standpunkt gestellt, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat. Und er stützte sich auf diverse Gutachten sowie den demokratischen Wahlprozess vor Ort. Für ihn sei entscheidend gewesen, dass die Gläubigen der Pfarrei das letzte Wort haben.
Eines der Gutachten hatte Gmür selbst in Auftrag gegeben. Dafür erhielt er den Strafbefehl Stefan Küngs aus Rom. Das heisst: Der Vatikan und das Bistum Basel waren jederzeit vollständig im Bild über die Straftaten des Pfarrkandidaten in Riehen.
Innerhalb der Kirche gibt es zum Entscheid Gmürs unterschiedliche Meinungen. Indiskutabel seien hingegen die Intransparenz und die Lügen, die im Zug der Riehener Pfarrwahlen zugelassen wurden.
Bereits im vergangenen Herbst hatte sich der vorbestrafte Pfarr-Kandidat Stefan Küng auf dem Religions-Blog «Aufbruch.ch» zu Wort gemeldet. Seine Taten im Thurgau seien naiv gewesen. Aber es sei ihm wichtig anzumerken, dass «nie ein Kontakt» im Genitalbereich stattgefunden habe, sondern sich alles auf die Massage der Füsse beschränkt habe.
Munter Halbwahrheiten streute auch der Präsident der Pfarrwahlkommission, Stefan Suter, am vergangenen Donnerstag. An einer Informationsveranstaltung zur Pfarrwahl rief er ins Publikum: «Der Fuss ist kein Sexualobjekt.» Bis zuletzt war Suter der Überzeugung, dass Küng ein Opfer der Medien war.
Vonseiten des Bistums und der Kirchenvertreter werden Küng und Suter allerdings mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Es war ein «krasser Fehler», sagt Hansruedi Huber, am Informationsanlass nicht die ganze Wahrheit offenzulegen.
Das findet auch Christian Griss, Präsident der Römisch Katholischen Kirche Basel-Stadt (RKK). «Wir sind der Auffassung, dass dieser Strafbefehl respektive die Details der Handlungen sowohl uns als auch der ganzen Pfarrwahlkommission hätte transparent gemacht werden müssen», sagt er auf Anfrage. Persönlich ist auch Griss der Meinung, dass Stefan Küng unter diesen Umständen nicht wählbar gewesen sei.
Doch dem Bistum waren die Hände gebunden. Es hätte dem Pfarrkandidaten nicht vorwerfen können, die Wahrheit unter den Tisch zu kehren – sonst hätten es den Persönlichkeitsschutz geritzt. Auf diesen Standpunkt stellt sich jedenfalls das Bistum. Unter diesen Umständen hätte selbst die Römisch-Katholische Kirche, die Anstellungsbehörde Küngs, nie die volle Wahrheit erfahren, wenn die Medien nicht gewesen wären.
Welche Konsequenzen aus dem Fall gezogen werden, konnte das Bistum Basel am gestrigen Tag nicht sagen. Felix Gmür weilt derzeit in Israel. Eines wollte sein Sprecher Huber aber klargestellt haben: Sicher nicht sei der Fall darauf zurückzuführen, dass man weniger genau hingeschaut habe, weil das Personal im Kirchenwesen besonders gesucht sei.