Abstimmung Rheintal+
Deutliches Ja zur Grossgemeinde: «Finanzen ein wichtiger Grund – ebenso das Bewusstsein einer Schicksalsgemeinschaft»

Nach dem deutlichen Ja von 9 Gemeinden ist das Fusionsprojekt Rheintal+ einen grossen Schritt weiter. Die hohe Zustimmung selbst in jenen Gemeinden, deren Gemeinderäte ein Nein empfohlen haben, hat selbst den externen Projektbegleiter Jean-Claude Kleiner überrascht.

Philipp Zimmermann
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Jean-Claude Kleiner: "Das deutliche Ja hat mich überrascht."

Jean-Claude Kleiner: "Das deutliche Ja hat mich überrascht."

Chris Iseli/Alex Spichale

Herr Kleiner, d ie Abstimmungsergebnisse fielen sehr deutlich aus. Deutlicher, als Sie das erwartet haben?

Ich muss sagen: Die deutliche Zustimmung hat mich überrascht. Selbst bei Bad Zurzach ging ich nicht davon aus, dass sie so enorm sein würde. Die kleineren Gemeinden profitieren von der Finanzkraft von Bad Zurzach, aber auch diese profitiert. Die Chance, die Oberstufe halten zu können, erhöht sich etwa.

Selbst die Bevölkerung von Mellikon und Rietheim folgte nicht der Empfehlung ihrer Gemeinderäte und stimmte deutlich für die Fusion.

Bei den kleinen Gemeinden hat sich in den letzten Wochen das Bewusstschein geschärft zu ihren spezifischen Herausforderungen und Problemen. Dazu gehört das Stellen von Behördenmitgliedern oder der Nachteil einer kleinen Verwaltung. Aufgrund des Zuspruchs in den kleinen Nachbargemeinden wurde wohl manchen Mellikern klar, dass sie plötzlich ganz allein, als Enklave von Zurzach dastehen könnten. Bei der Verwaltung hätten sie eh auf den grossen Nachbarn zugehen müssen. Zugleich hat sich ein Bewusstsein für die Chancen einer Fusion mit Bad Zurzach entwickelt.

Voller Saal in Bad Zurzach: Im Bezirkshauptort sind 414 von 2291 Stimmberechtigten anwesend.
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In mehreren Gemeinden wird eine geheime Abstimmung verlangt, etwa in Rietheim.
Bad Zurzachs Gemeindeammann Reto S. Fuchs begrüsst die Stimmberechtigten zur Abstimmung über den Fusionsvertrag.
Bad Zurzachs Ammann Reto S. Fuchs.
Die Abstimmung in Bad Zurzach: Hände schiessen in die Höhe.
395 von 414 Anwesenden sagen Ja zu Rheintal+ – 10-Nein-Stimmen werden gezählt.
Weitere Impressionen aus Bad Zurzach.
Weitere Impressionen aus Bad Zurzach.
Weitere Impressionen aus Bad Zurzach.
Weitere Impressionen aus Bad Zurzach.
Grossauflauf auch in Rietheim: Wenige Minuten vor Beginn der Gmeind sind alle Plätze besetzt.
Der Gemeinderat von Bad Zurzach.
Projekt Rheintal+: Diese zehn Zurzibieter Gemeinden prüften die Fusion.
So sollte das Wappen für die Gemeinde "Zurzach" aussehen – weil Fisibach Nein gesagt hat, fällt wohl ein blauer Flussstreifen weg.
Das Abstimmungsprozedere zum Fusionsvertrag Rheintal+.
10 Zurzibieter Gemeinden entscheiden über den Zusammenschluss. Es folgen Bilder zu diesen Gemeinden. Hier im Bild ist Bad Zurzach, die mit Abstand grösste der zehn Gemeinden
Blick aus der Vogelperspektive auf Bad Zurzach und und das Rietheimer Feld der Nachbargemeinde Rietheim.
Bad Zurzach ist weitherum bekannt als Wellness- und Kurort. Im Bild der Turm neben dem Thermalbad Zurzach. Oben im Turm befindet sich das Panoramarestaurant.
Blick in den historischen Ortskern von Bad Zurzach. Hier sind 4328 Einwohner gemeldet.
Der Flecken, wie die Einheimischen den historischen Ortskern nennen, ist ein beliebter Ort für Märkte und Events - hier die Tavolata, die ein grosses Publikum anlockte.
Rietheim ist, vom Rhein aus gesehen, die unterste der zehn "Rheintal+"-Gemeinden. Hier leben 741 Einwohner.
Rietheim: Der Zug fährt durchs Dorf.
Das Auenschutzgebiet Chly Rhy in Rietheim – ein Naturparadies.
Auch ein touristisches Strassenschild macht Werbung für die besondere Auenlandschaft in Rietheim.
Die andere Rheintal+-Nachbargemeinde von Bad Zurzach ist Rekingen (rheinaufwärts) mit 951 Einwohnern. Hier befindet sich das Wasserkraftwerk, das 60'000 Haushalte mit Strom versorgt. Auf der deutschen Seite liegt Reckingen (mit c).
Blick vom Nurren auf Rekingen und Bad Zurzach (hinten).
Die Gemeinden am Rhein, also Rietheim, Bad Zurzach, Rekingen, Mellikon, Rümikon und Kaiserstuhl, verfügen über einen SBB-Bahnhof oder eine SBB-Bahnstation.
Von Rekingen hinauf geht es nach Böbikon.
Die Kleinstgemeinde Böbikon hat 171 Einwohner. Es ist einwohnermässig die kleinste der "Rheintal+"-Gemeinden.
Höher als Böbikon liegt Baldingen (im Bild), wo 257 Einwohner leben.
Markant: Die Kirche von Baldingen. Im Dorf wuchs übrigens der ehemalige Aargauer National- und Ständerat Jules Binder (Jahrgang 1925, CVP) auf.
In Baldingen bestehen einige landwirtschaftliche Betriebe. Der höchste Punkt der Gemeinde liegt auf 575 Metern, auf der Spornegg.
Von Rekingen dem Rhein entlang kommt man nach Mellikon (235 Einwohner).
Auch Mellikon ist eine Kleinstgemeinde, verfügt aber über eine Bahnstation und ein Industriegebiet.
Von Mellikon hinauf geht es nach Wislikofen, das zum sogenannten Studenland gehört.
Bekannteste Liegenschaft in Wislikofen (340 Einwohner) ist die Propstei.
Mellstorf ist ein Ortsteil von Wislikofen. Die beiden Ortschaften fusionierten auf den 1. Januar 1899.
Von Mellikon rheinaufwärts geht es nach Rümikon.
Rümikon gilt noch heute als Fischerdorf – hier wurden einst Lachse gefangen.
Auch Rümikon (321 Einwohner) liegt am Rhein und verfügt über eine Bahnstation.
Neben Rümikon am Rhein liegt das Städtchen Kaiserstuhl (435 Einwohner). Mit den beiden Fernsehgrössen Dietmar Schönherr und Dieter Moor hatte Kaiserstuhl einst zwei prominente Einwohner.
Kaiserstuhl ist flächenmässig die kleinste Gemeinde im Kanton Aargau. Die Schüler von Kaiserstuhl und Fisibach gehen im Kanton Zürich in Weiach und Stadel (Oberstufe) zur Schule.
Ein Hingucker: Der Stadtturm von Kaiserstuhl.
Zu Kaiserstuhl gehört der Rhein beim Grenzübergang nach Hohentengen/Deutschland (rechts). Dort steht auch das Schloss Rötteln.
Fisibach (498 Einwohner) liegt neben Kaiserstuhl, und grenzt auch an den Rhein. Es geriet schweizweit in die Schlagzeilen, weil sich Einwohner Gedanken machten über einen Kantonswechsel zum Kanton Zürich. Dieser ist allerdings vom Tisch.
Vorne landwirtschaftliche Nutzfläche, hinten das Gebäude der Ziegelei.
Fisibach verfügt – wie alle zehn "Rheintal+"-Gemeinden – über landschaftliche Qualitäten.
Weitherum bekannt: Das Baggermuseum Ebianum in Fisibach.
Im Ebianum lassen sich Events durchführen: Auch eine grosse Informationsveranstaltung zu Rheintal+ fand im Januar 2017 hier statt. Quelle Einwohnerzahlen: Statistisches Amt Aargau, Ende Juni 2018.

Voller Saal in Bad Zurzach: Im Bezirkshauptort sind 414 von 2291 Stimmberechtigten anwesend.

Chris Iseli

Sie haben als Projektleiter schon diverse Fusionsprozesse, auch jenen von Bad Zurzachs Nachbargemeinden Döttingen und Klingnau. Die Diskussionen am Abstimmungsabend verliefen zum grossten Teil sachlich. Wie war Ihr Eindruck?

Ich habe hier viele sachliche Diskussionen erlebt. Gehässig war es nie. Schon in den Arbeitsgruppen waren die Gespräche differenziert. Ich muss sagen, ich habe in allen Gemeinden gute Gespräche geführt. Da sind Leute, die schauen in die Landschaft und in die Zukunft. Da waren keine Erbsenzähler dabei.

Der Abstimmungsabend war wohl wegweisend: Die neun Gemeinden dürften ihren Entscheid an der Urne bestätigen. Sie kennen andere Fusionsprozesse: Was ist für jenen von Rheintal+ typisch, auch für das deutliche Ja?

Die Finanzen sind natürlich ein wichtiger Grund. Ich sehe aber auch das Bewusstsein von einer gemeinsamen Schicksalsgemeinschaft, und das nicht nur bei den kleinen Gemeinden. Dazu gehört das Bewusstsein, dass es alleine schwierig wird. Das hat den Fusionsprozess beflügelt.

Jean-Claude Kleiner (65) begleitet als externe Fachperson regelmässig Fusionsprozesse. Im Aargau ist er aktuell nicht nur beim Projekt Rheintal+, sondern auch beim Projekt BEEH (Bözen, Elfingen, Effingen, Hornussen) im Oberen Fricktal mit der möglichen Fusionsgemeinde Böztal involviert. Er begleitete zudem den Fusionsprozess Döttingen-Klingnau, der 2013 mit einem Döttinger Nein und einem Klingnauer Ja an der Urne endete. Kleiner ist auch als FDP-Politiker Mitglied des Kantonsrates von Appenzell Ausserrhoden.

Lesen Sie hier den Verlauf des Abstimmungsabends im Liveticker nach.