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Zurzibiet
Egal ob historisch interessiert, in den Flecken vernarrt oder ganz einfach mächtig festfreudig: Am Fläckefäscht kam garantiert jeder auf seine Rechnung.
Preisfrage: Was ist die Steigerung von «fun and food» auf Schweizerdeutsch? Ganz einfach: «Fläckefäscht». Die Übersetzung von «Gaudeamus igitur, iuvenes dum sumus» ist etwas schwieriger. Doch Nicht-Lateiner bekamen «Wir wollen fröhlich sein, solange wir noch jung sind» am Fläckefäscht umgehend geliefert, wimmelte es da doch nur so von alten Römern. Ebenso zahlreich waren mittelalterlich gewandete Männer, Frauen und Kinder zugegen. Auch Damen mit Hütchen und Sonnenschirmchen in Begleitung von Herren in Frack und Zylinder flanierten durch die Schwertgasse und Hauptstrasse, ums Verenamünster herum, hinüber zum Langwies-Sportplatz, vorbei an der Mehrzweckhalle und hübschen Teenies, unter deren getupften Röcke Petticoats hervorlugten.
Die vier Epochen, die den Flecken Zurzach prägten – Römerzeit, Mittelalter, Industrialisierung und Nutzung der Thermalquelle – waren räumlich zwar separiert, doch im Festtaumel vermischten sie sich stets aufs Neue. Da sassen zwei Römer in Togen mit Lorbeerkränzen auf den Häuptern und genossen mittelalterliches Ambrosia-Huhn mit Datteln, Zwetschgen und Mandelmilch. Handkehrum biss ein Mann in Knickerbocker und Büsimütze wonniglich in Stück vom Ochsen. Der Carnifex hatte ihn am Freitagabend um 19 Uhr am Drehspiess übers Feuer gehängt, zwei Servilis hatten ihn die ganze Nacht überwacht, ab Samstag 11 Uhr wurde er in Stücke geschnitten und gut vier Stunden später war da nur mehr sein Gerippe. Ohne mein Zutun, denn es war ein Baldinger Ochse gewesen, dem ich sicher mal lebendig begegnet war. Zwar bin ich mitnichten Vegetarierin, aber eben . . .
Graf Dracula war zwar nicht da, aber immerhin spielte das Trio Szkojani Charlatans transsilvanische Melodien. Derweil gab der Schelmenturmwächter, der eine frappante Ähnlichkeit mit dem Kabarettisten Edgar Zimmermann hatte, amüsante Gedanken über Zurzacher Verhältnisse damals und heute zum Besten. In der Kirchgasse plätscherte ein Mini-Rotsee, auf dem in Schlauchbooten um die Wette gerudert wurde – inklusive Schikane mittendrin und Gruppen-Skilaufen am Ufer. Im Zelt daneben bot eine kleine Modenschau charmante Einblicke in die Dessous-Bekleidung von Damen der Belle Epoque: Wespentaille und hochgestemmter Busen – die Korsetts von Triumph machten es möglich. Ich fragte mich allerdings, wie alleinstehende Jungfern und Witwen sie wohl schnürten.
Es wurde viel gegessen, getrunken, gestaunt – etwa über einen 51-jährigen VW-Campingbus, liebevoll «Bulli» genannt, oder über ein Foto von 1971, als Heidi Abel und Werner Vetterli am Schwarz-Weiss Bildschirm «Heute Abend in Zurzach» präsentiert hatten. Kids buddelten wild in Sandhaufen, gruben mit Glanzaugen nach römischen Münzen, Goldklümpchen oder antiken Scherben. Enten fischen, Hufeisen werfen, Armbrust schiessen, beim Drechseln mit Fussantrieb zuschauen, den patrouillierenden römischen Legionären ausweichen, einen Orakelspruch kaufen, sich die Schuhe putzen lassen, ausprobieren wie man sich am Pranger fühlt, Kaffee aus hauchdünnen Mokkatässchen schlürfen. . .
Egal ob historisch interessiert, in den Flecken vernarrt oder ganz einfach mächtig festfreudig, ob Bratwurst oder Linseneintopf, ob mit oder ohne Faible für Latein – am Fläckefäscht kam garantiert jeder auf seine Rechnung.