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Die Aargauer Behörden haben den kriminellen Hausarzt Hareshchandra Shah nicht genau geprüft, als er hierher kam. Aber auch eine deutsche Behörde gibt keine rühmliche Rolle ab. Neue Recherchen zeigen dies. Ebenso, wie er sich über Jahre gegen den Entzug der Zulassung in Deutschland wehrte.
Der deutsche Hausarzt Hareshchandra Shah, 84, praktizierte über zehn Jahre lang im Aargau in einer Praxis in Klingnau – obwohl es nie so weit hätte kommen dürfen. Shah ist in Deutschland mindestens viermal vorbestraft wegen Steuerhinterziehung, Betrugs und eines vorgetäuschten Einbruchs, wie Recherchen der AZ zeigten. Er sass über ein Jahr im Gefängnis. Hätte das Aargauer Gesundheitsdepartement dies gewusst, hätten es ihm die Berufsausübungsbewilligung wegen fehlender Vertrauenswürdigkeit nicht erteilt.
Neue Recherchen zeigen nun: Die zuständige Bezirksregierung Arnsberg hatte Shah die Approbation für Deutschland entzogen. Die Approbation ist die staatliche Zulassung, die nötig ist, um den Arztberuf selbstständig auszuüben. Shah wehrte sich gegen den Widerruf zwar juristisch und schöpfte sämtliche Rechtsmittel aus. Mit Urteil vom 31. August 2006 unterlag er aber in letzter Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster.
Dieses Urteil liegt der AZ mittlerweile vor. Es zeigt: Der Widerruf nahm Bezug auf das Urteil von 1999 wegen Steuerhinterziehung. Shah wehrte sich mit dem Argument dagegen, dass er bei den Steuerhinterziehungen davon ausging, es habe sich um ein legales Steuersparmodell gehandelt. Zudem habe er mit dem eigenen Geständnis im Strafverfahren seine kranke Ehefrau entlasten wollen. Bei der Vorinstanz, dem Verwaltungsgericht Arnsberg, hatte er hingegen argumentiert, dass es seine Ehefrau gewesen sei, die einen grossen Teil des Steuerschadens verursacht habe.
Auch ergebe sich keine Charakterschwäche aus den Steuerdelikten, «weil er aus einem Kulturkreis stamm, in dem ein anderes Werteverständnis in finanziellen Angelegenheiten gelte». Die Richter beeindruckte dies alles nicht. Sie hielten am Entzug der Approbation fest. Mit seinem Verhalten habe er sich als unwürdig für die Ausübung des Arztberufes erwiesen. Seine Frau war strafrechtlich als Mittäterin gesondert verfolgt worden.
Christoph Soebbeler, der Mediensprecher der Bezirksregierung Arnsberg, also der Approbationsbehörde, bestätigt auf Anfrage der AZ: «Herr Dr. Shah verfügt seit Oktober 2006 nicht mehr über eine deutsche Approbation als Arzt. Das Dokument ist eingezogen worden und befindet sich seitdem bei der Bezirksregierung Arnsberg.»
Das Verfahren gegen Shah zog sich einige Jahre hin. Auslöser waren seine Verurteilungen zwischen 1997 und August 2001. Die Bezirksregierung sei damals von der Staatsanwaltschaft informiert worden, sagt Soebbeler. «Für den Widerruf der Approbation müssen begründete Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit eines Arztes bestehen.» Jeder Einzelfall werde für sich geprüft. Die Originalurkunde der Approbation ist mit einem Prägestempel versehen. «Dieser kann auf einer Farbkopie nicht erscheinen, so dass sie immer als Kopie des Originals erkennbar bleibt.»
Hat das kantonale Gesundheitsdepartement im Jahr 2008, als Hareshchandra Shah als 73-Jähriger im Aargau die Berufsausübungsbewilligung beantragte, die Approbation also nicht angefordert? «Nein, wir verlangen von allen Dokumenten bei allen Gesundheitsberufen nur Kopien», sagt Dorina Jerosch, Leiterin Bewilligungen und Aufsicht. «Wir haben damals nicht bei der Bezirksregierung nachgefragt. Herr Shah gab uns gegenüber an, dass er wegen seiner Pensionierung von dieser Behörde keine Unterlagen bekomme.» Shah habe einige nötige Dokumente eingereicht. «Damals waren es noch wenige direkt einreisende ausländische Ärzte, die im Kanton Aargau eine Berufsausübungsbewilligung beantragten», führt Jerosch aus. «Es fehlte uns damals noch die Erfahrung. Wir haben die Anforderungen unterdessen verschärft.»
Das Gesundheitsdepartement wandte sich damals an eine andere deutsche Behörde, die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe. Solche Vereinigungen erhalten für ihre Region einen gewissen Betrag von den Krankenkassen, den sie auf ihre Ärzte aufteilen. Sie erteilen Ärzten eine Zulassung und können selbst Sanktionen aussprechen. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe bescheinigte 2008 dem Aargauer Gesundheitsdepartement einzig, dass Shah altershalber keine kassenärztliche Tätigkeit mehr in Deutschland ausgeübt habe und das Einbringen einer aktuellen Unbedenklichkeitsprüfung nicht mehr möglich sei. Der Arzt hatte insofern Glück, dass seine Vorstrafen auf dem deutschen Strafregisterauszug, den er im Aargau vorlegen musste, wegen abgelaufenen Fristen nicht mehr aufgeführt wurden.
Laut Soebbeler arbeiten Bezirksregierung und Kassenärztliche Vereinigungen eng zusammen. Die Bezirksregierung habe die andere Behörde über den rechtskräftigen Widerruf von Shahs Approbation informiert. Somit stellt sich die Frage, wieso diese gegenüber dem Aargauer Gesundheitsdepartement mauerte und nicht wenigstens auf die Bezirksregierung verwies?
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe lässt die AZ sechs Tage auf eine Antwort warten. Dann folgen nur allgemeine Ausführungen, ohne auf den Fall Shah einzugehen. Auf Nachfrage schreibt Sprecherin Heike Achtermann lediglich: «Zur Offenbarung weiterer personenbezogener Informationen sind wir nicht befugt.»
Das Aargauer Gesundheitsdepartement stellt heute anders sicher, dass es an die nötigen Informationen kommt. «Der Gesuchsteller gibt uns auf einem Formular die Erlaubnis, damit wir bei einer ausländischen Behörde Auskunft einholen dürfen», sagt Sprecherin Jerosch. «Das klappte bisher in jedem Fall.» Die Behörde erteilt jährlich 800 bis 1000 Berufsausübungsbewilligungen im Gesundheitsbereich.