Wynental
Versuchte schwere Körperverletzung: Auch das Obergericht glaubte dem Angeklagten mehr als dem Opfer

Ein Freispruch des Bezirksgerichts Kulm wurde von der zweiten Instanz ohne Einschränkungen bestätigt.

Toni Widmer
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Der Angeklagte soll seine Partnerin bei einem Streit massiv verletzt haben. (Symbolbild)

Der Angeklagte soll seine Partnerin bei einem Streit massiv verletzt haben. (Symbolbild)

Bruno Kissling / OLT

Wie kompliziert und vielschichtig der Fall ist, belegt allein schon die Begründung des Urteils, welches das Aargauer Obergericht am 9. April 2021 gefällt hat. Sie umfasst 34 Seiten und geht nicht nur auf verschiedene Aspekte der Straftaten ein, die einem heute 64-jährigen Türken von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wurden. In der Urteilsbegründung ist auch ausführlich nachzulesen, warum seine 17 Jahre jüngere ehemalige Lebenspartnerin als nicht sehr glaubwürdig erachtet wird, und, wie in diesem Fall zwei Verteidiger bei der Festsetzung ihrer Honorarnoten etwas grosszügig gerechnet haben.

Angeklagter von Bezirksgericht teilweise freigesprochen

Der Reihe nach: Die Staatsanwaltschaft hat den Mann am 29. März 2019 wegen versuchter schwerer Körperverletzung sowie mehrfacher einfacher Körperverletzung und mehrfacher Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz angeklagt. Der Angeklagte soll laut Anklägerin am 13. März 2016 seine Partnerin in der gemeinsamen Wohnung im Wynental bei einem Streit massiv verletzt haben und daneben über Jahre Auto gefahren sein, obwohl ihm der Führerausweis längerfristig entzogen worden war.

Vor dem Bezirksgericht Kulm gab es am 18. Februar 2020 einen teilweisen Freispruch. Der Mann wurde von den Vorwürfen der Körperverletzung entlastet. Mehrfaches Fahren ohne Berechtigung, die Entwendung eines Fahrzeugs zum Gebrauch sowie die einfache Verletzung der Verkehrsregeln sah das Gericht jedoch als erwiesen an. Der Angeklagte wurde zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten sowie einer Busse von 100 Franken verurteilt.

Urteil von allen Parteien an das Obergericht weitergezogen

Mit dem Verdikt des Bezirksgerichts waren die Parteien allesamt nicht zufrieden. Das Urteil wurde nicht nur von der Staatsanwaltschaft an das Obergericht weitergezogen. Auch das Opfer als Privatklägerin ging in die Berufung und der Angeklagte selber forderte, die gegen ihn verhängte unbedingte Gefängnisstrafe sei in eine blosse Geldstrafe umzuwandeln.

Für das Aargauer Obergericht ging es in der Folge vorerst darum, die dem Angeklagten vorgeworfenen Tätlichkeiten und Körperverletzungen zu beurteilen. Das war, wie aus der Urteilsbegründung hervorgeht, offenbar gar nicht so einfach. Laut seiner ehemaligen Partnerin war der Mann im März 2016 mit einer Holzlatte auf sie losgegangen, die er zuvor zu einer Art Elektroschocker zurechtgebastelt und diesen an den Strom angeschlossen hatte. Weiter, erzählte die Frau damals der Polizei, hätte er sie mit einem Hammer sowie mit einem Messer verletzt. Elektroschocker-, Hammer- und Messereinsatz wurden vom Angeklagten jedoch vehement bestritten. Richtig sei, dass die Frau im Laufe der Auseinandersetzung aus dem Bett gestürzt und sich an einem Radiator verletzt hätte.

DNA-Spuren der Frau am Hammer gefunden

Schon das Bezirksgericht hatte der Version des Beschuldigten mehr geglaubt, als den Schilderungen seiner Partnerin. So hat es nun auch das Obergericht gehalten und den Mann in diesen Anklagepunkten ebenfalls freigesprochen. Die Begründungen dafür beruhen einerseits auf Beweisen. So konnten auf dem Hammer, der in der Wohnung gefunden worden war, lediglich DNA-Spuren der Frau, nicht aber solche des Mannes gefunden werden. Auch hatte das Obergericht aufgrund eines Gutachtens erhebliche Zweifel daran, dass der Angeklagte seine Partnerin mit einem Messer angegriffen hätte. Die Art der (tatsächlich vorhandenen) leichten Stichwunden liess auch die Vermutung zu, die Frau hätte sich diese selber beigebracht. Und zum Elektroschocker hielt das Obergericht fest, der Angeklagte sei aufgrund seines eher schwachen Intellekts wohl kaum in der Lage, ein solches Gerät zu basteln.

Er muss sechs Monate ins Gefängnis

Bestätigt hat das Obergericht auch das erstinstanzliche Urteil betreffend der verschiedenen ihm vorgeworfenen Verkehrsdelikte. Die Beschwerdeinstanz erachtete es ebenfalls als erwiesen, dass der Angeklagte über Jahre immer wieder Auto gefahren war, obwohl er den Führerausweis aus gesundheitlichen Gründen verloren hatte. Die vom Bezirksgericht ausgesprochene unbedingte Gefängnisstrafe von 6 Monaten hat das Obergericht bestätigt.

Zu den Verteidigern: Diese müssen gemäss Obergericht kleine Abstriche an ihren eingereichten Honorarnoten machen. Sie hätten, so die Begründung, ihre Aufwendungen teilweise etwas zu grosszügig kalkuliert. Die unterlegene Privatklägerin muss einen Teil der Verfahrenskosten übernehmen und, wenn es dann ihre finanziellen Verhältnisse erlauben, dem Staat die Kosten für ihre Verteidigung zurückzahlen.