Buch
Über sexuelle Gewalt reden: Diese Menzikerin gibt Opfern eine Stimme

Das Buch «Fragmente eines Tabus» der Gynäkologin Ruth Draths gibt Mädchen und jungen Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, eine Stimme

Sibylle Haltiner
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Ruth Draths hat bewusst keinen Ratgeber verfasst. Trotzdem finden Menschen, die beruflich mit dem Thema sexuelle Gewalt in Berührung kommen, Hilfestellungen.Sibylle Haltiner

Ruth Draths hat bewusst keinen Ratgeber verfasst. Trotzdem finden Menschen, die beruflich mit dem Thema sexuelle Gewalt in Berührung kommen, Hilfestellungen.Sibylle Haltiner

Sibylle Haltiner

«Du untersuchst Kinder nach sexuellem Missbrauch? Das könnte ich nicht, das würde ich nicht aushalten.» Solche Aussagen hat die Gynäkologin Ruth Draths schon so oft gehört, dass sie sie an den Anfang ihres Buchs «Fragmente eines Tabus» gesetzt hat. Trotz der belastenden Erfahrungen arbeitet sie seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendgynäkologie. Nun hat Ruth Draths die aufwühlenden Geschichten, die sie bei ihrer Tätigkeit gehört hat, zu Papier gebracht und damit auch ein Stück weit verarbeitet. «Es hat mich erleichtert, dass ich diese Geschichten formulieren durfte», berichtet die Autorin.

Ruth Draths wohnt in Menziken, arbeitete 20 Jahre lang am Kantonsspital Luzern und leitete dort die Kinder- und Jugendgynäkologie sowie den gynäkologischen Kinderschutz. Seit 2015 hat sie in Sursee eine eigene Praxis. Ausserdem wurde sie kürzlich zur Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie gewählt und engagiert sich für die Ausbildung junger Ärzte in diesem Bereich. Ihr erstes Buch «Vergessene Pubertät – Sexualität und Verhütung bei Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen» erschien 2012.

Feuer und Flamme für den Beruf

Vernissage

Das Buch «Fragmente eines Tabus» beinhaltet 11 Berichte über 13 Betroffene. Jede Geschichte wird durch einen oder zwei Theorieteile ergänzt. Die Vernissage findet am Samstag, 4. März, im «Huus 74» an der Hauptstrasse 74 in Menziken statt.
Programm: 14.00 Uhr, Begrüssung; 14.30 bis 15.15 Uhr, Lesung und Bildkommentare; Besichtigung bis 17.00 Uhr. Freie Besichtigung der Bilderausstellung: Mittwoch, 8. bis Freitag, 10. März, 18.00 bis 21.30 Uhr. Finissage: Donnerstag, 16. März, 17.30 bis 20.00 Uhr, mit Einführung und Lesung. (sih)

Im Gespräch mit Ruth Draths erkennt man schnell die Liebe zu ihren Tätigkeiten. Die Mutter von zwei Teenagern strahlt Energie aus und ihre Augen leuchten, wenn sie sagt: «Ich bin Feuer und Flamme für meinen Beruf, finde die Gynäkologie sehr interessant und arbeite gerne mit Jugendlichen.» Ferien? Die letzten hat sie mit Schreiben zugebracht.

Am kommenden Samstag stellt Ruth Draths ihr zweites Buch, das sie gemeinsam mit der Künstlerin und Psychiaterin Eve Stockhammer verfasst hat, im «Huus 74» in Menziken vor. «Fragmente eines Tabus» erzählt die Geschichte von dreizehn Mädchen und jungen Frauen, die sexuell missbraucht wurden. Die Ereignisse hat die Autorin derart verfremdet, dass keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Begebenheiten und die Beteiligten möglich sind. Die Erzählungen wühlen auf. Der Bericht über die vierjährige Sabrina, die von ihrem Grossvater missbraucht wurde, schnürt einem die Kehle zu, die Leidensgeschichte der 14-jährigen Anastasia, die von gleichaltrigen Jungen zu sexuellen Handlungen gezwungen und dabei gefilmt wird, löst Wut aus.

Geschichten mit Theorie ergänzt

Das Bild-Text-Buch ist im Dialog zwischen Ruth Draths und Eve Stockhammer entstanden: Die Geschichten riefen bei der Künstlerin Bilder hervor, die Bilder wiederum bei der Jugendgynäkologin die Texte.

Jede Geschichte ergänzt die Gynäkologin mit theoretischen Themen. Sie beschreibt den Ablauf einer kindergynäkologischen Untersuchung oder die Zusammenarbeit mit Kinderschutzgruppen, Polizei oder der Staatsanwaltschaft. «Ich möchte junge Kollegen ermutigen, in diesen Bereich einzusteigen», erklärt Ruth Draths. Obwohl die Autorin bewusst keinen Ratgeber verfasst hat, finden auch Menschen, die beruflich mit dem Thema sexuelle Gewalt in Berührung kommen, Anleitungen zum Vorgehen bei Verdachtsfällen. Und vor allem sollen Betroffene durch das Buch den Mut finden, über ihre Erlebnisse zu sprechen. «Man muss über dieses Tabu reden», erklärt Ruth Draths eines der Hauptziele ihrer Arbeit und ergänzt: «Jede Geschichte, auch die schrecklichste, versucht, einen Weg zu zeigen und Mut zu machen.»