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Aargau
Wyna/Suhre
Recycling-Fachfrau Karin Bertschi erzählt von ihrer Studienreise nach Haiti. Sie war schockiert, als sie sah, wie das Land in seinem eigenen Abfall zu ersticken droht. Und sie merkte: Fremde Hilfe ist nicht immer sinnvoll.
Karin Bertschi, Geschäftsführerin des Recycling-Paradieses in Reinach ist zwei Wochen quer durch Haiti gereist. Eingeladen hatten sie die humanitären Stiftungen «Hand in Hand» und «Care for Climate». Gesehen hat sie ein Land in der Karibik, welches seine Abfallprobleme nicht ansatzweise im Griff hat. «Man erhoffte sich von mir Ratschläge und Ideen für erste, kleine Projekte», sagt Karin Bertschi.
«Bei meiner Ankunft war ich schockiert», erzählt sie, «so habe ich es mir nicht vorgestellt.» Sie habe zwar gewusst, dass der einst reiche Staat heute zu den ärmsten Ländern der Welt gehöre. Doch das wahre Gesicht der Armut hat Bertschi erst hier wahrgenommen. Die Menschen lebten in den Tag hinein, sagt sie, «jeder schaut für sich».
Neun Millionen Menschen wohnen auf Haiti, viele in behelfsmässigen Hütten und Häusern. Die meisten Einwohner müssen mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen, es gibt kaum Arbeit. «Ich gewann den Eindruck, dass der Staat nichts unternimmt, keine Verantwortung übernimmt.»
Wären da nicht die Hilfswerke aus der ganzen Welt im Einsatz, wäre alles noch schlimmer. Das Leben sei in zweierlei Hinsicht gefährlich. Einerseits sind da Kriminalität, Korruption, Drogenhandel, andererseits die lebensbedrohenden Krankheiten und Seuchen wie Cholera und Lepra.
Und da ist die Recyclingfrau bei ihrem Thema. Heute werde in diesem Bereich nichts gemacht – mit Ausnahme einer Abfall-Sortieranlage in Port-au-Prince (Bild rechts). Sämtlicher Abfall landet auf den Strassen. Abfallkübel gibt es nicht. Dann werden die Bäche zugemüllt und an den Meeresstränden entstehen Deponien. Auf den Müllbergen spielen Kinder, suchen Kühe und Schweine nach Fressbarem und Menschen nach Brauchbarem.
Ob Tierkadaver oder Spitalabfälle, alles landet auf dem Berg. «Dann wird der Müll in Brand gesetzt, und was übrig bleibt, spült der nächste Regen ins Meer». Haiti hätte schöne Strände, aber das Wasser sei durchsetzt von Abfällen, 1000 Kubikmeter Plastik. Sauberes Trinkwasser müssen die Inselbewohner in Flaschen kaufen.
Hilfswerke würden Grosses leisten, sagt Bertschi, aber die Einrichtungen funktionierten nur so lange, wie die Helfer vor Ort seien. Spanien habe eine Kläranlage installiert. Doch heute stehe die Anlage still, etwas an der Technik sei defekt. Vom Staat sei nichts zu erwarten, sagt Bertschi, die wollen nicht, dass die Hilfswerke abziehen.
Als sie Regierungskreisen vorschlugen, ein Entsorgungskonzept aufzuziehen, war die erste Reaktion: «Wie viel Leute und wie viel Geld bringt ihr?» Etwas Nachhaltiges mit Eigenverantwortung der Haitianer könne so nicht aufgebaut werden, glaubt Bertschi.
«Eine Änderung, das Umdenken muss wohl bei den kleinen Kindern in den Schulen beginnen.» Karin Bertschi denkt an kleine Projekte im Unterricht. «Die Kinder und jungen Menschen müssen zur Einsicht kommen, dass Haiti sauberer werden, muss, sonst wird die Gefahr von Seuchen nie gebannt.»
In den Schulen, so erzählt Bertschi, die notabene auch von Hilfswerken und kirchlichen Organisationen geführt werden, habe sie viele fröhliche Kinder und Lehrer erlebt. «Hier stösst man auf offene Ohren, hier beginnt der lange Weg zur Eigenverantwortung.» Solange das Müllproblem nicht gelöst sei, sei auch kein Tourismus möglich, so wie etwa in der benachbarten Dominikanischen Republik.