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Aargau
Wyna/Suhre
Der in Pension gehende az-Redaktor Peter Siegrist trifft in einer Abschiedsserie ehemalige Schüler. Heute: Georg Kacl ist mit seinen Eltern 1970 in die Schweiz geflüchtet und weiss, was Migration bedeutet
Georg Kacl, 52, steht vor einem Computertomographen, auf dem Monitor steht noch ein Bild der Wirbelsäule des Patienten, den er behandelt hat. Hier, im 12. Stock in der Praxis Schanze, mit Blick über die Stadt, arbeitet Georg Kacl. Er ist Facharzt für medizinische Radiologie an der Klinik im Park in Zürich. CT, MRI, Röntgen und Utraschallgeräte sind seine Werkzeuge. Dank dieser Geräte hat er als Arzt den Ein- und Durchblick bei seinen Patienten. Bereits als Kind hat Georg seinem Vater, der Röntgenarzt im Kantonsspital Aarau war, über die Schultern geblickt und sich für diesen Beruf begeistert.
Das war klassisch: Familie mit akademischer Ausbildung, beide Eltern Ärzte, ich Einzelkind. 1970 gelangten wir auf Umwegen via Holland in den Aargau. Mehrere zehntausend emigrierten damals, weil sie die Unterdrückung des kommunistischen Regimes nicht ertrugen. Fachspezialisten, Handwerker und Intellektuelle, es war ein fataler Aderlass für das Land.
Ja, die ganze Angelegenheit war streng geheim. Meine Mutter hat mich vor dem Grenzübertritt genau instruiert, ich war damals sieben Jahre alt und das ganze eine «heisse» Aktion. Als wir unsere Heimat verliessen, konnte ich kein Deutsch. Meine Mutter hat mir in einem Crash-Kurs Hochdeutsch beigebracht. Und wenig später erlernte ich in Buchs die Mundart.
Ich war in guter Umgebung, von den 40 Kindern in unserer Klasse waren viele Italiener und Spanier: Roberto, Loris, Salvatore, Paolo, Alice, Cristina. Wir hatten alle das gleiche Problem.
Es war problematisch. Es gab eine natürliche Selektion. Da waren hier die Schweizer und dort die Ausländer. Das liessen die Schweizer Kinder uns auch spüren. Es war zur Zeit der Schwarzenbach-Initiative, was das Thema aufheizte. Solche Dinge wiederholen sich.
Das ist so. Wir haben in der Stadt viele Migranten, ich habe auch Sans-Papiers behandelt. Man lernt dabei, dass diese Menschen aus andern Kulturkreisen ganz andere Wahrnehmungen, andere Schmerzempfindungen haben. Mein Bild von den Patienten wird durch mein eigenes Erleben ergänzt.
Das will ich gar nicht. Ich sage auch meinen beiden Töchtern, der tschechische Name wird euch begleiten, und er ist auch Teil eurer Geschichte.
Manchmal wie ein tschechischer Auslandschweizer. Ich habe auch Kontakt mit Kollegen und Cousins in Tschechien.
Das hat mich stimuliert. Mittlerweile spreche ich sechs Sprachen. Ich hatte das Glück, jeweils bei guten Sprachlehrern Unterricht zu haben.
Ich erinnere mich gut an die Turnstunden. Uns Knaben hast du mit Fussball müde gemacht, dann haben wir regelmässig an den Geräten geturnt und auch die Kletterstange, die gehörte zum Pflichtprogramm. Das war für unsere «Multikulti-Bande» wohl genau das Richtige.
Ja genau, du hast gesagt, ich solle mit meiner Faust voll zurückschlagen. Das tat ich, ein Faustschlag dem Angreifer mitten ins Gesicht. Nachher war Ruhe, ich hatte mir Respekt verschafft. Der Rat war eigentlich pädagogisch richtig, letztlich ging es darum, dass ich mich auch durchsetzte.
Das war sicher so. Mich interessierte die Arbeit des Vaters. Er konnte jeweils schnell differenzieren, welcher Befund vorlag, die Sachen benennen und dann in einem kurzen Bericht klar darlegen. Das beeindruckte mich.
Dass mein Vater in einen Menschen hineinblicken konnte, wenn nötig eine Nadel hineinsteckte und plötzlich war eine Diagnose möglich.
Es ist ein Suchen wie bei einem Puzzle. Ich suche nach einem Muster. Ein Puzzle kann man verschieden zusammensetzen, aber es gibt meistens nur eine richtige Diagnose. Das ist schwierig.
Es gibt Befunde, die gar nicht zu Krankheiten führen, aber es sieht krank aus. Mit der Erfahrung lernt man zu unterscheiden, was ist jetzt noch normal und was ist krank.
Das Schlimmste wäre, wenn ich einem Gesunden sagte, Sie haben Krebs, das ist fatal. Schlimm ist aber auch, wenn man etwas verpasst, aber auch das kann vorkommen.
Es gibt unterschiedliche Patienten. Solche, die nichts sagen und doch etwas Schwerwiegendes haben. Da bin ich froh, wenn ich die Ursache von Beschwerden finde.
Es gibt Menschen, die kommen, weil sie psychische Probleme haben, die sich im Darm oder mit Kopfweh äussern. Da finde ich nichts, und ich kann sagen, die Beschwerden gibt es zwar, aber die Ursache ist kein Tumor. Das kann schon Teil der Therapie sein.
Wir Ärzte lernen zu erkennen, dass ein Unterschied besteht, zwischen der Krankheit und dem Arzt selber. Da baut sich jeder Arzt gewisse Barrieren auf im Sinn von ‹der Patient ists, der die Krankheit hat, und nicht du›. Ich darf mich als behandelnder Partner nicht mit dem Patienten identifizieren.
An den Arbeitstagen ist das gemeinsame Mittagessen mit Kollegen wichtig. Zu Hause ist es die Familie und die Musik. Ich spiele seit Jahren Klavier, nehme Stunden, spiele Solo- und Kammermusik. Und dann reise ich gern. Wenn ich Ferien habe, muss ich weg.
Ich fahre gern Rad und arbeite oft im Wald. Wir haben in Frankreich ein Ferienhaus mit viel Wald als Umschwung. Da liebe ich es, zu holzen und körperlich schwer zu arbeiten. Das bringt oft Rückenweh, Müdigkeit und damit den nötigen Ausgleich und Zufriedenheit.