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Wyna/Suhre
Viele Neubauwohnungen in der Region stehen leer und die Altbauten lassen sich nur schwer vermieten. Manch einer blickt dieser Entwicklung mit Sorge entgegen.
Stangenwald im Reinacher Mitteldorf: Für gut 26 Millionen Franken plant hier die lokale Generalunternehmung Berzati AG eine Arealüberbauung mit Gewerbeflächen und 64 Mietwohnungen. Das Baugesuch liegt derzeit öffentlich auf. Der Bauboom im Wynental, so scheint es, ist ungebrochen.
Im Zentrum von Unterkulm haben die Arbeiten für die Überbauung «im Dorf» mit 50 Wohneinheiten gestartet. In Menziken steht der «Myrtenpark» mit 44 Wohnungen kurz vor der Vollendung; gerade erst fertiggestellt, wurde die Überbauung Bodenfeld mit 57 Wohnungen.
In Reinach sind im vergangenen Jahr im «Lindenhof» 63 und in der Wohnanlage Gautschi-Park 58 neue Wohneinheiten entstanden – um nur einige Beispiele zu nennen. In der Region sind derzeit Bauprojekte für weit über 1000 Wohnungen in der Pipeline.
Doch lassen sich all diese Wohnungen überhaupt vermieten? Wird es gelingen, gute Steuerzahler von auswärts anzulocken? Manch einer blickt der Entwicklung mit Sorge entgegen. Christian Schweizer, Inhaber und Geschäftsführer der lokal tätigen Immobilienvermittlerin CHS Immobilien AG mit Sitz in Reinach, beobachtet die Vorgänge seit Jahren mit Skepsis.
Für ihn ist klar, dass diese Rechnung nicht aufgehen kann. «Seit 2015 ist bei uns so viel gebaut worden, dass in neuen Häusern teilweise ein Jahr nach Bauschluss noch 60 bis 70 Prozent der Wohnungen leer stehen», sagte er neulich gegenüber dem Tages-Anzeiger und ergänzt auf Anfrage der az: «Nach erfolgreichen Erstvermietungen steigen die Leerstände in diesen Objekten nach einem Jahr sogar wieder an.»
Ähnlich tönt es bei einer anderen lokalen Immobilienunternehmung, die anonym bleiben will. Von «grossen Schwierigkeiten mit der Vermietung» ist hier die Rede – nicht nur in Bezug auf die Neubauwohnungen. Bedingt durch den Bauboom und die daraus resultierende Verlagerung der Mieterschaft von Alt- in Neubauten sei auch der Absatz von älteren Wohnungen sehr schwierig geworden. Die Vermietungsliste sei so lang, wie schon seit Jahren nicht mehr.
Tatsächlich lassen auch die neusten Zahlen der Immobilienberatungsfirma Wüest Partner ein Überangebot an Mietwohnungen vermuten. In Reinach etwa standen im Januar 28 Suchabos auf Onlineplattformen 135 ausgeschriebenen Wohnungen gegenüber, was einem Verhältnis von 0,2 entspricht.
In Menziken waren es 27 Suchabos auf 95 Angebote (Verhältnis 0,3), in Unterkulm 11 Suchabos auf 26 Angebote (Verhältnis 0,4). Damit ist der Angebotsüberhang im Wynental deutlich höher als im Kantonsmittel. Im Aargau beträgt das Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot 0,8.
«Die Untersuchung der Verhältnisse von Inseraten und Suchabos ist eine Möglichkeit, den Zustand eines Wohnungsmarkts zu beurteilen», sagt Robert Weinert, zuständig für Marktanalysen bei Wüest Partner, Zürich. Gewiss sei es aber auch eine Frage der Mentalität, ob Suchabos eingesetzt würden.
«Jüngere Menschen in städtischen Gebieten suchen häufiger über Online-Plattformen als ältere in ländlicheren Gebieten. Trotzdem können wir den Wert zum regionalen Vergleich zuziehen», so Weinert. Auch die Angebotsquoten, also jenes Mass, welches das Verhältnis zwischen der Anzahl der angebotenen Immobilien und dem Wohnungsbestand angibt, bestätigten das sehr hohe Angebot.
Grossmehrheitlich machen sich die Gemeinden keine riesigen Sorgen über die Leerstände. Da die Projekte von privaten Investoren getragen werden, ergeben sich für sie bei Nicht-Vermietungen keine finanziellen Nachteile – jedenfalls keine direkten.
Zu denken gibt die Entwicklung den Oberwynentaler Gemeindeoberhäuptern dennoch, so etwa die Verlagerung der Mieterschaft von Altbauwohnungen in die neuen Überbauungen. Besitzer von Altliegenschaften sind in der Folge gezwungen, ihre Wohnungen entweder auf einen höheren Ausbaustandard zu bringen oder eine andere Klientel zu suchen.
Und hier liegt das Problem. «Wir haben Vermieter, die in ihren alten, schlecht oder gar nicht unterhaltenen Wohnungen auch weiterhin keinen Pinselstrich machen, bevor sie die Wohnung weitergeben», sagt Annette Heuberger, Gemeindeammann Menziken. Und wer in eine solche Wohnung einziehe, sei in der Regel kein (guter) Steuerzahler.