Bezirksgericht
Verfolgungsjagd durchs Wynental an Heiligabend: 1,7 Promille, 117 km/h – und ein Mahnung des Richters

Ein Gärtner stand vor dem Bezirksgericht Kulm, weil er von der Polizei flüchtete und mit 117 km/h durch Zetzwil heizte und verunfallte.

Peter Weingartner
Drucken

Der Heiligabend 2017 war Talgespräch. Für die Polizei «grenzt es an ein Weihnachtswunder», dass bei der Verfolgungsjagd im Wynental niemand verletzt wurde. Auch nicht Meinrad (Name geändert), heute bald 43, der mit seinem Fahrzeug nach spektakulärer Flucht in eine Hausfassade prallte und auf 70 Metern ein Trümmerfeld hinterliess. Kein Wunder, wenn man mit 117 km/h und 1,71 Promille Alkohol im Blut ins Dorf einfährt.

Um zwei Uhr nachts am 24. Dezember 2017 beginnt das Unheil: Meinrad, damals noch selbständiger Landschaftsgärtner, verlässt in Reinach eine Bar, steigt in sein Auto und will wegfahren. Dabei beachtet er ein Signal «Einfahrt verboten» nicht, was eine Patrouille der Regionalpolizei beobachtet. Jene besetzt die beiden möglichen Ausfahrten, um Meinrad anzuhalten und zu kontrollieren. Der hält ein paar Meter vor dem Polizisten an, gibt dann Gas, und der Polizist muss sich mit einem Sprung zur Seite retten.

So berichtete Tele M1 vom Prozess:

Verfolgungsjagd mit der Polizei

Die Patrouille nimmt mit Blaulicht und Horn die Verfolgung auf. In Leimbach biegt Meinrad ohne Licht in eine Seitenstrasse ein, die Polizei schliesst auf, doch er fährt auf die Aarauerstrasse zurück und hängt die Polizisten, die selber mit 160 km/h fahren, ab. Mit 117,44 km/h fährt er in die 50er-Zone, in der Rechtskurve eingangs Zetzwil verliert er die Herrschaft über sein Fahrzeug, gerät auf die Gegenfahrbahn, überquert das Trottoir, fährt über ein Steinbeet und kollidiert mit einer Hausfassade.

Dabei wird das linke Vorderrad abgerissen; 150 Meter weiter kommt es schliesslich am Strassenrand zu stehen. Meinrad, wundersamerweise unverletzt, muss eine Blut- und Urinprobe abgeben. Und den Führerausweis. Die ausführliche Aufnahme des Tatbestands hat Folgen: Die Hauptstrasse wird für mehrere Stunden gesperrt. Die Feuerwehr leitet den Verkehr grossräumig um.

Busse und bedingte Freiheitsstrafe

Und heute, mehr als drei Jahre nach dem Vorfall, steht Meinrad vor dem Bezirksgericht Kulm. Das Gericht hat über einen Deal zwischen Staatsanwaltschaft und Meinrad zu befinden. Abgekürztes Verfahren heisst das. Das Gericht folgt der Einigung zwischen den Parteien. Meinrad anerkennt sein Verschulden: qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln, Fahren in fahrunfähigem Zustand (Alkohol), Gewalt und Drohung gegen Beamte, versuchte Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit.

Weil er raste und von der Polizei flüchtete, stand ein Gärtner vor dem Bezirksgericht Kulm.

Weil er raste und von der Polizei flüchtete, stand ein Gärtner vor dem Bezirksgericht Kulm.

Britta Gut

Er akzeptiert auch die Strafe. Sein Verteidiger, der den Deal mit ausgehandelt hat, übt leise Kritik an der Polizei: Eine Verfolgungsjagd wäre nicht nötig gewesen, da man ja die Autonummer gekannt habe.

Meinrad hat keine Vorstrafen. «Einmalige Dummheit», sagt der Verteidiger. Meinrad erhält eine bedingte Freiheitsstrafe von 22 Monaten und eine Geldstrafe von 19'800 Franken und muss eine unbedingte Busse von 3500 Franken zahlen. Letztere möchte er in Raten abstottern. Gemäss eigenen Aussagen arbeitet Meinrad im Betrieb seiner Eltern und erhält neben Kost und Logis 600 Franken Lohn pro Monat.

Zum Schluss eine Mahnung des Gerichstpräsidenten

Gerichtspräsident Christian Märki macht am Ende eine Bemerkung, die für das Strafverfahren nicht relevant ist, da beide Seiten den Deal akzeptieren. Er zweifelt Meinrads Aussage, er habe kein Alkoholproblem gehabt, an und bezieht sich dabei auf Eindrücke der Polizei bei der Vernehmung am Ort des Unfalls: Fahne, aber keine Anzeichen übermässiger Alkoholisierung.

Insofern erscheine auch Meinrads Aussage, er könne sich fast nicht an den Vorfall erinnern, unglaubwürdig. Märki nimmt ihm auch nicht ab, dass er nur drei Stangen Bier und einen Jägermeister getrunken hat: «Das reicht nicht für 1,71 Promille.» Selbsttäuschung? Er ermahnt Meinrad, seine Haltung gegenüber dem Alkohol zu überdenken.