Attelwil
An der letzten Gmeind wurde es feierlich – und die Emotionen gingen nochmals hoch

Zum letzten Mal haben die Attelwiler über Anträge abgestimmt – bevor sie am 1. Januar Reitnauer werden.

Flurina Dünki
Drucken
Regierungsrat Urs Hofmann (sitzend, Fünfter von rechts) war von Ammann Roger Lehner (ganz rechts) an die letzte Attelwiler Gmeind geladen worden.

Regierungsrat Urs Hofmann (sitzend, Fünfter von rechts) war von Ammann Roger Lehner (ganz rechts) an die letzte Attelwiler Gmeind geladen worden.

Flurina Dünki

Es war ein feierlicher Moment, als Ammann Roger Lehner die Anwesenden zur allerletzten Gemeindeversammlung begrüsste. Zur Gelegenheit, vor der Fusion mit Reitnau (im Januar) als eigenständige Gemeinde abzustimmen, waren gegen 100 der 295 Dorfbewohner in die Mehrzweckhalle gekommen. Manche von ihnen haben das Stimmrechtsalter noch gar nicht erlangt (von 231 Stimmbürgern waren deren 81 anwesend), als Begleiter ihrer Eltern waren sie Beobachter beim historischen Ereignis.

Bevor jedoch Hände geschüttelt und Geschenkte verteilt werden durften, köchelte die Stimmung ein letztes Mal unter den Attelwilern. Der Stolz und gleichzeitig das Sorgenkind der Gemeinde – das leerstehende Schulhaus – müsste endlich neu genutzt werden. Seit Juni 2017 sucht die Gemeinde vergeblich einen Mieter. Niemand scheint interessiert, das Gebäude für 65'242 Franken jährlich zu mieten. Weil sich aber schon früh Kaufinteressenten gemeldet hatten, wurde an den beiden vorherigen Gemeindeversammlungen beantragt, einen Verkauf möglich zu machen. Ohne Chance. Die Attelwiler wollten die Liegenschaft nicht aus der Hand geben. Einerseits, weil sie fürchten, das Schulhaus werde abgerissen und der Fussballplatz – ein beliebter Treffpunkt für die Jugend – überbaut. Andererseits, weil sie sich für die Gemeinde Mieteinnahmen erhoffen.

Der Plan vom Firmendomizil

Beim dritten Streich am Donnerstagabend sollten die Einwohner zumindest den gemeinsamen Plan der Kaufinteressenten anhören, die dazu erstmals öffentlich vorgestellt wurden: Willi Lehmann, Inhaber des Restaurants Schmiedstube gleich neben der Schulhaus-Parzelle, und Andreas Hochuli von der Sieber Holzbau AG in Triengen. Hochuli wohnt in Reitnau und sucht für sein Geschäft, das auf energetisch nachhaltiges Bauen spezialisiert ist, ein neues Hauptdomizil.

Das Schulhaus würde renoviert, rein kämen Büroräume. Daneben würde Hochuli zwei weitere Geschäftsgebäude errichten: eines mit Schulungsräumen und Wohnungen, ein zweites, in dem Hochuli hofft, Büros an IT-Firmen und Coworking-Communities vermieten zu können. Dann kämen noch Einfamilienhäuser und Räume für stilles Gewerbe auf den heutigen Fussballplatz zu stehen. Vom Areal, das Hochuli optimal gestalten will, sollten alle Attelwiler dereinst profitieren, wie er sagte.

Die «Schmiedstube» als Nachbar sei für das geplante Projekt die ideale Ergänzung, sagte Hochuli gegenüber der Gmeind. Wer dort arbeite, brauche auch Verpflegung. Und für «Schmiedstube»-Besitzer Willi Lehmann wäre die zusätzliche Kundschaft nicht der einzige Vorteil. Gemäss Projekt der beiden würde die Liegenschaft «Walter Morgenthaler» von der Schulhaus-Parzelle abparzelliert. Lehmann würde diese gerne kaufen. Denn würde das Projekt realisiert, dann verliert er Parkplätze für das Restaurant neben dem Schulhaus. Auf dem neu erworbenen Land könnte er wieder Parkplätze errichten.

Als die beiden Herren den Raum verliessen, damit die Gmeind debattieren konnte, gingen die Emotionen hoch. «Das Schulhaus ist das Filetstück unserer Gemeinde, das sollten wir nicht verkaufen», sagte ein Votant. «Ich glaube nicht, dass IT-Nomaden für ein Coworking-Büro bis nach Attelwil kommen», ein anderer. Eine andere Stimmbürgerin wollte den Fussballplatz nicht einer Überbauung opfern und ein weiterer Votant warf dem Gemeinderat vor, den Mietpreis zu hoch angesetzt zu haben. Deshalb würde sich kein Vermieter melden.

Keine einzige Hand wurde bei der anschliessenden Abstimmung zugunsten des Projekts gehoben. Es geschieht selten, dass ein Gmeind-Resultat so gnadenlos deutlich ist. So hat der Gemeinderat (und das wird der neue Reitnauer Gemeinderat sein) momentan keine andere Wahl, als weiterhin einen Vermieter zu suchen.

Urs Hofmann macht Mut

Heiterer wurde es anschliessend an das einzige Traktandum der letzten Gmeind: Regierungsrat Urs Hofmann sprach als oberster Gemeinde-Schirmherr zu den Noch-Attelwilern. Leider sei es in den letzten Jahren insbesondere für kleine Gemeinden schwierig geworden, stark und handlungsfähig zu bleiben. Attelwil werde aber nicht einfach vom «grossen Bruder» Reitnau geschluckt. «Attelwil bleibt ein eigener Ortsteil mit einer eigenen Identität.»

Emotionale Verabschiedung

Nach Hofmanns Rede öffnete sich die Emotionsschleuse erneut. Als sich 20 Kommissionsmitglieder und Funktionäre in eine lange Reihe stellten, um einzeln von Ammann Lehner verabschiedet zu werden, wurde auch jenen klar, die es bisher verdrängt hatten: Die politische Gemeinde Attelwil ist in einem guten Monat Geschichte. Beifall für jeden Finanzkommissionär, jede Hauswartin und den Dorfbeflaggungsverantwortlichen. Noch grösseren Beifall für die Gemeinderäte Simon Hauri, Adrian Lüthy, Zaneta Hochuli und Markus Baumann. Nur Letzterer wird im neuen Reitnauer Gremium vertreten sein. Der grösste und längste Applaus gebührte aber Roger Lehner selber. Der Student, der 2001 als 21-Jähriger für seine Gemeinderats-Wahlkampagne selbst gedruckte Flyer verteilt hatte, reifte zum Gemeindeammann (2010 wurde er als solcher gewählt) und wurde von den Ratskollegen für seine ruhige, besonnene Art und sein grosses Fachwissen als Jurist und Kantonsangestellter geschätzt. «In hitzigen Situationen bliebst du ruhig und hast die Beschlüsse konsequent vertreten», sagte Markus Baumann zum Abschied.

Der Entscheid, nicht mehr für Wahlen anzutreten, sei ihm schwergefallen, gab Lehner zu. Auch wenn die Kommunalpolitik komplexer und zeitraubender geworden sei, sei das Amt äusserst bereichernd. «Es ist ein Amt, in dem man auch nach 17 Jahren noch sehr viel lernen kann.»