Strengelbach
Vom Lehrerpult an die Verbandsspitze: Aargauer Quereinsteigerin wird Hebammen-Chefin

Barbara Stocker aus Strengelbach war erst Lehrerin. Dann stieg die gebürtige Fricktalerin als Hebamme ein. Nun ist sie die neue Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbandes (SHV).

Corinne Wiesmann
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Barbara Stocker Kalberer freut sich auf die Herausforderungen als SHV-Präsidentin

Barbara Stocker Kalberer freut sich auf die Herausforderungen als SHV-Präsidentin

Corinne Wiesmann

«Mit 18 hätte ich mir nicht vorstellen können Hebamme zu werden», sagt Barbara Stocker Kalberer. Die gebürtige Fricktalerin hätte damals wohl auch nicht gedacht, dass sie den Berufsverband eben jener Hebammen dereinst präsidieren werde.

Doch genau dies tut Barbara Stocker seit dem 15. Mai. An der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Hebammenverbandes (SHV) in Thun wurde sie zur neuen Präsidentin gewählt.

«Ich will etwas bewegen und ich denke, das kann ich am besten an vorderster Front», begründet Barbara Stocker ihre Kandidatur für das Präsidentinnenamt. Die Strengelbacherin ist nicht den traditionellen Weg über die Vorstände der regionalen Sektionen des Verbandes gegangen.

Ins Gespräch gebracht für das Präsidium hat sie sich durch ihr Engagement in einer Arbeitsgruppe des SHV und mit der Publikation ihrer Masterarbeit. «Ich komme also sozusagen von aussen, bin eine Quereinsteigerin», meint Barbara Stocker.

Ihre ersten Einblicke in den Beruf

Quer eingestiegen ist sie auch in den Beruf der Hebamme. Nach ihrer Matur entschied sie sich nämlich für die Ausbildung zur Lehrerin und erwarb an der Höheren Pädagogischen Lehranstalt in Zofingen das Lehrpatent als Real- und Primarschullehrerin.

Nicht, weil es ihr Traumberuf war, sondern um rasch selbstständig zu werden und finanziell unabhängig sein zu können. Vier Jahre war sie als Oberstufenlehrerin in Rothrist tätig.

«Ich unterrichtete gerne. Aber gleichwohl, die Realschule ist kein einfaches Pflaster», so Barbara Stocker. «Ich merkte, ich möchte das nicht machen, bis ich alt bin.»

Ausserdem liess sie der Gedanke, einen Beruf im medizinischen Bereich auszuüben, nicht los. «Und dann kam die Idee mit der Hebammen-Ausbildung auf», erinnert sich die 45-Jährige.

Sie sei sich aber bewusst gewesen, dass sie nicht einfach sagen könne, sie wolle Hebamme werden, ohne zu wissen, was das genau bedeute. Sie absolvierte deshalb im Kantonsspital Baden ein Praktikum.

Dank für sie glücklichen Umständen durfte sie ein halbes Jahr bleiben. «Da habe ich einen wahnsinnig guten Einblick in diesen Beruf erhalten», sagt sie heute. «Es packte mich und ich machte die Aufnahmeprüfung für die Hebammenschule.»

Für bessere Arbeitsbedingungen

18 Jahre sind seit dem Ausbildungsbeginn an der Hebammenschule Luzern vergangen. Barbara Stocker kann mittlerweile fundierte Berufserfahrung als Hebamme, im Spital und freiberuflich, vorweisen.

Sie war ausserdem als Praxislehrerin am Kantonsspital Luzern tätig und ist seit 2012 Dozentin und Studienleiterin Weiterbildung und Dienstleistung, Fachbereich Gesundheit, an der Berner Fachhochschule. Die Lehrertätigkeit hat sie also nicht vollständig aufgegeben. Und ihre Begeisterung für den Beruf Hebamme ist ungebrochen.

«Es ist ein unglaublich vielfältiger Beruf», findet die dreifache Mutter. «Und eine Geburt mitzuerleben, ist einfach etwas Überwältigendes.» Mit Feuereifer erzählt sie vom Berufsalltag.

So begeistert, wie Barbara Stocker von ihrem Beruf spricht, so klar formuliert sie auch die Ziele, die sie als Präsidentin des SHV hat.

«Ein grosses Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen für Hebammen zu verbessern», sagt sie. Einerseits denkt Barbara Stocker dabei an die freischaffenden Hebammen, deren Tarifvertrag mit den Schweizer Krankenversicherern vor zwanzig Jahren ausgehandelt wurde. «Seither gab es noch nie eine Anpassung», hält die Strengelbacherin fest.

«Es ist also eine Lohnsistierung seit zwanzig Jahren. Deshalb ist es uns ein grosses Anliegen, dass die Tarifverhandlungen wieder aufgenommen werden.»
Andererseits denkt die SHV-Präsidentin auch an die Spitalhebammen.

«Sie arbeiten unter harten Bedingungen, haben sehr strenge Dienste und kämpfen zum Teil auch mit Stellenabbau und Sparmassnahmen», weiss Barbara Stocker. Trotz der grossen Verantwortung, die eine Hebamme im Vergleich zu anderen Berufssparten in ihrem Beruf innehabe, seien die Löhne tief.

«In gewissen Kantonen gab es in den vergangenen Jahren bereits Lohnklagen und dort konnte etwas bewirkt werden», erklärt Stocker. Das Ziel ist jedoch noch längst nicht erreicht. «Wir müssen herausfinden, wie wir die Spitalhebammen besser erreichen, damit auch sie aktiv werden und wir sie dabei unterstützen können.»

Ein gemeinsames Ziel

Barbara Stocker wünscht sich, dass die Arbeit der Hebamme wieder mehr Gewicht erhält. Dabei gehe es ihr nicht etwa darum, den Gebärsaal von den Ärzten zurückzuerobern, wie es immer wieder tituliert werde.

«Manchmal habe ich das Gefühl, es ist zu wenig präsent in den Köpfen, dass es die Hebamme gibt», sagt sie. So könne eine Hebamme nicht nur die Wöchnerin nach der Geburt zu Hause betreuen, sondern auch Schwangerschaftskontrollen durchführen.

Erstens habe die Hebamme mehr Zeit in einer Schwangerschaftskontrolle und zweitens habe sie vielleicht eine andere Ansicht die Geburt betreffend als der Arzt.

«Es wäre gut, wenn jede Frau während der Schwangerschaft ein Gespräch mit einer Hebamme hat, oder die Schwangerschaft abwechselnd von einer Hebamme und einer Gynäkologin begleiten lässt», findet Stocker.

In der Umgebung gäbe es bereits Praxen, die das so handhaben. «Hebammen müssen sich in Zukunft mehr zusammenschliessen und zusammenarbeiten.

Diese Vernetzung und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit sind wichtig», sagt Barbara Stocker. Denn letztlich hätten Hebammen und Gynäkologinnen ein gemeinsames Ziel: das Wohlergehen von Mutter und Kind.