Sozialhile
So schwierig kann Einkaufen sein

Wenn eine Aargauer Sozialhilfebezügerin den Wocheneinkauf macht, gibt es keine Weihnachtskugeln. Auf ihrem Einkaufszettel stehen nur Produkte, die Aktion sind. Die Preise kennt die Sozialhilfebezügerin in- und auswendig.

Sabine Kuster
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Solothurner Zeitung

Rot leuchten die Aktionen überall. Preisabschlag! Rabatt! Prozente! Doch Karin Seiler weiss schon, bevor sie den Denner betritt, welche Produkte günstig im Angebot sind. Die Sozialhilfebezügerin hat sich ihren Einkaufszettel anhand der Werbung in der Zeitung zusammengeschrieben: 4 Liter Milch, 18 Joghurt, 3 Peperoni.

Es ist schwierig, Karin Seiler auf ihrem Wocheneinkauf zu folgen. Im Zickzack läuft sie zielstrebig von Regal zu Regal. Lieber ohne ihre Kinder: «Wenn die Kinder dabei sind, muss ich ständig Nein sagen, aber manchmal liegt dann doch mehr im Einkaufskorb, als mir lieb ist.»

Die Clementinen kosten diese Woche nur 1.25 das Kilogramm. «Toll, zu diesem Preis!», sagt sie und nimmt zwei Kilogramm. «Manchmal sind die Produkte zum halben Preis schon morgens um 9 Uhr weg.» Gemüse kauft sie keines, es gibt keine Aktionen, auch beim Fleisch nicht. «16.85 Franken», sagt die Kassiererin, aber es kommt noch etwas aufs Förderband: eine Stange Zigaretten für fast 50 Franken. Eineinhalb Päckchen raucht Karin Seiler pro Tag. Sie sagt, es sei gut für ihre Nerven, besser als Beruhigungspillen. «Ich möchte aufhören, aber das geht jetzt nicht. Nicht mit diesem Stress und Ärger.» Wegen der Kinder? «Nicht nur», sagt sie, «auch wegen der Väter. Einer bezahlt momentan die Alimente nicht.»

Sie kennt die Preise auswendig

Sie zieht ihre beiden Handwägelchen zur Migros. Eines verliert ein Rad, aber sie hat es schnell wieder montiert.

«Jeden Donnerstag Preiskracher» heisst es auf einem Schild über den Bananen. 2.60 Franken statt 3.60. Karin nimmt einen Bund. Auch eine Mango, «Vitamine für den Winter», sagt sie. 2.40 Franken statt 3.20. Eine Verkäuferin grüsst, man kennt sich.

Auf die Butter-Aktion fällt Karin Seiler nicht hinein: «Diese Butter ist trotzdem teurer als Kochbutter.» Sie kennt die Preise aller Produkte auswendig, auf Rappen genau. Sie plant, rechnet, wägt ab. Dennoch kauft sie nicht alles, nur weil es billig ist. Die Cornichons im Discounter schmecken ihr einfach nicht, sie kauft sie hier beim Grossisten. Die günstigen Brätkügeli lässt sie im Kühlfach liegen, obwohl die Kinder sie mögen. Sie ist nach wie vor überzeugt, dass die Stabilisatoren und Emulgatoren ihrer 8-jährigen Tochter mit dem Aufmerksamkeitsdefizit (ADS) schaden. Sie studiert die Zutaten: «Traubenzucker! Warum hat es im Brät Traubenzucker?» Dann nimmt sie zwei Schweinskoteletten für 14Fr./kg.

Sie nervt sich über die Weihnachtsdekorationen, die jetzt schon angeboten werden, aber dann bleibt sie doch vor einer Packung Christbaumschmuck stehen. «Sieht cool aus.» Karin Seiler zögert. «Ich warte besser bis nach Weihnachten.» So macht sie es jedes Jahr: Kauft reduzierte Geschenke im Januar und versteckt sie ein Jahr lang im Schrank. «Der Schaft ist voll», sagt sie, «alles zum halben Preis.»

Kaffee ist ein Luxus

Kaffee ist ein Luxus, auf den sie nicht verzichtet. 48 Kapseln kosten fast 20 Franken. Ausnahmsweise kauft Karin Seiler heute auch fertig geschnittenen Mischsalat für 3.90 Franken. Zwar hat sie in ihrem Garten noch Salat und Kohl, aber sie mag heute nicht hingehen, drei Quartierstrassen weiter. «Gestern hat Jenny wieder bis 22 Uhr nicht geschlafen. Ich sollte mal ausspannen. Aber wohin mit den Kindern?»

Karin Seiler gibt sich Mühe. Mit ihren Kindern, mit dem Haushalt, im Alltag. Hat Ziele und Energie. Auch wenn sich das Leben nicht immer an ihre Überlegungen hält. Mit ihren Töchtern trinkt sie zurzeit jede Menge Rivella Halbliterflaschen, 12 Stück für 14 Franken. «Game fever» heisst die Aktion, zu gewinnen sind 300 Spielkonsolen Nintendo Wii. «Zletscht gewinnen wir es eh nicht, das weiss ich jetzt schon.» 164.25 Franken hat der Wocheneinkauf gekostet. Karin Seiler blickt misstrauisch auf die beiden Kassenzettel. «Ich gebe pro Woche zwei bis dreihundert Franken für den Haushalt aus. Ich hab bestimmt etwas vergessen.»

*Name geändert