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Nach einem prächtigen Wirtesommer sind die Lenzburger Beizer wegen der jüngsten Coronarestriktionen ziemlich ernüchtert.
Es ist Freitagmorgen. «Rosmarin»-Wirt Philipp Audolensky hantiert in der kleinen Küche. Sie ist zum Restaurant hin offen. Seit Jahren zelebriert Audolensky hier seine Erlebnisgastronomie. Normalerweise bekocht der Gault-Millau-Koch seine Gäste nur am Abend. Dienstags und freitags ist das «Rosmarin» auch zur Lunchzeit geöffnet. Am frühen Vormittag sind die Tische bereits für den Mittagsservice aufgedeckt. Nicht alle. Etwa die Hälfte davon. Nach den jüngsten Massnahmen des Kantons hat sich die Situation für die Beizer wieder zugespitzt.
Seit Vorgestern dürfen im Restaurant höchstens vier Personen an einem Tisch Platz nehmen. Neu ist um 23 Uhr Corona-Sperrstunde. Nach dem mehrwöchigen Lockdown im Frühling ist das keine gute Nachricht für das Gastgewerbe. Viele befürchten das Schlimmste. Auch Audolensky bestätigt, in den vergangenen Tagen mehr Telefonanrufe mit Absagen denn Reservationen erhalten zu haben.
In Lenzburg schwankt die Branche zwischen Hoffen und Bangen. Philipp Audolensky ist optimistisch: Er glaubt, dass die aktuelle Verunsicherung bald vorübergeht und die Leute, wenn sie die neuen Schutzanforderungen verdaut haben, wieder zurückkehren werden. «Ich rechne mit zwei bis drei schwierigen Wochen, bis sich die Lage wieder normalisiert», sagt er.
Die Sicherheit der Gäste steht im «Rosmarin» aktuell zuoberst auf der Menuliste, noch vor der auserlesenen Kost, die hier auf den Tisch kommt. «Lieber einen Tisch weniger aufstellen im Restaurant, dafür getraut der Gast sich zu kommen.» Diese Taktik ist bereits nach dem Lockdown aufgegangen. Die Gäste hätten die Bemühungen honoriert und seien bald einmal zurückgekehrt. Mit ihnen zog wieder Leben in die Altstadt.
Audolensky schwärmt von den Sommermonaten, als hätte es kein Corona gegeben. «Es war ein richtiger Wirtesommer», blickt er zufrieden zurück. Das lang anhaltende schöne Wetter hat den Beizern den Ball zugespielt. Die Lenzburger Gastronomie fand draussen statt. Der Stadtrat hatte dem Gewerbe kostenlos grosszügig öffentliche Fläche zur Verfügung gestellt. Die Gäste kamen, Audolensky ist trotz erschwerter Bedingungen mit dem Sommergeschäft zufrieden.
Doch ob all dem Optimismus, den der «Rosmarin»-Wirt verströmt, ist er letztlich ein Ge- schäftsmann. «Wir werden eine Balance finden müssen zwischen Wirtschaftlichkeit und Sicherheit von Gästen und Personal», sagt er diplomatisch.
Auch Sandra und Sven Ammann vom «s’Bärli» nur wenige Meter weiter die Rathausgasse aufwärts wollen sich auf keinen Fall geschlagen geben. Dies, obwohl die spontanen Beizenbesuche wegfallen und nach 20 Uhr kein Gast mehr kommt, der nicht im Voraus reserviert hat. Im «s’Bärli» ist man sich aus der Vergangenheit anderes gewohnt.
Wie Audolensky ist auch das Ehepaar Ammann zufrieden mit der «Verschnaufpause», die das prächtige Sommerwetter den Wirten brachte. «Wir hatten einige wunderschöne Abende und haben uns riesig gefreut über das rege Treiben in der Gasse.» Die Beizen haben Magnetwirkung, ziehen Publikum in die Innenstadt. Dieser Umstand sehen Sandra und Sven Ammann als Verpflichtung für sie als Wirte. «Wir mit unserer zentralen Lage in der Altstadt dürfen nicht schliessen. Das sind wir den Detailhändlern rund um uns herum schuldig.»
Angespannt ist die Situation im «Alten Landgericht»: «Unsere Reserven reichen nicht ewig. Wir werden uns über die Zukunft Gedanken machen müssen», sagt Chef Pasquale Ferrara. Zwar spricht auch er von einem «den Umständen entsprechend guten Sommergeschäft», doch habe damit der Verlust aus dem Lockdown in keiner Weise kompensiert werden können. Ferrara fordert staatliche Unterstützung für die Beizer. Dabei gehe es ihm vor allem um seine Mitarbeitenden, sagt er. Ihnen gegenüber fühle er sich verantwortlich, die Existenz sichern zu können. Sein Argument für die staatliche Hilfe: «Im Falle eines Konkurses meiner Firma würde der Staat durch die Arbeitslosenkasse auch belastet.»
Noch schwieriger sind die Umstände beim Familienbetrieb Hotel-Restaurant Ochsen. Im Gegensatz zu seinen Branchenkollegen, ist dieser Betrieb anders aufgestellt. Zum Restaurant «Satteltasche» hinzu kommen die Bereiche Bankette, Caterings und das Hotel. Drei dieser Standbeine würden derzeit komplett ausfallen, sagt Chris Schatzmann, der den «Ochsen» in 4. Generation führt. «Jetzt ist die Situation deftig geworden.» Einzig in der Restauration herrsche etwas Betrieb. Doch auch hier sei der Abend nach 20 Uhr gelaufen. Es sei ziemlich ernüchternd.
Die meisten Wirte rechnen nicht damit, dass sich der Zustand bald wieder ändern wird. «Diese Geschichte geht länger», befürchtet Schatzmann. Nachdem er im Frühling die Reserven anzapfte, um über die Runden zu kommen, spricht er nun davon, den Aufwand reduzieren zu müssen.
Philipp Audolensky überlegt sich, in zusätzliche Sicherheitsmassnahmen zu investieren. Auch Sven Ammann überlegt und rechnet. Pasquale Ferrara hofft, mit Wein-Geschenkpackungen und dem Verkauf von selbst gemachten Antipasti die Kasse in Zukunft etwas aufbessern zu können. Hingegen hat keiner der angefragten Wirte vor, vor dem Restaurant ein Zelt aufzustellen, um mehr Platz zu haben, so wie es das McArthurs-Pub plant (AZ 5.10.).