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Seetaler Landwirte müssen ihre Aprikosen-Tunnels entfernen, weil der Aargauer Regierungsrat eine Beschwerde von Pro Natura gutgeheissen hat. Und: Noch mehr Bauten könnten betroffen sein.
Zwei Landwirte in Egliswil und Seengen bangen um ihr Werk der letzten drei Jahre: Sie müssen Folientunnels zurückbauen, in denen sie seit einem Jahr mehrere hundert Aprikosenbäume hochziehen. Das hat der Regierungsrat nach einer Beschwerde von Umweltverbänden beschlossen. Er hat den Umweltverbänden recht gegeben, die sagen, die Folientunnel würden nicht auf Ackerland gehören und das Landschaftsbild in der Nähe der Hallwilerseeschutzzone stören.
Und dies, obwohl die kantonale Abteilung für Baubewilligungen das Projekt genehmigt hatte. Und obwohl Regierungsrat Markus Dieth 2018 das vom Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg unterstützte Projekt an der Einweihung noch gewürdigt hatte.
Woher dieser entscheidende Meinungsunterschied zwischen Baubewilligungsabteilung und Regierungsrat? Regierungssprecherin Stephanie Renner: «Es liegt in der Natur der Sache, dass verschiedene Fachstellen unterschiedliche, zum Teil gegenläufige Interessen vertreten.» In diesem Fall sei es zunächst Sache der Abteilung für Baubewilligungen gewesen, einen Entscheid zu verfassen. Bei einer Einsprache werde dieser überprüft und dabei könne es vorkommen, dass die Rechtsmittelinstanz (hier: der Regierungsrat) zu einem anderen Ergebnis gelange.
Die Beweggründe des Regierungsrats erläutert Felicitas Siebert, Leiterin der Abteilung für Baubewilligungen: Ein zentrales Element sei gewesen, dass die Bäume ganzjährig überdeckt sind. «Deshalb ging der Regierungsrat von einer sogenannten bodenunabhängigen Produktion aus», so Siebert. Und bodenunabhängige Nutzungen sind in der Landwirtschaftszone nicht erlaubt. Dabei habe sich der Regierungsrat auf die bundesgerichtliche Rechtssprechung gestützt.
Diese Gewichtung empört den Präsidenten des Verbands der Aargauer Obstproduzenten, Andy Steinacher: «Es entbehrt jeglicher Grundlage, die Aprikosenproduktion unter schützenden Folientunnels als bodenunabhängig zu bezeichnen. Die betroffenen Bauern arbeiten selbstverständlich mit dem Boden und pflegen diesen, anders ist die Obstproduktion gar nicht möglich.»
Dass die Landwirte überhaupt Baubewilligungen erteilt bekommen haben, ist gleich mehreren Versäumnissen der Behörden geschuldet. So haben weder Seengen noch Egliswil die Baugesuche im kantonalen Amtsblatt ausgeschrieben, obwohl das im konkreten Fall nötig gewesen wäre. Publiziert wurden sie nur im «Lenzburger Bezirksanzeiger». Aus diesem Grund wurde die erteilte Baubewilligung nie rechtskräftig und die Umweltverbände konnten nachträglich Einwendungen machen. Felicitas Siebert: «Die Baubewilligung verliert nicht automatisch ihre Gültigkeit, aber es herrscht Rechtsunsicherheit.» Es könne verlangt werden, dass das Verfahren korrekt durchgeführt wird. «Das hat zur Folge, dass beschwerdelegitimierte Personen oder Verbände das Rechtsmittel ergreifen können.»
Wieso unterblieb die Publikation im kantonalen Amtsblatt? Der Seenger Bauverwalter verweist auf das laufende Verfahren und möchte keine Auskunft dazu geben. Fehler räumt Egliswils Gemeindeammann Ueli Voegeli ein: «Es war in Egliswil gelebte Praxis, Baugesuche nicht im kantonalen Amtsblatt zu publizieren. Da war die Kanzlei zu wenig vorsichtig.» Damit ist auch offen, ob in Egliswil noch weitere Bauten ohne rechtsgültige Baubewilligung erstellt worden sind. Ueli Voegeli will das nun abklären.
Nach dem Entscheid des Regierungsrats muss die Abteilung für Baubewilligungen nun die Frist für den Rückbau der Tunnels festlegen. «Es besteht ein nicht unerhebliches Ermessen, um eine für alle Beteiligten verträgliche Lösung zu finden», sagt Felicitas Siebert. Wie gross dieser Spielraum ist, bleibt vorderhand offen. Für Anlagen wie diejenigen im Seetal wird üblicherweise von einer Lebensdauer von 20 Jahren ausgegangen.
Das Schicksal der Landwirte hat viele kritische Reaktionen an die Adresse der Beschwerdeführerin Pro Natura hervorgerufen. Präsident Matthias Betsche erklärt sich: «Es ist uns bewusst, dass hinter dem Fall Einzelschicksale stehen und der Entscheid für die Bauern nicht einfach ist. Die Bauten sind illegal und müssen zurückgebaut werden. Aber es veranlasst uns nicht zu jubeln angesichts einer Situation, in der die Bauern auf eine rechtskräftige Bewilligung vertrauten. Mit dem nicht korrekten Ausschreiben des Baugesuchs hatten wir keine andere Wahl, als nachträglich Beschwerde zu erheben. Es ist unsere Rolle und Verantwortung, uns dort einzubringen, wo unseres Erachtens Landschaftsschutz- und Naturschutz-Bestimmungen verletzt werden. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, Pro Natura bei solchen Vorhaben einzubeziehen. Gerne werden wir mit allen Beteiligten zusammensitzen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.» (mik)