Lenzburg/Graz
Singen muss eine andere – Cinzia Catania wäre zu nervös

Sängerin und Komponistin Cinzia Catania tritt mit ihrer Musik in Österreich an einem internationalen Wettbewerb an. Wie sie die Stunden davor erlebt, nach welchen Kriterien sie ihr Outfit aussucht und wann sie nervös wird – die Reportage aus Graz.

Janine Gloor aus Graz
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Cinzia Catania liess sich nicht beirren und studierte Musik – den negativen Reaktionen zum Trotz.

Cinzia Catania liess sich nicht beirren und studierte Musik – den negativen Reaktionen zum Trotz.

Janine Gloor

Es dunkelt früh an diesem Freitagnachmittag in Graz. Die Trams rattern durch den Nieselregen, Cinzia Catania fährt mit dem Fahrrad an farbigen, stuckverzierten Häusern vorbei zu einem Café. Dreieinhalb Jahre hat sie in dieser Stadt studiert und an der Kunstuniversität mit dem Bachelor in Jazzgesang abgeschlossen. Jetzt ist sie zurück. Sie hat für den alle drei Jahre stattfindenden internationalen Kompositionswettbewerb «JazzCompGraz» an der Kunstuni in Graz ein Stück komponiert und wurde aus 52 Einsendungen unter die zehn besten gewählt.

«Ich habe ein halbes Jahr an meiner Komposition gearbeitet», sagt sie nach einem Schluck Cappuccino. Sie hat ein knapp siebenminütiges Stück für eine Big Band mit 19 verschiedenen Instrumentalstimmen und einer Gesangsstimme eingereicht. Es ist das erste und das letzte Mal, das Cinzia Catania (29) beim Wettbewerb mitmacht, die Teilnehmer müssen unter dreissig Jahre alt sein.

Sturkopf mit Charaktergesicht

Die Lenzburgerin ist ursprünglich Sängerin. Nach der Matur hat sie sich für die Musik entschieden. Sie begann in Groningen in den Niederlanden zu studieren und folgte ihrer Lehrerin für Jazzgesang nach einem halben Jahr nach Graz. Auf ihre Entscheidung, Musik zu studieren, hat sie einige negative Reaktionen erhalten. Zu unsicher sei dieser Weg, sie hätte doch Potenzial, um etwas Richtiges zu studieren, hiess es aus ihrem Umfeld. Doch sie liess sich nicht beirren. Ein Sturkopf mit einem Charaktergesicht, dessen kantigen Konturen einer antiken Statue entliehen sein könnten. Nach ihrem Bachelor in Graz kehrte sie in die Heimat zurück, machte einen Master in Musikpädagogik in Luzern. Neben ihrer Band und verschiedenen Projekten unterrichtet sie Gesang. Das Komponieren begleitete Catania während ihrer gesamten musikalischen Karriere, nun fügt sie noch den Master in Jazzkomposition hinzu.

Draussen ist es vollständig dunkel geworden. Zeit, sich für den Abend vorzubereiten. Cinzia Catania ist bei einer Freundin untergekommen, aus ihrer Zeit als Studentin in Graz sind noch viele Freundschaften erhalten geblieben. Im Zimmer liegen mehrere Kleidungsstücke zur Auswahl bereit, fast alle sind schwarz. «Die Kleider müssen zusammenpassen», sagt sie. Schwarz passt immer. «Ich bin da sehr ...», sie überlegt. «Ist penibel das richtige Wort?» Die Details sind wichtig. Mit ruhiger Hand zieht sie einen Lidstrich – «das kann ich auch im Zug» – und überprüft nochmals, ob die schwarzen Stiefeletten auch wirklich zum Kleid passen. Als sie über den belebten Jakominiplatz hastet, strauchelt sie kurz, fängt sich aber mit einem Lachen und steigt ins Tram. «Jetzt bin ich nervös», sagt sie.

«Ich könnte jetzt nicht singen»

Die zehn Finalistinnen und Finalisten des Wettbewerbs sitzen in der ersten Reihe. Catanias Stück ist im zweiten Block dran. «Anatomy of Melancholy» heisst es – Anatomie der Melancholie. «Das ist etwas, das ich sehr gut kenne», sagt sie. Diese Stimmung, die einen befallen kann, auch wenn man eigentlich glücklich sei. Für die Musikerin nichts Negatives, im Gegenteil. «Ich finde es schön, wenn man das zulassen kann.» Für den Wettbewerb hat sie versucht, diese Stimmung in Musik zu fassen. Es spielt die Big Band der Kunstuni. Während den ersten Minuten ihres Stückes sitzt Cinzia Catania regungslos auf ihrem Stuhl. Dann, nach einigen Minuten, bewegt sie die Füsse im Takt, bis schliesslich der ganze Körper mitwippt. Dass sie das Stück nie ganz gehört hat und einer fremden Sängerin ihre Musik anvertrauen musste, sei ungewohnt, aber auch gut. «Ich könnte jetzt nicht singen.» Den Laien entgehen die Feinheiten der Komposition, welche die Musikkundigen im Saal aufhorchen lassen. Doch die Melancholie, die Catania festhalten wollte, ist unüberhörbar und löst Gefühle aus wie Dauerregen an einem Sonntagnachmittag.

Für die Preisverleihung reihen sich die Finalisten auf der Bühne auf. Zuerst der Publikumspreis: Er geht an Cinzia Catania. Strahlend nimmt sie die Urkunde und die Küsse entgegen. Dann wird der Sieger des Wettbewerbs bekannt gegeben. Die Finalisten blicken zu Boden, grinsen, treten von einem Bein aufs andere. «Cinzia Catania!» Sie schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen, strahlt noch mehr und nimmt die zweite Urkunde entgegen. «Habe ich mich auf der Bühne richtig verhalten?», fragt sie später.

Der gerahmte Beweis

Finalisten und Freunde treffen sich nach dem Konzert in einer Beiz. Nach der Nervosität kommt der Hunger. Catania bestellt eine Kernöleierspeise. «Das isst man hier so.» Kernöl steht für Kürbiskernöl. Im schwarzen Samtkleid sitzt sie da, isst zum Rührei eine Scheibe Schwarzbrot und wechselt mit dem Zweitplatzierten ein paar Worte auf Italienisch. Auf dem Nebentisch liegen ihre Urkunden. Der gerahmte Beweis für die richtige Studienwahl. Und die Finanzierung für die nächsten CD-Aufnahmen.