Ammann Maurice Humard verlässt nach 20 bewegten Jahren die Gemeindepolitik. Anfangs war die Gemeinde ein Sanierungsfall. 2009 folgte das Nein zur Fusion mit Lenzburg, die er weiterhin sinnvoll hält. Ein Tiefschlag war der Schmiergeld-Vorwurf.
Die Antwort kommt fast wie aus einer Pistole geschossen: «Auf dem Känzeli hinter dem Altersheim Hungeligraben mit Blick auf Niederlenz.» Da will sich Maurice Humard am Schluss seiner 16 Jahre langen Amtszeit als Gemeindeammann ablichten lassen. Dieser Ort ist für ihn so ideal wie kein anderer, um die Brücke zu schlagen zwischen seiner bisherigen und der jetzigen und künftigen Tätigkeit.
Zwar ist er seit über zwei Jahren als Co-Leiter des Alters- und Pflegezentrums tätig. Doch nach der Stabübergabe an seinen Ammann-Nachfolger Jürg Link wird er nächstes Jahr die alleinige Zentrumsführung übernehmen. Dafür hat er sich gerade in Gerontologie weitergebildet. «Das ist die Lehre vom Alter und alt werden», erklärt er und lächelt sibyllinisch.
Es ist, als möchte er ergänzen, dass nicht nur das Schulbankdrücken, sondern ebenso die Erfahrung der langjährigen politischen Tätigkeit heute ein wichtiges und wertvolles Fundament ist für die Begegnung mit alten Menschen. Selber ist Maurice Humard in diesem Jahr 58 Jahre alt geworden.
Ein profunder Menschenkenner
Charmant, charismatisch und eloquent. Ein begnadeter Instinktivpolitiker und geschickter Diplomat. Dieses Bild vermittelt der Gemeindeammann von sich in der Öffentlichkeit. Und jetzt im persönlichen Gespräch am Schluss von zwei Dekaden als Exekutivpolitiker überrascht genau dieser Mann mit der Aussage: «Ich bin grundsätzlich eher ein scheuer Mensch.»
Da ist man erst einmal baff. Doch nur so lange, bis man realisiert, dass möglicherweise genau dies letztendlich das Geheimnis seiner bodenständigen und gleichzeitig starken Persönlichkeit ausmacht: nämlich einer, der dank der Akzeptanz der eigenen Schwächen seine Mitmenschen besser versteht und so auch mit den unterschiedlichsten Charakteren zurechtkommt.
Eben diese Eigenschaft ist ihm in all den Jahren als Gemeindeoberhaupt zustattengekommen.
Und wohl deshalb war ihm bei Amtsbeginn rasch einmal bewusst, dass allein eine offene und transparente Informationspolitik den fruchtbaren Boden für das wichtige Vertrauen zwischen Behörden und Bevölkerung schaffen kann.
«Er hat die Gabe, auch komplexe Überlegungen in einfache und verständliche Worte zu fassen», blickt Vizeammann Gabi Lauper Richner zurück. Vertrauen, das hatte Niederlenz bitter nötig. Im Jahre 1994, zu Beginn von Humards Amtszeit, stand die Gemeinde hoch verschuldet als Sanierungsfall da.
Ein Mann der Taten
Der frisch gewählte Gemeindeammann fackelte nicht lange, krempelte mit seiner Mannschaft die Ärmel hoch und schaffte es, dass die Bevölkerung die Kröte einer zehnprozentigen Steuerfusserhöhung schluckte. Und dies bei gleichzeitigem Investitionsstopp und drohendem Abbau der Dienstleistungen. Es folgte eine engere Zusammenarbeit mit Nachbargemeinden, Bauverwaltung, Steueramt, Polizei, Betreibungsamt und weiteres mehr wurde ausgelagert.
Doch Humard ist sich bewusst, dass damals im Akutfall auch viele Opfer gebracht werden mussten, die sich im Nachhinein nun vielleicht gar als Bumerang erweisen. Als Beispiel nennt er dabei die Schulraumplanung. Da stehen Investitionen von rund 40 Millionen Franken an.
Als weiteren positiven Meilenstein in der Entwicklung von Niederlenz bezeichnet der scheidende Ammann «das Projekt ‹Zukunftswerkstatt›, an dem sich über 100 Personen aus der Bevölkerung beteiligten.»
«Ein Exekutivamt passt perfekt zu einem Mann, der mit seinem Gestaltungswillen lieber aktiv nach Lösungen sucht, als in einer Funktion tätig zu sein, wo nur auf Probleme hingewiesen wird», weiss Gabi Lauper Richner über ihren langjährigen politischen Weggefährten. Damit hat sie wohl nicht unrecht.
Humard sagt nämlich von sich selber, er sei einer, dem es schnell einmal verleide. Und soweit kommt es in einem Exekutivamt wohl kaum. Deshalb hat er es auch so lange ausgehalten. «Es gibt noch einen zweiten Grund», sagt er: «Das Team. Wir hatten stets ein gutes Klima im Rat, was eine langjährige Zusammenarbeit begünstigte.» Gabi Lauper ist nun Amtsälteste mit 16 Jahren Zugehörigkeit im Gemeinderat.
Zunehmend amtsmüde geworden
Humard hat einen langen Atem. Das hat er in den letzten 20 Jahren mehrmals bewiesen. Doch sein Abgang hat sich in der vergangenen Zeit abgezeichnet. Da ist einerseits der finanzielle Spielraum, der die Gemeinden in ein immer engeres Korsett drängt. Es sei frustrierend und mache so keinen Spass mehr, liess sich der Gemeindeammann vor zwei Jahren in den Gemeindenachrichten «Dorfgeischt» verlauten. Und jetzt äussert er sich nur noch kurz und knapp zum Demissionsentscheid: «Ich habe keine Energie mehr.»
Gleichzeitig bedauert er die gesellschaftliche Entwicklung in der Vergangenheit. «Alle stehen unter permanentem Druck und fokussieren auf ihre Karrieren und die engste Familie.» Als Konsequenz davon finde man keine Leute mehr, die bereit seien, sich in Kommissionen und in einem politischen Amt zu engagieren. «Wer jedoch eine Funktion innehat, von dem wird heutzutage eine Professionalität verlangt, die in einem Ehrenamt praktisch unmöglich ist.»
Fusion ist nicht vom Tisch
Maurice Humard ist überzeugt, dass die Fusion mit der Stadt Lenzburg jene Strukturen geschaffen hätte, die eine Professionalisierung erlaubt hätten. Das Projekt scheiterte am Nein der Niederlenzer Bevölkerung bereits im Vorfeld der Machbarkeitsprüfung Anfang 2009 an der Urne.
Dass das Vorhaben frühzeitig fehlgeschlagen ist, verbindet Humard aus heutiger Sicht nicht zuletzt mit seiner eigenen Person: «Es gab Leute, die glaubten, als ehemaliger Lenzburger wolle ich die Niederlenzer ‹heimführen›. Ein ‹Verrat›, gegen den sich gewisse Kreise erfolgreich gewehrt haben.»
Und er stört sich gewaltig daran, dass «gerade diese Leute, die versprochen haben, sich beim Alleingang für Ämter zur Verfügung zu stellen, in der Zwischenzeit wieder abgetaucht sind». Nach wie vor glaubt Maurice Humard, dass die Heirat der beiden Nachbargemeinden die einzige richtige Lösung darstellt, denn «wir werden die strukturellen Probleme im Alleingang nicht lösen können.» Unabhängig davon hat er die Zusammenarbeit in den Arbeitsgruppen als grosse persönliche Bereicherung in Erinnerung.
Schmiergeld-Vorwurf schmerzte
Betroffenheit macht sich in seinem Gesicht breit, wenn er über den Schmiergeld-Vorwurf im vergangenen Jahr spricht. Er bezeichnet diesen «als den absoluten Tiefschlag», der ihn völlig unerwartet an der Achillesferse getroffen habe. Da sei er nahe daran gewesen, «den Bettel hinzuschmeissen». Getan hat er letztendlich jedoch genau das Gegenteil. Er hat die eingereichte Strafanzeige wieder zurückgezogen.
Ab dem 1. Januar gehört seine Zeit vermehrt den Senioren des Alters- und Pflegezentrums Hungeligraben. Und seine Frau Cécile hat ebenfalls gute Aussichten auf mehr Gesellschaft ihres Partners: Wandern, Tennis spielen, Lesen und gemeinsame Konzertbesuche im Kultur- und Kongresszentrum in Luzern. Dafür will er sich künftig mehr Zeit gönnen, hat sich der scheidende Niederlenzer Gemeindeammann fest vorgenommen.
Was würden Sie mit dem Lenzburger Stadtammann Daniel Mosimann bei einem Glas Wein gerne bereden?
Ich würde gerne mit ihm über die Zukunft der Agglomeration Lenzburg sprechen und dabei abtasten, in wieweit Lenzburg bereit wäre, eine Fusion mit Niederlenz überhaupt noch zu prüfen. Der Vorwurf, dass ich aufs Stadtpräsidium aus bin, ist nun ja vom Tisch und dürfte kein Hinderungsgrund mehr sein für ein Zusammengehen.
Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?
Ich lese immer mehrere Bücher gleichzeitig. Da ist unter anderem Martin Walker mit seiner Krimireihe mit dem französischen Polizisten Bruno. Bruno kennt den Unterschied zwischen Gesetz und Gerechtigkeit. Und er bevorzugt die Gerechtigkeit. Und da ist das Buch des amerikanischen Philosophen Charles Eisenstein «Die Renaissance der Menschheit», das neue Denkanstösse für die Zukunft unserer Gesellschaft gibt. Der Mensch ist nicht mehr separiert von der Natur, sondern Teil der Natur. (Str)