Lenzburg
Bei ihm wird der Götterbote zum Päcklilieferanten: «Beim Theater gibt es kein richtig oder falsch»

Tarzis Lüscher unterrichtet an der Lenzburger Oberstufenschule nebst Naturwissenschaften auch das Freifach Theater und Video. «Hermes» wird sein 29. und letztes Theaterstück. Wieso das Theater auch Jugendlichen mit Schulproblemen Chancen bieten kann.

Anja Suter
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Tarzis Lüscher vor der Kulisse des letzten von ihm geleiteten Theaterprojektes.

Tarzis Lüscher vor der Kulisse des letzten von ihm geleiteten Theaterprojektes.

Chris Iseli

Meterhoch türmen sich die Kartonschachteln in der Aula des Schulhauses Lenzhard. Doch auch das Paketförderband, das mitten in den Türmen montiert ist, bringt sie nicht zum Wanken. «Doppelseitiges Klebeband», verrät Lehrer und Regisseur Tarzis Lüscher das Geheimnis der Stabilität.

Die Kartonschachteln, über 400 wurden verbaut, sind das Bühnenbild für das Theaterstück der Oberstufenschule Lenzburg. «Hermes» ist das 29. Projekt, welches Tarzis Lüscher mit seinen Schülerinnen und Schülern umsetzt. Für ihn wird es das letzte sein.

Er selbst habe früher mal die ein oder andere Rolle in Schultheatern gespielt, sagt Lüscher. Richtig zum Theater gekommen sei er aber erst an der Schule in Lenzburg. Lüscher hat hauptsächlich Naturwissenschaften gelehrt. Dass er neben Mathematik, Chemie und Biologie mit den Jugendlichen auch an Theatertexten feilte, ist für ihn kein Widerspruch.

«Der Gedanke, dass das Theater vor allem dem Deutschunterricht nahe ist, finde ich falsch», sagt er. Welche Fächer man zusätzlich unterrichte, spiele keine Rolle. «Theater sind aber auch sehr analytisch und müssen gut strukturiert werden. Da passend die Naturwissenschaften nicht schlecht», fügt er an.

Wieso das Lenzburger Schultheater ein Erfolg ist

Dass er sich als junger Lehrer für das Unterrichten des Freifachs gemeldet hat, habe einen einfachen Grund. «Ich schätze Projekte sehr, bei denen man auf ein Ziel hinarbeitet. Das setzt unglaublich viel Energie und Kreativität frei.

Zudem ist es eine Abwechslung zum normalen Unterricht, dem Alltagstrott.» Dass jedes Jahr ein Stück aufgeführt wird, sei seiner Meinung nach auch der Erfolgsfaktor des Theaters in Lenzburg. «Andere Schülerinnen und Schüler besuchen die Vorstellungen und bekommen dann auch Lust, selbst mal auf der Bühne zu stehen.»

«Beim Theater gibt es kein richtig oder falsch», sagt der 60-Jährige. Das schätze er sehr. «Hier bekommen Schülerinnen und Schüler einen ganz anderen Platz als den, den sie sonst notentechnisch oder disziplinarisch haben.» Auch die Lehrer und Eltern sähen die Jugendlichen so mal in einem anderen Licht. Schüler werden schnell kategorisiert. «Eine Rolle kann ihnen helfen, neue Seiten an sich zu entdecken und vieles zu lernen.»

Er bekomme von Ehemaligen oft die Rückmeldung, dass sie im Theater Selbstvertrauen dazugewonnen hätten, sagt Lüscher. «Ein Regisseur hat mal gesagt, dass jeder Mensch Theater spielen kann, sogar die Schauspieler.» Diese Meinung teile er. «Man muss nur Ja zum Theater sagen.»

«Was die Jugendlichen wie vortragen, entscheiden sie»

Am 30. April feiert «Hermes» Premiere. Die Idee zum Stück stammt von Tarzis Lüscher. «Ich gehe viel ins Kino, ins Theater und lese gerne. Oft sammle ich dabei Inspiration.» Häufig finde er dabei Ideen für eine Vorlage, manchmal sei es aber auch nur ein Stichwort, dass die Initialzündung auslöse.

Bei «Hermes» sei es ein Film gewesen, verrät Lüscher. Doch es seien nur noch wenige Details, in denen sich Film und Theaterstück überlappen. «Hermes» ist an den gleichnamigen Götterboten angelehnt. Ein Bote, der gute Botschaften überbringt, aber zeitgleich in seinem Job als Paketbote im Niedriglohnsektor angestellt ist. «Die Stücke dürfen gern ein wenig gesellschaftskritisch sein, sind aber immer kinderfreundlich», erklärt er.

Die Texte, welche die Jugendlichen auf der Bühne rezitieren werden, stammen jedoch nicht aus Lüschers Feder. Er und die übrigens projektbeteiligten Lehrpersonen erstellen nur einen Szenenbeschrieb. «Was die Jugendlichen wie vortragen, entscheiden sie. Jugendsprache hat feine Nuancen, die ich nicht beherrsche», sagt er und lacht.

Mit der Dernière am 6. Mai endet das letzte Theaterprojekt von Tarzis Lüscher. Seine Nachfolge ist jedoch gesichert. «Das war mir sehr wichtig. Mehrere Lehrpersonen, die bereits an Theaterprojekten mitgearbeitet haben, werden das Fach weiterführen.» Er selbst freue sich auf Ruhestand.

«Ich habe mich für die Frühpension entschieden, weil ich jetzt noch voller Elan und Energie bin», sagt er. Die Liste mit Ideen und Projekten für den neuen Lebensabschnitt ist lang. Darauf stehen längere Reisen mit seiner Frau, Skitouren, Wanderungen und vielleicht auch die Mitarbeit in einer SAC-Hütte für eine Saison.

Ein wenig Wehmut sei auch dabei, bei dem Gedanken, die Schule und das Theaterfach bald zu verlassen. «Aber man soll aufhören, wenn es am schönsten ist», sagt Lüscher.

Mehr Informationen zum aktuellen Theaterstück und Tickets unter: www.rs-l.ch.