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Die Bibliothek Möriken-Wildegg wird 100 Jahre alt. Ihre Bibliothekarinnen führen vor, wie eine Bibli zum Ort der Begegnung für alle wird.
Die Entwarnung gleich zu Beginn: Das gedruckte Buch ist noch nicht tot. Auch wenn Smartphones und Tablets in aller Hände sind. «Und sie lesen doch», war denn auch der Titel einer kürzlich erschienen Kolumne eines Germanisten in dieser Zeitung. Bestes Beispiel für die ungetrübte Lesefreude in der Region ist die Bibliothek Möriken-Wildegg, die heuer ihr 100-Jahr-Jubiläum feiert.
Bereits 1914 gründet der Einwohnerverein Möriken-Wildegg die Einwohnerbibliothek. 1919 wird an der Gemeindeversammlung beschlossen, die Bibliothek für 200 Franken zu übernehmen. «Die Gemeinde besitze ein Interesse daran, dass seiner Einwohnerschaft eine gute Büchersammlung zur Verfügung stehe, da dieselbe einen grossen Einfluss auf das geistige Schaffen und Denken der Erwachsenen ausübe», steht im Gemeinderatsprotokoll vom 16. Januar 1919.
Schon dieser eine Satz lässt Vermutungen aufkommen, wie das Bibliothekswesen damals gehandelt wurde. Einmal pro Woche hatte der Wissenstempel geöffnet, und die Kunden konnten Bücher wie Schillers gesammelte Werke oder Heinrich Zschokkes Erzählung «Der Freihof von Aarau» ausleihen. Wichtig: «Kindern dürfen die Bücher nicht in die Hand gegeben werden.» (Aus dem Bibliotheksreglement 1927) Wer weiss, was diese damit angestellt hätten. Oder umgekehrt!
Heute ist der Bestand der Bibliothek auf 17 000 Medien angewachsen, dazu gehören Bücher, DVDs, E-Books und Hörbücher. Kinder sind in der Bibliothek ausdrücklich erwünscht. Dafür, dass die Bibliothek im Schulhaus unterirdisch ist, ist es unglaublich hell in der Bibliothek. Und gemütlich. Die Bücher sind auf Regalen und Tischen arrangiert, dazwischen gibt es Sitz- und Tischgruppen und bei den Magazinen einen Kafi-Egge.
«Wir fühlen uns sehr wohl hier und freuen uns jeden Tag auf die Arbeit», sagt Bibliotheksleiterin Manuela Lo und keine der drei Angestellten protestiert. Der Grundgedanke der Bibliothek ist der gleiche, die Sharing Economy funktioniert seit einem Jahrhundert. Belletristik für Erwachsene laufe sehr gut. Bücher, die für besonders gut befunden werden, erhalten ein «Top»-Schild. «Wir nehmen auch Wertungen von Kunden und Kundinnen entgegen», sagt Lo, die selber bei jedem Krimi zuerst den Schluss lesen muss.
Zur Feier des Jubiläums kommt der Schweizer Autor Lukas Hartmann morgen Donnerstag um 19 Uhr mit seinem neusten Buch «Der Sänger» in die Bibliothek. Ob es für ein «Top»-Schild reicht?
Wer übrigens meint, dass er in der Bibliothek mit freiem Willen Bücher auswählt, irrt. Die Bibliothekarinnen wissen ganz genau, welche Wirkung die Präsentation hat. Ein Buch, das auf einem Ständer im Regal steht, wird automatisch öfter ausgeliehen als seine Kollegen, von denen nur der Rücken zu sehen ist. Überhaupt spiele heute die optische Gestaltung eines Buches eine grössere Rolle als früher, sagt Vreni Klaus, die die Bibliothek von 2000 bis 2015 geleitet hat. «Die Leute wollen etwas Schönes», sagt sie. Klaus hat in der Bibliothek viel bewirkt. Unter anderem, dass sie nach dem Umbau des Schulhauses aus einem eher dunklen Zimmer in der Nähe des Schwingerkellers in die lichtgefüllten Räume ziehen konnte, wo es auch eine eigene Eingangstür gibt.
Vreni Klaus, ihre Nachfolgerin Manuela Lo und deren Mitarbeiterinnen führen in der Bibliothek Möriken-Wildegg vor, wie sich der Beruf der Bibliothekarin verändert hat. Sie nehmen ihren Auftrag für Leseförderung ernst. Neben den klassischen Aufgaben wie Bücher bestellen, katalogisieren und ausleihen, organisieren sie diverse Anlässe und arbeiten eng mit der Schule zusammen. Beim «Zwärgli-Morgen» wird für Kinder von 9 bis 24 Monaten eine Geschichte erzählt. Auch für ältere Kinder gibt es eigene Anlässe. Für die Erwachsenen heisst die Geschichten-Stunde dann Lesung. «Das Zusammensein ist immer ein wichtiger Aspekt», sagt Manuela Lo. Die Bibliothek nimmt so eine wichtige Funktion in der Gemeinde ein. Ein Ort, an dem man gern ist.
Neben diesen Aufgaben haben es die Frauen auch mit gängigen Bibliotheks-Problemen zu tun. Bücher, die nicht mehr zurückkommen. «Ich habe das nie ausgeliehen», heisst es jeweils. Bis die Leute das Cover wiedererkennen. Oder Bücher, die beschädigt sind, etwa weil ein Kleinkind eine Ecke abgebissen hat.