Was mit einem Verein und einer Krankenschwester anfing, ist heute eine grosse Organisation mit Fachpersonen aus der Pflege. Über die Jahrzehnte hat sich die Spitex Region Lenzburg stark verändert – und nochmals intensiv in den Pandemiejahren.
1882 war das Jahr, in dem die Tuberkulose entdeckt wurde. Es war auch das Gründungsjahr von Möbel Pfister. Jenes, in dem der Gotthard-Tunnel feierlich eröffnet wurde. Für die Spitex Region Lenzburg ist das Jahr 1882 aber aus einem anderen Grund wichtig. Es war jenes, in dem der «Verein für die Verbesserung der Armenkrankenpflege» im Bezirk Lenzburg von zwei engagierten Krankenpflegerinnen gegründet wurde. Um Menschen zu Hause medizinisch betreuen zu können, wurde im selben Jahr noch eine Krankenschwester angestellt. Akten aus früheren Zeiten zeigen, dass es zwei Jahre später bereits drei Frauen waren, die mit Fachkompetenz für die Klienten da waren.
140 Jahre später ist nicht nur der Name, sondern die gesamte Organisation anders. Martin Imhof, Präsident der Spitex Region Lenzburg, und Daniel Lukic, Vorsitzender der Geschäftsleitung, sitzen zwischen Alt und Neu. Auf dem Tisch liegen Bücher, die einige Jahrzehnte alt sind, eng beschrieben in schnörkliger Schrift. Auf dem Laptop sind ebenfalls Jahrzehnte der Vereinsgeschichte zu finden. Heute arbeiten 90 Personen bei der Organisation, sie leisten rund 100'000 Einsätze pro Jahr. «Es ist völlig normal, dass es über die Jahre und Jahrzehnte Veränderungen und eine Professionalisierung gibt», sagt Imhof. Die Entwicklung sei aber immer schneller vonstattengegangen.
Es sind längst nicht mehr nur die Armen oder nur ältere Menschen, die zu Hause gepflegt werden. 2016 erhielt die Spitex auch offiziell die Zertifizierung für die Palliativversorgung. «Ein spezialisiertes Team versorgt Menschen zu Hause, die sich in ihrem letzten Lebensabschnitt befinden», erklärt Imhof. Was heute geht, war von 20 Jahren noch nicht denkbar. Geräte, die früher nur im Spital zu finden waren, stehen heute in den Wohnzimmern und werden von den Fachpersonen bedient. «Damit können Menschen länger in ihrem eigenen Heim bleiben, bei ihren Angehörigen. Das ist sehr wertvoll», sagt der Präsident.
Auch Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, können von der Spitex unterstützt werden. 2017 kam ausserdem die «Familienhilfe Lenzburg» zur Organisation. Der Verein wurde bereits 1966 gegründet, erzählt Daniel Lukic. «Während der Industrialisierung wurden beispielsweise Kinder gehütet, damit die Eltern arbeiten konnten.» Heute deckt die Familienhilfe vor allem Leistungen ab, welche die Spitex nicht erbringt. Etwa im Bereich der Betreuung von Klientinnen und Klienten.
«In der Schweiz sieht man die Personen nicht, die Unterstützung der Spitex benötigen», sagt Martin Imhof. Er selbst sei am Anfang seines Präsidiums mit jemandem zu Einsätzen mitgefahren, um die Arbeit zu erleben. «Es macht betroffen, wie viele pflegebedürftige Menschen es in einem Quartier geben kann.»
Daniel Lukic erklärt, wie sich das Betreuungsbedürfnis der Klienten zusammensetzt: «Etwa 40 bis 50 Prozent von unseren Klientinnen und Klienten waren zwei Wochen vor dem Betreuungsstart noch in einem stationären Aufenthalt», sagt er. In den vergangenen Jahren seien die Zahlen coronabedingt noch höher gewesen, da die Spitäler Patientinnen und Patienten früher entlassen haben. Um 30 Prozent gestiegen sind seit der Pandemie die Zahlen der Klientinnen und Klienten, welche aufgrund von psychosomatischen Erkrankungen behandelt werden müssen. «Wir konnten da eine direkte Verbindung zur Pandemie herstellen», sagte Lukic.
Zwei Problemfelder haben die Spitex Region Lenzburg bereits vor der Pandemie beschäftigt. Zum einen ist dies die Abrechnung der erbrachten Leistungen. «Wir müssen um jede Minute kämpfen», sagt Lukic, der selbst als Pflegefachmann gearbeitet hat, und präsentiert ein fiktives Beispiel. «Wir haben einen Ersttermin bei Frau Meier, die Diabetes hat. Verordnet ist das Messen des Blutzuckers. Vor Ort merken wir aber, dass es um viel mehr geht. Etwa die Ernährung und mehr Pflege. Wir brauchen manchmal einen langen ‹Schnuf›, um das den Versicherungen zu erklären.» Er verstehe die Versicherungen zum Teil, ergänzt er: «Sie sind an Gesetze gebunden. Aber manchmal fehlt der gesunde Pragmatismus im Sinne der kostengünstigen, integrierten Versorgung.»
Wie viele andere Einrichtungen hat die Spitex Region Lenzburg mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Dafür habe man aber wenig Probleme, Nachwuchs zu finden. «Die elf Lehrstellen können wir immer gut besetzen», sagt Lukic. Oft seien es Personen, die schon länger im Unternehmen sind, aber auf dem zweiten Bildungsweg eine Ausbildung absolvieren wollen. «Das ermöglichen wir natürlich gerne», sagt Lukic. Der Bedarf an Spitex-Leistungen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. «Der verlängerte Arm des Spitals», wie Imhof die Organisation auch nennt, wird es in Zukunft wohl noch viel mehr brauchen als bei der Gründung 1882.