Serie: Jahrestag Rupperswil
Feuerwehrkommandant Kunz: Ein Schlussstrich für die Sicherheit des Dorfes

Ein Besuch im Feuerwehrdepot Rupperswil: Kommandant Dominik Kunz spricht über die Ereignisse vom 21. Dezember 2015 und erklärt, was ihm als Signal für die Einwohner besonders wichtig ist.

Mario Fuchs
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Jeder Einsatz kann schlimme Bilder und traurige Schicksale bedeuten: Dominik Kunz im Feuerwehrdepot Rupperswil.

Jeder Einsatz kann schlimme Bilder und traurige Schicksale bedeuten: Dominik Kunz im Feuerwehrdepot Rupperswil.

Mario Fuchs

Rupperswil an diesem Dezemberabend: Es ist kalt und neblig, seit Tagen sitzt die Wolkendecke über dem Mittelland fest. Um 18.23 Uhr hält eine S-Bahn aus Aarau. Berufsschülerinnen, Banker und Büezer steigen aus. Die Hände suchen tief in den Jackentaschen Schutz vor der Kälte, die Ohren unter Kopfhörern.

Die Coiffeuse im «HaarSchnitt» verabschiedet den letzten Kunden für heute, nebenan bei der Elek-tro Strub AG sitzt ein Planer konzentriert im weissen Licht seines Bildschirms. Einige Meter weiter zweigt rechts die Poststrasse von der Dorfstrasse ab. Im Foyer des roten Stapfenackerhauses – dem multifunktionalen Zuhause von Feuerwehr, Technischen Betrieben, Schulleitung und Kindergarten – steht ein Christbaum, darunter eingepackte Geschenke als Dekoration. Doch die Weihnachtszeit bringt den Einwohnern von Rupperswil dieses Jahr nicht nur wärmende Freude, sondern auch böse Erinnerungen. Erinnerungen an den 21. Dezember vor einem Jahr.

«Es ist im Fall gut jetzt»

Das Datum ist zu einem Begriff, einem schmerzenden Stichwort geworden. Wer es erwähnt, muss keine Präzisierung nachschieben, das Gegenüber reagiert sofort. Oft mit Stille oder Ablehnung, zu häufig wurde man in den letzten Monaten danach gefragt. Auch Dominik Kunz, 33, seit 2002 in der Feuerwehr Rupperswil-Auenstein, seit 2014 Kommandant. An diesem Abend sitzt er in seinem Büro im Stapfenackerhaus, und überlegt, ob er etwas sagen will. Wieder die Zeitung. Wieder Fragen nach diesem Einsatz, im Protokoll 2015 «Nr. 54 – 11:20, Brand-Mittel, in Rupperswil, Lenzhardstrasse». Und drei Wochen später: «12:30 – Verkehrsdienst, in Rupperswil, Trauerfeier Schauer».

Vierfachmord Rupperswil – von der Tat bis heute 21. Dezember 2015: an diesem Tag kommt es zum Vierfachmord: Kurz vor Mittag geht bei der Feuerwehr Rupperswil-Auenstein ein Notruf über einen Brand in einem Einfamilienhaus in Rupperswil ein.
29 Bilder
Beim Einsatz finden Feuerwehrleute vier verkohlte Leichen im Haus.
Schnell ist klar: Es handelt sich um ein Verbrechen. Die Opfer waren gefesselt und wiesen Stich- und Schnittverletzungen auf.
Eine Forensikerin auf dem Weg zum Tatort im Rupperswiler Spitzbirrli-Quartier.
Die Ermittler sichern Spuren im und um das Haus.
Kapo-Medienchef Roland Pfister informiert die Medien über die vier gefundenen Leichen im Wohnhaus.
23. Dezember 2015: Zwei Tage nach der Bluttat sind die Opfer identifiziert: Es handelt sich um Carla Schauer (†48), ihre beiden Söhne Davin (†13) und Dion (†19) sowie dessen Freundin Simona (†21).
Mit Flugblättern sucht die Polizei bald in Rupperswil nach Personen, die Auskunft zur Bluttat mit den vier Personen machen können.
Auf dem Flugblatt ist auch das Bild von Carla Schauer (†48) zu sehen, wie sie am Tag wenige Stunden vor ihrem Tod an einem Geldautomaten in Rupperswil 1000 Euro abhebt.
Später taucht auch dieses Bild einer Überwachungskamera auf: Carla Schauer hebt knapp 20 Minuten nach dem Bancomat-Bezug weiteres Geld an einem Bankschalter in Wildegg ab. Es sind zirka 9000 Franken.
Trauerbekundungen beim Haus im Rupperswiler Spitzbirrli-Quartier, wo die vier getöteten Personen gefunden wurden.
Die Ermittlungsarbeiten zum Tötungsdelikt in Rupperswil reissen auch über die Feiertage nicht ab.
Für die Ermittler bedeutet der Fall Knochenarbeit: Ein Polizist leuchtet in einen Schacht.
8. Januar 2016: In Rupperswil findet ein Gedenk-Gottesdienst für die Opfer statt.
Rund 500 Personen wohnten dem Trauer-Gottesdienst bei. Wegen des grossen Andrangs mussten rund 200 Gäste den Gottesdienst vom Saal des Kirchgemeindehauses aus verfolgen.
Der Schock über die schreckliche Tat sitzt tief: Trauernde geben sich Halt
21. Januar 2016: Die Aargauer Staatsanwaltschaft gelangt an die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY – ungelöst". Im April wird der Mordfall von Rupperswil in München aufgezeichnet.
18. Februar 2016: Polizei und Staatsanwaltschaft informieren erstmals ausführlich über die Geschehnisse in Rupperswil an einer Pressekonferenz.
An dieser Pressekonferenz setzen die Behörden eine Belohnung von bis zu 100'000 Franken für Hinweise auf die Täterschaft aus.
Aus der Bevölkerung gehen hunderte Hinweise ein – keiner führt die Polizei auf die richtige Spur. Um den Vierfachmord von Rupperswil aufzuklären, haben die Aargauer Untersuchungsbehörden einen Aufwand betrieben wie noch nie zuvor.
13. Mai 2016: Fast fünf Monate nach dem Tötungsdelikt laden Polizei und Staatsanwaltschaft kurzfristig zu einer zweiten grossen Pressekonferenz ein.
Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht enthüllt: Der Täter ist gefasst! Es handelt sich um einen 33-Jährigen aus Rupperswil, der nicht vorbestraft ist.
Vierfachmord Rupperswil – von der Tat bis heute
Seine Fussballkollegen beschreiben ihn als Einzelgänger und guten Trainer.
In diesem Haus in Rupperswil – nur wenige Meter vom Haus der Familie Schauer entfernt – wohnte Thomas N.
Diesen Rucksack mit Tatutensilien für den nächsten Mord hat die Polizei im Haus von Thomas N. sichergestellt.
Die Haustür des Gebäudes wurde von der Polizei – nach einer Hausdurchsuchung – amtlich versiegelt.
Wenige Tage nach der Ergreifung des Täters wird bekannt: Die Rechtsanwältin Renate Senn wird den Mörder von Rupperswil vor Gericht vertreten.
Ein Jahr nach der Tat wird es in Rupperswil keine Gedenkfeier geben. Ammann: Ruedi Hediger: «Die Wunden «sind am Verheilen.»

Vierfachmord Rupperswil – von der Tat bis heute 21. Dezember 2015: an diesem Tag kommt es zum Vierfachmord: Kurz vor Mittag geht bei der Feuerwehr Rupperswil-Auenstein ein Notruf über einen Brand in einem Einfamilienhaus in Rupperswil ein.

Keystone/PATRICK B. KRAEMER

Kunz sitzt am Besprechungstisch, die Hände darauf übereinandergelegt, sagt: «Langsam denkt man schon: Man hat es gehört. Es ist im Fall gut jetzt.» Ihm sei es aber wichtig, den Einwohnern zu signalisieren: Die Feuerwehr habe den Einsatz gut verarbeitet, sei wieder voll einsatztauglich. Ja, das töne vielleicht etwas brutal, aber man sei das der Bevölkerung schuldig: «Wir haben den Auftrag, für die Sicherheit des Dorfes zu sorgen, Hilfe zu leisten. Den müssen wir erfüllen können. Deshalb ist es wichtig, dass man irgendwann einen Abschluss findet.»

Das Korps fand ihn an einem Abend im Spätsommer. Kunz schaute, dass es etwas zu Essen gab. Verschaffte «auf informeller Basis einen Überblick» – auch für die, die nicht dabei gewesen waren, die den 21. Dezember nur aus Erzählungen kannten. Vertreter des Care-Teams waren da. Wer wollte, konnte ein letztes Mal das Gespräch suchen. «Es ist nicht so», sagt Kunz, «dass man jetzt nicht mehr darüber reden dürfte. Aber die Phase, in der die Feuerwehr aktiv etwas zur Ereignisbewältigung macht, ist abgeschlossen.»

«Das kann niemand lernen»

Seine Leute wüssten, dass jeder Alarm schlimme Bilder und traurige Schicksale bedeuten kann. «Klar, man rechnet nicht grad mit so etwas. Aber dass man einmal jemanden aus einem Haus tragen muss, der nicht mehr lebt, dessen ist sich jeder bewusst.» Die Verhaftung im Mai war eine Erleichterung. «Bis dahin hatte man im Kopf: Vielleicht ist es einer aus dem Dorf, vielleicht triffst du am nächsten Einsatz wieder so etwas an.» Bei der Verarbeitung geholfen hätten Gespräche untereinander und mit dem Care-Team. «Der Rest war Intuition. Das kann niemand lernen.»

Dann wechselt Kunz’ Stimmung. Es geht nicht mehr um den 21. Dezember, sondern um die Frage, ob man heuer Nachwuchs habe rekrutieren können. «13 Frische im Ausbildungszug, 4 ausgebildete Zugezogene», rechnet er vor. Das liege im Schnitt der letzten Jahre. «Wir haben beim Mannschaftsbestand keinen Unterschied festgestellt, weder im Positiven noch im Negativen». Er klingt dabei nicht mehr nachdenklich, sondern zuversichtlich.

Lesen Sie auch Teil 1 der Serie zum Jahrestag Rupperswil: Der Pfarrer.