Fahrwangen
«Es ist völliger Unsinn»: Fahrwanger Praxisbetreiber wehrt sich gegen Berichterstattung

Der Arzt Jens Westphal hat mit seiner Firma in Fahrwangen eine Hausarztpraxis übernommen. Wegen der Berichterstattung über ihn im Schweizer Fernsehen hat der Gemeinderat aber vorerst davon abgesehen, ihm ein Darlehen zu geben. Was sagt der Arzt zu den Vorwürfen?

Nadja Rohner
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Die Praxis in Fahrwangen ist offen. Obwohl es noch Probleme mit der Zulassung des neuen Arztes gibt. Der Betreiber hofft, sie bald beheben zu können.

Die Praxis in Fahrwangen ist offen. Obwohl es noch Probleme mit der Zulassung des neuen Arztes gibt. Der Betreiber hofft, sie bald beheben zu können.

Anja Suter

Fahrwangen ist nach zwei SRF-Berichten in «Kassensturz» und «Rundschau» in Aufruhr: Das SRF berichtet, der neue Praxisbetreiber im Dorf sei in einen Covid-19-Testbetrug verwickelt und spanne ausserdem mit dem verurteilten «Mein Arzt»-Gründer Christian Neuschitzer (der sich den neuen Namen Christopher Bene gegeben hat) zusammen. Der Gemeinderat hat sogar beschlossen, den Antrag für ein Darlehen an die neue Praxis – die Avegena Medical Center AG sollte 50’000 Franken erhalten – von der Traktandenliste der Gmeind zu streichen.

Der Arzt, der im Zentrum dieses Geschehens steht, ist Jens Westphal (58). Er hat vor fünf Jahren das Unternehmen Avegena gegründet und führt schon lange eine Praxis in Geuensee (LU). Gegenüber der AZ nimmt er Stellung zu den Vorwürfen.

Westphal wirkt beim Telefonat mit der AZ sehr bewegt. Die letzten Wochen seien schwierig gewesen, «zum Verzweifeln». Er hänge an seiner Avegena und der Vision dahinter, betont er. «Es war schon lange mein Traum, ein Früherkennungssystem für seltene Krankheiten in Landarztpraxen aufzubauen», sagt er.

Das sei ihm ein grosses Anliegen, weil fast jeder in seiner Familie direkt betroffen sei – er selber hatte vor einigen Jahren Brustkrebs. «Ich möchte diesen Traum noch verwirklichen, bevor ich mich zur Ruhe setze. Deshalb kaufte ich via Avegena seit einem Jahr vier zusätzliche Praxen, die sonst hätten schliessen müssen. Hier stelle ich Ärzte an, die langfristig entweder für ein sehr gutes Gehalt angestellt arbeiten oder sich nach drei Jahren mit der Praxis selbstständig machen können.»

Laut «Kassensturz» wurden auf Ihre Avegena AG Covid-19-Tests abgerechnet, die die Praxis gar nicht gemacht hat. Warum?

Jens Westphal: Ich muss etwas ausholen: Im Dezember 2020 bin ich selber an einer lebensbedrohlichen Covid-19-Pneumonie erkrankt – leider hatte der erste Schnelltest negativ angegeben. Entsprechend war ich auf die Wichtigkeit der Testung sensibilisiert und habe ab Anfang 2022 selber Testcenter im Kanton Luzern betrieben. Kurz darauf wurde ich angefragt, ob ich bei der Fakturierung anderer Testcenter behilflich sein könnte. Das funktioniert so: Die Zentren treten abrechnungsbereite Tests an eine Fakturierfirma ab. Diese wiederum arbeitet mit Ärzten zusammen, die Abrechnungen mit Krankenkassen durchführen dürfen – also ich zum Beispiel. Wir haben die Abrechnungen gemacht und das Geld abzüglich einer Gebühr für uns an die Fakturierfirma weitergeleitet. Das ist ein ganz normaler Vorgang und mir wurde schriftlich versichert, dass alle Gesetze eingehalten werden. Als im Rahmen der «Kassensturz»-Recherche die ersten Hinweise auf Ungereimtheiten auftraten, habe ich mich selber beim Bundesamt für Gesundheit gemeldet und um Aufklärung gebeten. Dem Kanton Luzern habe ich die ganzen Unterlagen zur Verfügung gestellt.

Jens Westphal, Arzt.

Jens Westphal, Arzt.

zvg

Läuft gegen Sie in diesem Zusammenhang ein Strafverfahren?

Nein. Und ich kann Ihnen zu hundert Prozent versichern, dass ich nicht wissentlich an einem Betrug teilgenommen habe. Die Abklärungen laufen noch, aber bisher sieht es so aus, als hätten bei allen abgerechneten Covid-19-Tests auch wirklich Patientenkontakte stattgefunden. Sicher ist: Wenn sich herausstellt, dass jemand unter meinem Namen Straftaten begangen hat, dann erstatte ich Anzeige.

Sie haben die Avegena Medical Center AG gegründet. Ist Christian Neuschitzer alias Christopher Bene daran beteiligt?

Nein. Er hat nie einen Rappen in die Firma gesteckt. Die Avegena-Aktien gehören mir, meiner Frau, meinem Stellvertreter sowie zwei Praxisassistentinnen und deren Familienangehörigen. Mittlerweile hat das auch das SRF eingesehen und eine Richtigstellung publiziert.

Seit wann kennen Sie Neuschitzer und wie kam der Kontakt zu Stande?

Ich hatte im Sommer 2020 via meine Patientin, die bei ihm gearbeitet hatte, den ersten Kontakt mit ihm. Kurz vor Weihnachten 2021 wandte er sich dann telefonisch an mich. Er machte einen verzweifelten, gebrochenen Eindruck; sagte, er könne sich nicht mal Weihnachtsgeschenke für seine drei Kinder leisten und brauche dringend Hilfe. Also gab ich ihm 1000 Franken.

Wie bitte? Warum?

Sehen Sie – ich bin Christ. Und schenke den Menschen, die an mich herantreten, vielleicht manchmal zu viel Vertrauen. In der Bibel steht: «Wer frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein.» Ist es richtig, einen Menschen wegen eines Fehlers lebenslang zu stigmatisieren? Hat nicht jeder Mensch eine zweite Chance verdient?

Und dann gaben Sie ihm einen Job.

Ein kleines Administrations- und Beratungsmandat, weil ich schon eine Weile plante, weitere Avegena-Praxen zu eröffnen – allerdings nicht nach dem Vorbild von «Mein Arzt». Da distanziere ich mich ganz klar. Er hat von Österreich aus für mich gearbeitet, aber nur befristet auf ein paar Monate.

In der SRF-«Rundschau» heisst es, Neuschitzer wäre bei Verhandlungen für Praxiskäufe durch Avegena dabei gewesen.

Ich erinnere mich nicht im Detail, bei welchen Besprechungen er dabei war, aber er hatte keinerlei Entscheidungsgewalt. Auch das hat das SRF nun so publiziert.

Laut einem «Rundschau»-Zeugen erzählt Neuschitzer, Sie seien nur eine Art Strohmann, er selber die graue Eminenz im Hintergrund.

Das hat mich schockiert. Es ist völliger Unsinn, ich bin sicher keine Marionette von Neuschitzer. Die Idee für Avegena habe ich seit fünf Jahren entwickelt. Ich prüfe eine Strafanzeige gegen diesen «Zeugen», den ich übrigens noch nie im Leben gesehen habe. Falls sich Neuschitzer selbst tatsächlich so geäussert haben sollte, wäre das schlicht falsch. Das stört mich.

Wie waren die Reaktionen der Fahrwanger Patienten auf die SRF-Berichterstattung?

Es gab natürlich negative Reaktionen, ich war jetzt zehn Tage fast Tag und Nacht damit beschäftigt, an allen Fronten die Wogen zu glätten. Aber besonders meine Mitarbeitenden und langjährigen Patienten stehen voll hinter mir. Und ich merke auch bereits, dass es langsam wieder aufwärtsgeht und ich das Vertrauen zu vielen Anspruchsgruppen wiederherstellen konnte, weil ich offen kommuniziert habe.

Wie geht es weiter mit der Praxis in Fahrwangen?

Wir haben die Praxis im September übernommen mit dem Ziel, dass ein angestellter Arzt hier für Avegena tätig ist. Schon im Februar hatten wir seine Zulassung beantragt, aber die Bürokratie ist unfassbar langsam. Noch bis Dezember können wir uns mit einem Stellvertreter über Wasser halten. Wenn die Zulassung dann noch immer nicht da ist, könnte ich notfalls auch vorübergehend einspringen – dann arbeite ich halt 60 Prozent dort, 60 Prozent weiter in meiner Praxis in Geuensee.

Können Sie die Fahrwanger Praxis auch ohne das 50’000-Franken-Darlehen betreiben?

Vorübergehend schon, ja, wenn ich mein Erspartes nutze. Meine Ferien habe ich vorerst gestrichen. Wir haben versprochen, dass wir die Fahrwanger Patienten nicht im Stich lassen. Ich kann schon verstehen, dass die Gemeinde aufgrund dieser Vorwürfe aktuell verunsichert ist. Ich bin aber fest überzeugt, dass man irgendwann erkennen wird, was ich für die Einwohnerinnen und Einwohner leiste.