Mit der Gründung eines Elternforums liegt die Gemeinde Fahrwangen im Trend im Aargau. Elterngremien können etwa als Vermittler zwischen einzelnen Eltern und der Lehrperson wirken. Für den Erfolg braucht es bestimmte Voraussetzungen.
Die Kreuzung am Bärenplatz macht den Fahrwanger Eltern Kummer. Sie sei gefährlich, man könne die Schulkinder dort nicht unbeaufsichtigt über die Strasse gehen lassen, heisst es. Damit nicht jede Mama (oder Papa) ihre Kinder selber zur Schule begleiten muss, wünschen sich die Eltern einen Lotsendienst über Mittag.
Genau dafür will sich nun das neue «Elternforum» einsetzen. Mit dessen Gründung liegt die Schule Fahrwangen im Trend. «Solche Eltern-Gremien sind an Aargauer Schulen immer häufiger anzutreffen», sagt Maya Mulle. Die Dielsdorfer Organisationsberaterin hat vor 16 Jahren die «Fachstelle Elternmitwirkung» gegründet. Seither hat sie gut 400 Schulen bei der Gründung von Elterngremien, oft Elternforum oder Elternrat genannt, begleitet – auch Fahrwangen.
Zwei Mütter aus dem Dorf hätten den Aufbau eines Elternforums vor anderthalb Jahren initiiert, erzählt die Expertin. Schliesslich wurde eine Spurgruppe gegründet, die gemeinsam mit Mulle das Reglement ausarbeitete. Das Fahrwanger Elternforum besteht aus allen interessierten Eltern der Primarschulkinder. Sie bilden die Vollversammlung, welche einmal pro Jahr zusammenkommt. Diese wählt die sieben Vorstandsmitglieder, welche wiederum vier Personen für ein Leitungsteam bestimmen.
In den Vorstand gewählt wurde auch Susanne Löpfe. Sie ist als Präsidentin vorgeschlagen, die Wahl steht noch aus. Die Mutter einer Zweitklässlerin und Zwillingen im Kindergartenalter wohnt seit zwei Jahren in Fahrwangen. «In dieser Zeit ist mir aufgefallen, dass zwar unter den Eltern viel über Probleme mit der Schule geredet wird, sich aber selten jemand traut, das Anliegen gegenüber der Schule zu äussern.»
Zum Beispiel wünschten die Eltern, dass die Lehrer die Ufzgi für den nächsten Tag bereits am Vormittag verteilen, damit die Schüler in der langen Mittagspause damit beginnen können. «Es macht keinen Sinn, wenn sieben verschiedene Mütter deswegen den Lehrer anrufen», sagt Löpfe, die selber an einer Berufsschule unterrichtet. «Viel einfacher ist es, wenn so etwas koordiniert über das Elternforum läuft.» Löpfe betont, dass es nicht darum gehe, die Lehrer zu mobben: «Wir wollen Hand in Hand mit den Lehrpersonen zusammenarbeiten und den Informationsfluss sicherstellen.»
Bei Bedarf kann eine Delegation des Fahrwanger Elterngremiums an Sitzungen der Lehrpersonen teilnehmen. Das macht dann Sinn, wenn dort Anliegen aus der Elternschaft behandelt werden. Das Elternforum kann die Schule aber auch bei der Umsetzung von Projekten unterstützen, beispielsweise einem Aktionstag zum Thema Gesundheit. «Durch die Delegierten des Elternforums wird für alle Eltern ein relativ niederschwelliger Zugang zur Schule geboten», sagt Expertin Maya Mulle. «Sie trauen sich vielleicht eher, gegenüber einem Vorstandsmitglied ein Anliegen zu äussern, als direkt gegenüber der Schule.» So wolle man auch die Mütter und Väter zum Mitmachen bewegen, die sich sonst nicht um Schulangelegenheiten kümmern. Allerdings: Ein Mitspracherecht in Sachen Lehrplan oder Lehrpersonal hat das Elternforum nicht.
Die Fahrwanger Eltern seien anfänglich skeptisch gewesen, berichtet Mulle. «Sie fanden, die bisherigen Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit der Schule reichen aus. Aber als sie merkten, dass auch die Schule ein Elternforum wünscht und es als wertvolle Ressource ansieht, änderten die meisten Eltern ihre Meinung.»
Zwei Paragrafen regeln die institutionalisierte Elternmitwirkung im Kanton Zürich. Das Volksschulgesetz verlangt ein Organisationsstatut, das die Mitwirkung der Eltern regelt. In der Volksschulverordnung ist definiert, dass Eltern bei der Erarbeitung eines Schulprogramms angehört, aber grundsätzlich nicht zur Mitwirkung verpflichtet werden. Bei personellen und methodisch-didaktischen Entscheidungen ist die Mitwirkung ausgeschlossen. Festgelegt ist auch, dass Schulen den Eltern «zur Wahrung ihrer Mitwirkungsrechte» Räume unentgeltlich zur Verfügung stellen müssen. Das Gesetz gilt seit 2005.
In den Kantonen Zürich und Basel-Stadt sind Schulen gesetzlich verpflichtet, ein Elterngremium zu führen. Für Maya Mulle ist ein Obligatorium «nicht das Gelbe vom Ei»: «Es hat zwar den Vorteil, dass die Schulen nicht mehr über das Ob diskutieren müssen, sondern gleich über das Wie», sagt sie. «Aber wenn eine Schule noch nicht so weit ist oder das Interesse bei den Eltern fehlt, kann ein Obligatorium kontraproduktiv sein.»
Auch ohne Zwang haben bereits einige Schulen in der Region ein Elterngremium – zum Beispiel Sarmenstorf, Rupperswil, Suhr oder Menziken. In Meisterschwanden ist es laut Maya Mulle in Arbeit.
Im Kanton Zürich, wo die Elternmitwirkung seit zehn Jahren im Volksschulgesetz verankert ist, hat noch längst nicht jede Schule ein Elterngremium. Das mag daran liegen, dass die Haltungen von Schulleitung und Lehrpersonen diesbezüglich sehr unterschiedlich sind.
Das bestätigt auch eine Studie der Pädagogischen Hochschule an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie untersuchte, wie die Kooperation von Lehrpersonen mit Eltern in der Praxis aussieht. Projektleiter ist Martin Straumann, Leiter der Professur «Theorie der Schule» am Institut Vorschul- und Unterstufe. «Wir haben festgestellt, dass es innerhalb derselben Schule mit denselben Richtlinien teils grosse Unterschiede gibt», sagt er.
Die Extremfälle: Lehrer, die gern und viel mit Eltern zusammenarbeiten, falls nötig sogar bis tief in die Familienstrukturen hinein. Und andere, die ihren Unterricht ins Zentrum stellen und sich nicht weiter darum kümmern, was in der Familie passiert – und die es als unzulässigen Eingriff empfinden, wenn Eltern plötzlich vor der Klassenzimmertür stehen.
Straumann bestätigt, dass der Umgang mit schwierigen Eltern einigen Lehrpersonen derart auf den Magen schlägt, dass sie kündigen oder gar den Beruf wechseln. Damit dies möglichst nicht passiert, wird das Thema schon im Studium an der Pädagogischen Hochschule behandelt: «Das Wahlpflichtseminar Elternarbeit ist jeweils sehr gut besucht. Dort wird nicht nur Hintergrundwissen vermittelt: Die Studierenden lernen in Rollenspielen, wie man mit verschiedenen Elternanliegen umgeht – und auch, wo ihre Grenzen sind. Die Studierenden müssen sich bewusst werden, dass man als Lehrerin nicht alles machen kann.»
Wichtig sei es, dass Lehrpersonen Elternforen nicht als Belastung, sondern als Entlastung verstehen. Denn: Elterngremien können als eine Art Puffer wirken, als Vermittler zwischen einzelnen Eltern und der Lehrperson. Martin Straumann erklärt: «Lehrpersonen sind Mittelschichtsvertreter. Die Schüler und damit ihre Familien sind aber heterogen – von der Unterschicht und eher bildungsfernen Migrantenfamilien bis hin zur Oberschicht mit Akademikereltern ist alles vertreten.»
Entsprechend unterschiedlich seien die Ansprüche der beiden Extrempole, was die Kommunikation mit der Lehrperson schwierig machen kann. «Deshalb sollte man darauf achten, die Vielfalt der Familien auch in Elterngremien abzubilden. Wenn es zum Beispiel in einer Gemeinde besonders viele Tamilen hat, sollte auch ein Mitglied dieser Gemeinschaft im Elterngremium vertreten sein.»
Straumann beobachtet zwei Tendenzen. Erstens: Die Bereitschaft der Eltern, sich in Elterngremien zu engagieren, nimmt insgesamt zu. Zweitens: Das Interesse der Eltern am Schulalltag ihrer Sprösslinge ist im Kindergarten und in den ersten Primarschuljahren am höchsten, sinkt dann laufend ab und erreicht am Ende der Volksschule, zum Zeitpunkt der Berufsfindung, noch einmal einen kurzen Aufschwung. «Dann, wenn sich auch Väter für die Berufswahl ihrer Kinder interessieren», so der Professor.
Damit ein Elterngremium Erfolg hat, hält es Straumann für wichtig, dem Elternrat auch gewisse Kompetenzen zuzugestehen. «Man darf ihre Tätigkeit nicht aufs Organisieren von Apéros beschränken. Eine gewisse Mitarbeit im Schulalltag liegt durchaus drin.» Das könne zum Beispiel die Nachhilfe für eine Schülerin sein, die lange krank war. «Elternvertretende sind jedoch keine Hilfslehrpersonen.»
Sie seien aber wichtig, wenn die Lehrperson Feedback von der Klasse oder von den Eltern braucht. «So kann die Elternmitwirkung zu einem guten Klassenklima und insgesamt zur Qualität der Schule entscheidend beitragen.»Kommentar meinungsSeite