Am Dienstag eröffnete die Lenzburgiade. Sie serviert einen beflügelnden Mix für offene Ohren – und Augen.
Die «-iaden» mehren sich: Wir kennen neben der Lenzburgiade die Schubertiaden, die Universiaden, aber laut Duden auch schon die Kneippiade oder die Münchhausiade. Was die «-iaden» auch auszeichnen, in Lenzburg folgt man der Devise: mit süffiger Musik abseits gängiger Routine Grenzen der Klassik auszuloten und sie mit Crossover zu alimentieren, ein Stilmix, der nur einem Attribut zu gehorchen hat: exzellenter Musik – welcher Richtung auch immer, ein «Drehkreuz zur Sommersonnenwende».
Mit dem letztes Jahr erfolgreich erprobten Konzertspaziergang, einer «Mini-Lenzburgiade» von der Altstadt hoch zum Schloss, eröffneten sonntags eine Vielzahl von (auch sehr jungen) Musizierenden unter glühender Sonne die Festivalwoche.
Am Eröffnungskonzert mussten die Veranstalter rund um das rührende Gespann Oliver Schnyder und Fränzi Frick aber erst einmal den Wettermacher Petrus ins Gebet nehmen, um den dräuenden Gewitterwolken Einhalt zu gebieten. Doch diese hatten Erbarmen mit den musikdurstigen Gästen aus Nah und Fern und umkurvten das Festivalgelände am längsten Tag des Jahres fast ebenso virtuos wie das in sommerlichen Roben aufwartende Zürcher Kammerorchester.
Während am atemberaubenden Geiger Niccolò Paganini das Attribut «Teufelsgeiger» hängen blieb, sucht die Musikzunft noch nach Superlativen, um der Zungenakrobatik Maurice Stegers gerecht zu werden. Teufelszüngler? Fingerakrobat? Sei’s drum. Seine schalkhaften Augen ins Visier nehmen, die Ohren spitzen und eintauchen in die barocke Welt der Equilibristik: «What else?» würde George Clooney fragen.
Maurice Steger ist nicht nur weltweit als Gastsolist gefragt, er musiziert auch häufig mit dem Zürcher Kammerorchester (ZKO), dirigiert es gar gelegentlich, so auch diesmal. Und er tut es wie immer mit entwaffnendem Charme und einer halluzinösen Zungenakrobatik – von der Tenorflöte bis zum munzigsten Flautino. Wie macht er das nur? Das zu beantworten, ist wohl ebenso müssig, wie einen Zauberkünstler nach seinen Tricks zu fragen. Er kann es einfach.
Aber trotz aller flirrenden Equilibristik und züngelnder Bravour, der Funken wollte nicht so recht springen. Kann Virtuosität auch lähmen? Werden die Mitmusizierenden dann einfach zur Staffage? Zum schmückenden Beiwerk, das für den Solisten nur den Teppich auszurollen braucht?
Wenn die Spannung dann der Routine weicht, ist es zwar immer noch ein perfektes Konzert, aber es kommt intellektuell eher unterkühlt daher. Diesen Eindruck konnte man gewinnen, wenn man dem Konzertmeister Willi Zimmermann und seinen ZKO-Komparsen zuhörte: technische Vollendung mit der Handbremse, der Star war ein anderer.
Dabei war das Programm, «Metamorphosen» betitelt, von einnehmendem Liebreiz und bunter Vielfalt. Purcell eröffnete mit instrumentalen Stücken aus dem 17. Jahrhundert den Abend, gefolgt von reizvollen Arrangements des noch jungen Schweizer Komponisten Fabian Müller, der die Engadiner Lautenhandschrift und die Tessiner Flöten- und Lied-Literatur durchforstete und eine wirklich spannende Kammermusikversion erstellte. Eine Uraufführung, die auch die Lenzburgiade mit einer schönen Geste adelte.
Vivaldis Concerto per flauto in B-dur (RV 375) geriet den Musizierenden mit moussierendem Impetus, weit weg vom Nähmaschinen-Barock, wie man ihn Vivaldi oft (auch etwas zurecht) unterstellt. Johann Sebastian Bach war mit einer Auswahl seiner 30 Goldberg-Variationen vertreten, einer Bearbeitung für Streichorchester. Ein singuläres Kunstwerk, das aber nicht so recht in den lauen Sommerabend passen wollte. Da fehlte letztlich halt doch etwas der Pfiff.
Auch Arvo Pärts Streicher-Kantate «Fratres» verstärkte die besinnliche Note über Gebühr. Aber natürlich – das ZKO kann das und ist immer wieder als Vorreiter auf Nischensuche in Gefilden unterwegs, die sie unverwechsel- und nahbar machen.
Noch ist die Festivalwoche erst angebrochen und wartet mit einer Vielzahl an hochkarätigen Solisten und Ensembles auf neugierige Musikliebhaber, welche das Ambiente im Schlosspark und auf dem Metzgplatz geniessen möchten. Petrus soll der Lenzburgiade auch weiterhin hold sein.
Am 23.6. bläst Ihnen das Cello-Duo Calva mit Argovia Philharmonic den Marsch. Am 24.6. begegnen Ihnen Lia Pale, Lise de la Salle und Oliver Schnyder. Am 25.6. gibt es ein Kinderprogramm und abends spielen die Young-Artists um Jeneba Kanneh-Mason, bevor am 26.6. Daniel Behle und das Oliver Schnyder Trio Gassenhauer zum Besten geben. Auf dem Metzgplatz gibt es am 23.6. Schweizer Volksmusik reloaded, am 24.6. argentinischen Tango. Danach geht es hoch in den Norden mit Quadriga Consort (25.6.) und Ragnhild Hemsing (26.6.).