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Nikin aus Lenzburg verkauft von Socken über Hosen bis zur Mütze alles. Wie die Gründer, Nicholas Hänny und Robin Gnehm, auf den Baum kamen und «bezahlbare Nachhaltigkeit» zum Mantra wurde.
Eine Buche, vermutlich um die hundert Jahre alt, wie Matthias Ott, Leiter der Forstdienste Lenzia, schätzt. Ein kräftiger Stamm, eine zweigeteilte Krone – das ist der Jubiläumsbaum von Nikin, Nummer 1'000'000. Statt ihn zu pflanzen, haben sie diesen Baum adoptiert. Hier im Bergwald, am Ufer des Fünfweihers in Lenzburg, in ihrer Heimat. Robin Gnehm sagt:
Wir sind beide Pfadfinder, der Wald hatte für uns schon immer eine besondere Bedeutung.
Er und sein Freund Nicholas Hänny sind die Gründer des Aargauer Modelabels, das mit seiner Idee, Stil mit gesellschaftlichem Nutzen zu kombinieren, die Herzen der Schweizer Jugend im Sturm erobert hat.
Sie starteten mit 5000 Franken und 60 Beanies im Dezember 2016. Schon im Folgejahr machten sie 300'000 Franken Umsatz und die Verkaufserlöse sollten noch schneller wachsen als das Kleidersortiment. 13 Millionen Franken waren es im abgelaufenen Coronajahr. Und ab diesem Jahr soll es möglich sein, von Kopf bis Fuss in Nikin gekleidet zu sein. «Wir werden erstmals auch Schuhe und lange Hosen in unserem Sortiment haben», kündet Gnehm an.
Wichtig waren Bäume für Nikin von Anbeginn, die Tanne ziert schon ihre ersten Mützen. Sie ist ein Mitbringsel von Gnehm. Zwischen Berufsmatura und Industriedesignstudium ging er für einen Sprachaufenthalt nach Kanada, reiste, genoss die Einsamkeit in der Natur, die Wälder. Und immer wieder diese Tannen. «Als ich zurückkam, hatte ich das Logo schon fast im Kopf gezeichnet», erinnert sich Gnehm und lacht. Er wusste: «Damit mache ich etwas.»
Was genau, das begann sich bei einem Bier im McArthurs Pub in Lenzburg herauszukristallisieren. Mit Sandkastenfreund Nicholas Hänny, damals 25-jährig und Wirtschaftsstudent mit Hang zum Unternehmertum. Er hatte erste Erfahrungen gesammelt mit dem Vertrieb von desinfizierender Handlotion während der Schweinegrippe und dem Verkauf von Turnsäcken unter der Marke Nikit. Deren Gebrauch wurde ihm von der skandinavischen Snowboardmarke Nikita untersagt. So wurde aus Nikit Nikin und aus den Turnsäcken erst Beanies und jetzt eine komplette Kleiderkollektion.
Der Baum sollte aber nicht einfach auf ihre Mützen zieren, sie wollten auch etwas verändern. Das war von Anfang an klar. Der Idealismus aber wuchs mit dem Projekt. Der Slogan «tree for tree» begleitet sie seit ihren Anfängen, für jede Beanie wurde ein Baum gepflanzt. Ein kleiner Beitrag gegen den Klimawandel, ein Hauch Grün.
«Bezahlbare Nachhaltigkeit», wie Nicholas Hänny sagt, wurde aber erst ein paar Monate später zum Mantra. Durch Hinweise von Kunden, die meinten:
Ist ja toll, wenn ihr Bäume pflanzt. Aber eure Beanies wurden in China gefertigt.
Sie wühlten sich in den Textildschungel, fanden Produktionsstätten in der Türkei, zuletzt während der Coronazeit vermehrt auch in Portugal. Heute verkaufen sie grossmehrheitlich Kleider aus Bio-Baumwolle, fast alles zertifiziert nach dem «Global Organic Textile Standard». «Unsere Kleider kann man zurückverfolgen bis aufs Feld», sagt Robin Gnehm.
Wenn sie mit Kunstfasern arbeiten, dann oft mit innovativen wie Polylana, eine synthetische Faser, die deutlich weniger Wasser in der Herstellung verbraucht als Baumwolle und kaum Mikrofasern absondert. «Wir sind die Ersten in Europa, die mit dieser Faser ein Produkt in Europa herstellen», sagt Co-Gründer Hänny stolz.
Der Pioniergeist ist Teil der DNA Nikins. Sie waren die Ersten, die Bäume pflanzten beim Kauf eines Produktes. Ganz sicher in der Schweiz, vermutlich auch in Europa. In den USA gäbe es ein Unternehmen, das Ähnliches tat, so Hänny. Die Kombination von Nachhaltigkeit, coolen Looks und Bezahlbarkeit – das ist ein weiteres Alleinstellungsmerkmal.
«Wir wollen, dass sich auch Studis unsere Kleider leisten können», sagt Gnehm, der sein Industriedesignstudium nach anderthalb Jahren abbrechen musste. Weil die Bäume bei Nikin so durch die Decke schossen. 99 Franken kostet das teuerste Nikin-Kleidungsstück im Sortiment. Ein paar Socken gibt es für 9 Franken. Im Schnitt kostet das Kleidungsstück zwischen 25 und 30 Franken.
Unabhängig vom Preis geht für jedes Kleidungsstück ein Franken weg. Für die Pflanzung eines Baumes – da geht Marge verloren. Wie geht das auf? Robin Gnehm:
Wir haben direkten Kontakt zu den Herstellern und verkaufen 95 Prozent unserer Produkte direkt an die Endkunden. Da gibt es niemanden der Marge abzweigt.
Auf Zalando oder Galaxus findet man Nikin nicht. Ganz bewusst. Man wächst dank Idealismus – und cleverem Social-Media-Marketing. Rund 30 Prozent des Verkaufspreises landet bei den Herstellern in Portugal und der Türkei. «Wir sehen sie als Partner, wir wollen mit ihnen wachsen», sagt Gnehm.
Bio-Baumwolle und Bäume pflanzen – wie gross ist denn eigentlich die Umweltbelastung durch Nikin? «Wir haben keine Zahlen», sagt Nicholas Hänny. Aber es gäbe sicherlich noch grünere Labels. Aber ihnen gehe es nicht um eine radikale Lösung, sondern um massentaugliche Nachhaltigkeit. Was sie genau darunter verstehen, das erarbeiten sie derzeit. Sie möchten maximale Transparenz. Damit jeder und jede selbst entscheiden kann, ob ihm oder ihr das genügt.
Es ist eindrücklich, was in Lenzburg in vier Jahren entstanden ist. Mehr als 20 Millionen Franken haben sie in dieser Zeit umgesetzt. Rund 40 Mitarbeitende zählen sie heute und über eine Million Bäume haben sie gepflanzt. Das entspricht einer Fläche fast so gross wie Zürich.
Mehrheitlich haben sie die Bäume in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Organisation Onetreeplanted gepflanzt. Auf der ganzen Welt und von lokalen Experten. Wiederaufforstung, bei der sichergestellt wird, dass die Bäume auch gedeihen und dereinst nicht den Sägen der Holzindustrie zum Opfer fallen. Damit sie dereinst so stark und beständig den Widrigkeiten dieser Welt trotzen wie die Buche in Lenzburg, die Buche von Nikin.