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Aargau
Marcel Ruf, Direktor der Justizvollzugsanstalt Lenzburg, referierte zum Thema «Kuschelvollzug». Und ein ehemaliger Strafgefangener beschrieb den Alltag – ausgerechnet aus dem Solothurner «Lotterknast».
Gibt es in unseren Gefängnissen «Hotelbetrieb»? Sind Strafanstalten «Wohlfühloasen», in denen sich wohlgenährte Häftlinge mit Flachbildfernsehern unterhalten können? Das Aargauische Forum für Kriminologie widmete sich bei der Fortsetzung der Vortragsreihe zum Jahresthema «Strafvollzug im Kreuzverhör» der «Kuscheljustiz»-Debatte und dem Alltag hinter Gittern.
Im Hauptgebäude der Psychiatrischen Klinik Königsfelden referierte Marcel Ruf, Direktor der Justizvollzugsanstalt Lenzburg, dazu, warum der Schweizer Strafvollzug im Vergleich zu anderen Ländern alles andere als eine «Kuschel»-Version ist.
Mit Anekdoten aus erster Hand ergänzte schliesslich ein ehemaliger Strafgefangener die Beschreibung vom Leben in der Zelle. Der Haken daran: Der gemäss Eigenaussage 40 Jahre alte Mann hatte seine Freiheitsstrafe im offenen Vollzug in der Strafanstalt Schöngrün SO verbüsst, jener Einrichtung, die 2009 als «Lotterknast» mit dem Untertitel «Sex, Drogen und offene Türen» für Negativschlagzeilen gesorgt hatte.
«Schweiz im vorderen Mittelfeld»
JVA-Direktor Marcel Ruf, seit 11 Jahren in Lenzburg tätig und gerade erst von einem Sicherheitskongress in Leipzig zurückgekehrt, machte den internationalen Vergleich: «Beim Strafvollzug ist die Schweiz im vorderen Mittelfeld».
Insbesondere Skandinavien verfüge über sehr moderne Anstalten. Zu Fotos aus Gefängnissen verschiedenster Länder erläuterte der Direktor die Unterschiede. Ein Beispiel: In einer deutschen Strafanstalt waren drei Fussballfelder, ein Beachvolleyball-Feld und eine Minigolfanlage zu erkennen. «Das gibt es bei uns nicht», betonte Marcel Ruf. Eine Stunde spazieren dürfen die Häftlinge im Hof, im deutschen Gefängnis können die Gefangenen durch einen idyllischen Föhrenwald flanieren.
Der Direktor gewährt einmal wöchentlich eine Audienz, um sich die Sorgen und Nöte der Häftlinge anzuhören. Die JVA sei «das hinterletzte Loch», das Personal würde «immer reklamieren» und «die Bedingungen sind schlimmer als in Abu Ghraib», zitierte Ruf aus der Liste der Reklamationen. «Bei uns gibt es auch mal Brot vom Vortag zum Morgenessen», so der JVA-Direktor. Und zum Thema Flachbildfernseher: «Es gibt heute nun mal keine anderen Modelle mehr.» Den «Hotelbetrieb»-Vorwurf wies er zurück: «In einem Hotel überlegen sich die Gäste nicht ständig, wie sie flüchten könnten.» Die Behörden, so Ruf, müssten aber versuchen «die Lebensverhältnisse für die Häftlinge jenen draussen anzupassen, ohne die Sicherheit zu gefährden».
Insassen hatten einen Schlüssel
Am ehemaligen Strafgefangenen, der vor den Zuhörern anonym auftrat, war es schliesslich, vom harten Alltag im Gefängnis zu erzählen. Wie repräsentativ diese Anekdoten waren, sei allerdings dahingestellt. Hatten doch die Insassen der Aussenstation verbotenerweise über einen Schlüssel für das Gebäude verfügt. Und so erzählte er von einigen Ausflügen am Abend: «Wir gingen raus, um am Waldrand Bier zu trinken und Würste zu bräteln.» Die Beschäftigung schätze er aber: «Ich konnte auf einem Hof arbeiten, fast wie ein freier Mann – natürlich wurden wir bewacht», erklärte der ehemalige Insasse von Schöngrün. Arbeiten zu dürfen, sei ein Privileg gewesen.