Filmwochenschau
Zeitreise in den Aargau der 1950er Jahre – dank einer Schatzkiste voller Videos

Hunderte Sendungen der Schweizer Filmwochenschau der 50er Jahre sind seit Kurzem online zu sehen. Wie die Zigarrenindustrie in Reinach florierte, der Aargau Jubiläum feierte und die Kegelbahn-Technik den Sprecher begeisterte, sehen Sie in den Videos unten.

Mark Walther
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Begräbnis in Jonen, 150-Jahr-Feier in Aarau, Fuchsjagd in Lenzburg: Der Aargau war immer wieder Thema in der Filmwochenschau.

Begräbnis in Jonen, 150-Jahr-Feier in Aarau, Fuchsjagd in Lenzburg: Der Aargau war immer wieder Thema in der Filmwochenschau.

Screenshots Filmwochenschau

Eine Schatzkiste für Historiker, Geschichtsliebhaber und Nostalgiker: Ende Oktober gingen 485 Ausgaben der Schweizer Filmwochenschau der 1950er Jahre online. Auch der Aargau ist immer wieder Gegenstand in den Beiträgen. Diese machen deutlich, wie stark sich der Kanton seither gewandelt hat: Vor 60 Jahren boomte das Stumpen- und Zigarrengeschäft in Reinach, betrieb die Freiämter Strohindustrie Filialen von Florenz bis nach New York und begann das Atomzeitalter eben erst.

Der Aargau beheimatete vor 60 Jahren aber auch einen der modernsten Kuhställe der Schweiz, eine vergnügliche Fuchsjagd und einen engen Vertrauten von General Guisan. Klicken Sie sich durch die Videos.

Aargau feiert 150-Jahr-Jubiläum

1953 blickt die Schweiz nach Aarau: In seiner feierlich geschmückten Hauptstadt zelebriert der Kanton das 150-Jahr-Jubiläum. Seit 1803 gehört der Aargau zur Eidgenossenschaft. Der Festumzug nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch die Geschichte des Kantons: Von König Rudolf dem Habsburger über die Spanisch-Brötli-Bahn bis zum Bachfischet. "Der Reichtum seiner (der aargauischen) Lebensart wird ausgebreitet", sagt der Nachrichtensprecher. 233 Gemeinden umfasst der Kanton damals. Heute sind es noch 213.

Das Atomzeitalter beginnt in Würenlingen

1956 beginnt der Aufbau des ersten Schweizer Atomreaktors in der Nähe von Würenlingen. Paul Scherrer, bekannter Schweizer Nuklearforscher an der ETH Zürich, legt den Grundstein. "Das ist die erste Stufe der auch in unserem Lande dringend gewordenen Gewinnung von Atomenergie", frohlockt der Nachrichtensprecher. Der Reaktor ist nicht zu verwechseln mit dem ersten Schweizer AKW, Beznau, das 1969 seinen Betrieb aufnimmt. Er heisst Saphir und dient bloss der Forschung. Die US-Amerikaner hatten ihn ein Jahr zuvor an die "Atoms for Peace"-Konferenz in Genf mitgebracht. Scherrer ist wesentlich daran beteiligt, dass die Schweiz den sogenannten Swimming-Pool-Reaktor den Amerikanern abkaufen kann. Die Schweiz hinkt der technischen Entwicklung damals hinterher: An der Konferenz merkt die Delegation, dass ihre Reaktorpläne bereits überholt sind, wie es in einem Blogeintrag der ETH heisst. Saphir wird 1993 abgeschaltet.

Gegen die Nazi-Propaganda

Die Filmwochenschau lief von 1940 bis 1975 im Vorprogramm in Schweizer Kinos. Der Bundesrat gab sie in Auftrag, um die Bürger mit politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Nachrichten zu versorgen. Sie diente als Gegenpol zur Propaganda von Nationalsozialisten und Faschisten, schreibt der Verein Memoriav, der sich für den Erhalt von audiovisuellen Kulturgütern einsetzt.

Mit der wachsenden Popularität des Fernsehens konnte die Filmwochenschau nicht mithalten. Sie verlor stetig an Bedeutung und wurde 1975 nach 1651 Ausgaben eingestellt. Die Sendung als Vorgängerin der Tagesschau des Schweizer Fernsehens zu bezeichnen, ist nicht ganz korrekt. Die Tagesschau gibt es auch schon seit 1953 und wird nicht von der Politik kontrolliert. Die Filmwochenschau stand unter militärischer Zensur.

Zusammen mit dem Schweizerischen Bundesarchiv und der Cinémathèque suisse will Memoriav bis 2019 alle Sendungen der Filmwochenschau veröffentlichen.

Pferderennen und die Jagd auf den Fuchs

Die Filmwochenschau berichtet immer wieder über die Wettkämpfe auf der Rennbahn in Aarau. Etwa im Jahr 1950: Anlass ist der Aargauer Grosse Preis. Der Favorit, ein gewisser Obstiné, ist nicht zu schlagen und holt sich den Sieg.

Pferde stehen auch im Beitrag über die traditionelle Fuchsjagd in Lenzburg im Mittelpunkt. 80 Jäger treiben ihre Pferde dem "Fuchs" hinterher. Das ist ein Reiter, der ein Fuchsfell auf den Schultern trägt und mit Vorsprung startet.

Das traditionelle Herbstvergnügen führt durch "tiefe romantische Wälder, die Raum für Flucht und Verfolgung bieten" und endet damit, dass ein Jäger dem Verfolgten das Fell von den Schultern zieht.

Ein Prosit auf die erfolgreiche Fuchsjagd: Dieses Bild stammt aus den 60er-Jahren.

Ein Prosit auf die erfolgreiche Fuchsjagd: Dieses Bild stammt aus den 60er-Jahren.

ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Lindroos, Björn Eric

Der "Stumpenkrieg"

Reinach ist das Herz der Schweizer Stumpen- und Zigarrenindustrie. 1952 droht Ungemach: Das Volk stimmt über die Besteuerung von Tabak ab. Die Tabakkontingente, die kleinen Betrieben Steuervorteile bringen, stehen auf dem Spiel. Arbeiter und Betriebsinhaber ziehen nach Aarau, um dort für den Erhalt der Kontingente zu demonstrieren. Sogar die Kantonsregierung und der Nationalratspräsident zeigen sich. Mit Erfolg: Das Volk heisst das Gesetz gut, die Kontingente bleiben bestehen.

Renovation der Klosterkirche wird zum Zirkusakt

Als die Strohindustrie noch floriert

Die Strohflechterei ist eine der ältesten Industrien im Aargau. 1900 gibt es im Kanton über 100 Firmen der Strohindustrie. 31 haben ihren Sitz in Wohlen. Auf der ganzen Welt haben sie Filialen: Florenz, Wien, Paris, London, New York. Auch der weltberühmte französische Modeschöpfer Christian Dior verwendet Freiämter Stroh für seine Hüte. Freiämter Hutgeflechte sind an zahlreichen Modeschauen zu sehen. Der Boom flacht nach 1965 ab. Heute existiert noch eine Manufaktur, die Geflechte herstellt.

Automatisierung im Kuhstall

Ein Bauernhof in Kaiserstuhl wird zum Vorzeigebetrieb: Die Automatisierung hält Einzug im Kuhstall. "Mit viel Wissenschaft und Technik wird die Milch den Kühen entzogen", sagt der Nachrichtensprecher im Beitrag. Dank modernsten Maschinen braucht es nur zwei Mitarbeiter, um 40 Kühe zu melken. Die Gänge im Stall sind extra breit gebaut, damit Fahrzeuge hindurchpassen. Es sei fast so sauber wie in einer Küche, urteilt der Kommentator – und bemerkt, dass die Kühe ihre Hörner behalten dürfen.

Museum zeigt "für Europa einzigartige Ausstellung"

In Wohlenschwil wird aus der Bauernkriegskirche das Schweizer Bauernmuseum. Es zeigt "wertvolle Zeugnisse bäuerlicher Kunst", erzählt der Sprecher: Keramiken aus der Zeit des Bauernkriegs, Geräte für die Herstellung von Strohgeflechten, bäuerliche Trachten und – als einer der Höhepunkte – alle Schweizer Bauernhaustypen. In der "für Europa einzigartigen Ausstellung", so der Kommentator, werde der Reichtum bäuerlicher Wohnkultur sichtbar gemacht.

Abdankung für verstorbenen Guisan-Vertrauten

In seiner Heimatgemeinde Jonen wird der verstorbene Generalstabschef Jakob Huber zu Grabe getragen. Der ranghohe Militär war einer der engsten Mitarbeiter von General Guisan im zweiten Weltkrieg. Guisan und zwei amtierende Bundesräte wohnen dem Begräbnis Hubers bei, der 70 Jahre alt wurde.

Ein Hoch auf die Technik der Kegelbahn!

Dieser Beitrag feiert die fortschrittlichste Kegelbahn in Zürich: "...worauf jemand auf Knöpfe drückt und einen Mechanismus in Bewegung setzt, der in jeder Hinsicht der modernsten Kegelbahn unseres Landes würdig ist", freut sich der Kommentator. In Zürich duellieren sich Kegelspieler aus verschiedenen Kantonen. Ein Aargauer namens Erni tritt als zweifacher Schweizermeister an, spielt aber im Kampf um den Sieg keine Rolle. Zürichs Gruppe führt bis kurz vor Turnierschluss, ehe die Basler sie noch abfangen.

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